Die angebliche Vergewaltigung einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin und die offenbar dadurch ausgelösten Proteste deutschstämmiger Spätaussiedler aus Russland „gegen Ausländergewalt“ in ganz Deutschland werfen weiter Fragen auf.
Nun hat sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow von den deutschen Behörden eine lückenlose Aufklärung des Falles gefordert. In Schweinfurt waren am Sonntag nach Polizeiangaben 700 Menschen „gegen sexuelle Gewalt“ auf die Straße gegangen. Die Größe der friedlichen Demo, die erst drei Tage zuvor angemeldet worden war, überraschte viele Bürger und sogar die örtliche Polizei.
Angebliche Vergewaltigung als Auslöser
Die Schülerin, über deren angebliche Vergewaltigung durch eine Gruppe südländisch aussehender Männer im Internet spekuliert wurde, war der Polizei zufolge am 11. Januar als vermisst gemeldet worden. Erst nach 30 Stunden tauchte sie wieder auf. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen zwei Männer. Es gebe den Verdacht, dass es vor dem Verschwinden des Mädchens zu einvernehmlichen Sexualkontakten gekommen sei, sagte ein Justizsprecher. „Was in der fraglichen Zeit passiert ist, konnten wir bislang aber nicht klären“, sagte er.
Das russische Staatsfernsehen berichtete über eine Vergewaltigung, weshalb nun auch über den Einfluss der Putin-gesteuerten Medien in Deutschland diskutiert wird.
Als Auslöser für die Schweinfurter Demo nannte der Anmelder, der Spätaussiedler Heinrich Maier, offiziell die Ereignisse in Köln, nicht die angebliche Vergewaltigung. „Das ist ja nicht bestätigt“, meinte er. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass die landesweiten Demonstrationen untereinander abgestimmt seien. Auch in Schweinfurt waren Transparente zu lesen, die sich auf die 13-Jährige bezogen.
Organisator: "Habe Neonazis weggeschickt."
Vom Vorwurf, Vorbehalte gegen Flüchtlinge zu schüren, wollten der Schweinfurter Organisator nichts wissen. Man sei generell für härtere Gesetze, Kriminelle gebe es überall. Neonazis, die mitdemonstrieren wollten, habe er sogar weggeschickt.
Beifall aus dem rechten Lager gab es trotzdem. Fotos von der Veranstaltung wurden unter anderem auf der rechten Facebook-Seite „Schweinfurt wehrt sich – Asylmissbrauch nein danke“ veröffentlicht. Gegendemonstranten sagten dazu: „Die meisten Demonstranten hier haben keine Ahnung, wofür sie da sind.“
Eine übergeordneten Steuerung der Demonstrationen verneinte Maier. Die Organisation habe nur über persönliche Kontakte der Russischstämmigen untereinander funktioniert. Allein in der Whatsapp-Gruppe, über die die Schweinfurter Demo organisiert worden ist, sind über 100 Personen.
Die russische Community in Schweinfurt ist groß
In der Industriestadt leben mehrere Tausend russisch sprechende Bürger. Schon nach dem zweiten Weltkrieg hatten sich viele Heimatvertriebene in der Stadt niedergelassen, Anfang der 90er Jahre kamen dann Tausende Spätaussiedler. In manchen Stadtvierteln ist die Gemeinschaft besonders stark, es gibt viele Geschäfte, die russische Lebensmittel verkaufen.
Der bayerische Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, der Schweinfurter Ewald Oster, sagte, dass er mit der Organisation nichts zu tun gehabt habe. Er habe die Sache weder unterstützt, noch sei er bei der Demo gewesen. Auf den Vorwurf, dass sich hier Menschen mit Migrationserfahrung gegen Flüchtlinge wenden, sagte er bezogen auf Heimatvertriebene: „Ich denke schon, dass man hier unterscheiden muss.“ Das seien Deutschstämmige gewesen, die zu diesem Land gehörten. Gleichwohl habe er Verständnis für Flüchtlinge.
Olga Baluyev, die Vorsitzende des Schweinfurter Integrationsbeirats und selbst Russlanddeutsche, will über ihre Kontakte nichts von einer fremdenfeindlichen Stimmung gehört haben. Wäre sie nicht verhindert gewesen, so hätte sie selbst teilgenommen, sagte sie.
Integrationsräte-AG zeigt sich betroffen von Demos
Damit distanziert sie sich von einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns. Denn darin heißt es: „Wir sind betroffen, dass die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge auch von Menschen betrieben wird, die selbst Flucht- und Migrationserfahrung haben und auch selbst immer wieder unter Vorurteilen und Angriffen leiden.“ Das Schweinfurter Bündnis für Demokratie und Toleranz „Schweinfurt ist bunt“ will sich mit dem Thema befassen.