Bei vielen Krebsarten gab es in den vergangenen 15 Jahren große Behandlungs-Fortschritte: Er könne in frühen Stadien vielfach geheilt oder in fortgeschrittenen Stadien eine Zeit lang aufgehalten oder chronifiziert werden, sagt Prof. Dr. Stephan Kanzler, Chefarzt der Medizinischen Klinik II des Leopoldina, zu Beginn seines Vortrags „Das Krebsproblem“.
Zwar liege die jährliche Neuerkrankungsrate in Deutschland bei 600 000 Patienten, andererseits sei die Überlebensrate der Betroffenen beträchtlich gestiegen. Die größere Verbesserung gab es in dieser Beziehung in den letzten Jahren bei Brust-, Darm- und Prostatakrebs.
Verantwortlich für eine günstige Prognose ist allerdings die Früherkennung der Krankheit. Doch nur jede zweite Frau über 20 Jahren und jeder fünfte Mann über 45 Jahren nutzt die kostenlosen Früherkennungs-Untersuchungen.
Kanzler demonstriert diesen entscheidenden Faktor Zeit am Beispiel des Darmkrebses. Ausgangspunkt einer Krebserkrankung ist das Erbgut. In den Genen, den Trägern der Erbanlage, entstehen Schäden, die nicht mehr repariert werden können – wie dies fortwährend im gesunden Organismus geschieht. Ein unkontrolliertes Zellwachstum beginnt. Zu den Krebsauslösern kommen auch Umweltfaktoren wie Strahlung, Viren, Toxine, Ernährung, Tabakrauch, Übergewicht und Bewegungsmangel.
Risikofaktoren
Von diesen zum großen Teil selbst beeinflussbaren Risikofaktoren nennt der Chefarzt an erster Stelle das Übergewicht, das bei verschiedenen Krebsarten eine wesentliche Rolle spielt. Inzwischen haben 37 Prozent aller Deutschen Übergewicht, 20 Prozent leiden an einer Fettleibigkeit (Adipositas), die in den letzten fünf Jahren erschreckend gestiegen sei. Rauch-Stopp, mäßiger Alkoholgenuss und gesunde Ernährung gehören ebenso zu einem gesunden Lebensstil: Nicht täglich rotes Fleisch, Vitamin-, faserreiche und Ballaststoff reiche Ernährung (Vollkornbrot, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse), weniger Fett und Zucker.
Gerade zur Darmkrebs-Vorsorge empfiehlt Kanzler den Verzehr von mindestens 30 Gramm Ballaststoffen (etwa Weizenkleie) pro Tag. Das hat gute Gründe: Das Stuhlvolumen wird erhöht, die Passage-Zeit im Darm wird verkürzt, die giftigen Substanzen im Stuhl werden verdünnt und schneller ausgeschieden. Sogenannten Krebsdiäten zum „Aushungern des Krebses“ erteilt Kanzler eine deutliche Absage. Die Patienten sollen essen, was ihnen schmeckt, ein Gewichtsverlust durch obskure Diäten würde sie nur schwächen.
„Sport ist so wichtig wie ein Krebsmedikament“, zitiert Kanzler einen Zeitschriftentitel. Erwiesen sei der vorbeugende Effekt einer regelmäßigen körperlichen Aktivität. Drei- bis fünfmal Bewegung/Sport pro Woche fördere zum Beispiel die Darmmotilität (Stuhl kürzer im Darm) und reduziere die Darmkrebshäufigkeit um 30 bis 50 Prozent. Während der Therapie können mit Sport die Nebenwirkungen reduziert werden, Leistungsfähigkeit und Selbstbewusstsein gestärkt, eine Fatigue gebessert werden. Natürlich verbiete sich Sport bei bestimmten Therapie-Beschwerden, bei einer zusätzlichen koronaren Herzkrankheit oder einem unzureichend eingestellten Diabetes.
Krebserregende Viren
Einige Viren können die Entstehung von Krebs begünstigen: Durch Interaktionen mit dem Genom (Gesamtheit aller Gene) bei chronischen Entzündungen. Vor allem bekannt ist das Epstein-Barr-Virus (Lymphome), Hepatitis B-Virus und Hepatitis C-Virus (Leberkrebs), humane Papillomaviren (Gebärmutterhalskrebs). Bester Schutz gegen eine Virusinfektion sind Impfungen. Bislang stehen nur gegen das Hepatitis B-Virus und gegen einzelne Papillomaviren Impfstoffe zur Verfügung. Viren sind nicht pauschal krebserregend, sondern erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren kann sich Krebs entwickeln.
Bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen sind die Möglichkeiten der klassischen Verfahren wie Operation, Strahlen- und Chemotherapie oft eingeschränkt. Die sogenannten zielgerichteten Therapien greifen den Tumor punktgenau an, mit geringeren Nebenwirkungen auf gesunde Zellen.
Verschiedenen Strategien sollen die Teilung und das Wachstum von Krebszellen verhindern: 1. Unterdrückung der Signalübertragungen durch Antikörper und „kleine Moleküle“. 2. Dem Tumor Nährstoffe entziehen (Angiogenese-Hemmer). 3. Das Immunsystem durch Antikörper auf den Tumor ansetzen. Realistisches Ziel der Immuntherapie sei die Chronifizierung der Krebserkrankung, dies sei bei manchen Krebsarten schon zu erreichen, betont Kanzler.
Vor einer Therapieentscheidung, in die der Patient mit einbezogen ist, steht im Leopoldina die Interdisziplinäre Tumorkonferenz mit Medizinern der Onkologie, Chirurgie, Strahlentherapie, Radiologie und Pathologie. Dies geschieht auch während des Therapieverlaufs, insgesamt wöchentlich viermal. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit von Spezialisten war auch die Voraussetzung für den Aufbau des Darm- und Pankreaskarzinom-Zentrums Schweinfurt, Kooperationspartner des Comprehensive Cancer Centers der Universität Würzburg.