Banken fusionieren seit vielen Jahren. Jüngst beschlossen die RV-Bank Gerolzhofen und die Raiffeisenbank Estenfeld-Bergtheim den Zusammenschluss. Wie viele andere kleine Orte auch, hat Herlheim daran einen klitzekleinen Anteil. Bereits im Jahr 1973 verschmolz der damalige Darlehenskassenverein Herlheim mit der Raiffeisenbank Unterspiesheim, die wiederum 1992 mit Gerolzhofen fusionierte.
Solche Zusammenschlüsse gehen auf Kosten zahlreicher kleiner Filialen, die geschlossen werden und aus den Ortsbildern verschwinden. Die Kunden müssen längere Wege auf sich nehmen beziehungsweise ihre Geldgeschäfte online oder telefonisch erledigen. Warenlager oder die Möglichkeit, Maschinen auszuleihen, was ursprünglich auch zum Service der Genossenschaftsbanken gehörte, gibt es schon viel länger nicht mehr. Hierfür ist Herlheim ein gutes Beispiel.
Bedrängte Betriebe schritten zur Selbsthilfe
In Herlheim wurde im Jahr 1882 der Darlehenskassenverein und damit eine Bank zum Zwecke der Selbsthilfe gegründet. Denn zu Beginn der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts gerieten viele bäuerliche, aber auch gewerbliche Betriebe in starke Bedrängnis und wurden an den Rand des Ruins gebracht. Aus dieser Not heraus gründeten 25 Herlheimer nach den Grundsätzen der Selbsthilfe den Darlehenskassenverein Herlheim (DKVH), wie Josef Wächter im Jahr 1952 in einem Bericht zur Ortsgeschichte schrieb.
Erster Vorsitzender des Vereins war Michael Pfister, der Aufsichtsratsvorsitzende Josef Götz und der erste "Rechner" Kaplan Heinrich Thielen. Die ersten Mitglieder mussten für das laufende Jahr 10 Mark Eintrittsgeld bezahlen. Im Jahr 1884 betrug die Jahresbilanz 19.226,23 Mark an Einnahmen und 19.173,75 Mark an Ausgaben. Somit lag der Reingewinn bei 52,48 Mark.
Amt des Rechners lag fast 40 Jahre in einer Hand
Im Lauf der folgenden 50 Jahre wechselten sowohl Mitglieder des Vorstands als auch des Aufsichtsrats und die Rechner aus verschiedenen Gründen immer wieder. Im Jahr 1930 übernahm Johann Graf das Amt des Rechners, das er bis 1967 innehatte.

In Wächters Text ist auch festgehalten, dass der Darlehenskassenverein eine große Anzahl gemeinnütziger Maschinen und Geräte beschaffte, die der Allgemeinheit kostenlos oder gegen eine geringe Entschädigung zur Verfügung gestellt wurden. Aufgeführt werden Ortswaage, Wiesenegge, Wiesenhobel, Dreschmaschine, Reinigungsanlage und Kleesamendreschwagen. Auch eine Dreschhalle mit Schrotmühle wurde erbaut. Die Errichtung der Kleinkinderanstalt unterstützte der Verein ebenso wie die Renovierung der Kirche.
Bankgeschäfte liefen zunächst im Wohnhaus ab
Wie wohl seine Vorgänger auch, führte Johann Graf die Bankgeschäfte von seinem Wohnhaus aus, bis Ende der 1950er Jahre an die bestehende Dreschhalle ein Gebäude angebaut wurde. In ihm befanden sich von nun an die Büroräume und im Obergeschoss eine Wohnung. Auch eine Lagerhaltung in der Dreschhalle konnte jetzt betrieben werden.
Einen Einblick in die Arbeit des Rechners und Lagerhalters gab der 2020 verstorbene Erich Kempf in seinen Lebenserinnerungen. Er war von 1958 bis 1965 bei der Raiffeisenbank Herlheim angestellt und unterstützte Darlehenskassenleiter Johann Graf. Damals betrug die Bilanzsumme fünf Millionen D-Mark.

Kempfs Arbeit bestand zu 75 Prozent aus Büroarbeiten, den Rest verbrachte er mit Arbeiten im Warenbetrieb. Neben dem täglichen Ein- und Ausbezahlen von Bargeld, musste er im Büro schriftlich die Nebenbetriebe führen, Warenausgang und Rechnungen schreiben, die Kontoblätter aufrechnen und manches mehr. Viel Arbeit bedeutete auch die Erstellung der Bilanz am Jahresende. Alles wurde per Hand geschrieben und meist auch im Kopf berechnet. Eine große Hilfe war dabei eine elektronische Rechenmaschine, die Kempf neu zur Verfügung gestellt wurde.
Arbeit im Lager verlangte harten körperlichen Einsatz
Im Lager wurden Kunstdünger, Futtermittel, Spritzmittel, Kohle und einiges mehr ausgegeben. Kunstdünger kam am Bahnhof Alitzheim in 50-Kilo-Säcken an. Was die Bauern nicht selbst abholten, musste mit großem körperlichen Einsatz eingelagert werden. Später brachten Schiffe den Dünger nach Volkach, wo er wiederum lose von den Landwirten selbst oder für das Lager in Säcken abgeholt werden musste.
Sehr gut erinnern sich Edwin und Renate Graf noch an den erstaunlich großen Maschinenpark der Darlehenskasse in den 50er und frühen 60er Jahren. An Leihgeräten gab es eigentlich alles, was damals auf einem Bauernhof benötigt wurde. Unter anderem erwähnt das Ehepaar einen Schlepper und zwei gummibereifte Wagen, Pflug, Scheibenegge, Getreidebeizmaschine, Zuckerrübenernter und einen Schneepflug.

Für einige Maschinen, wie die Dreschmaschine oder den Kartoffeldämpfer, gab es Maschinenführer, die nacheinander die Höfe im Dorf aufsuchten und das Getreide droschen beziehungsweise die Kartoffeln dämpften. Letztere wurden einsiliert und als Schweinefutter verwendet. Andere Geräte konnten einfach ausgeliehen werden, was allerdings manches Mal auch zu Ärger führte. Denn nicht selten wurden die Maschinen in mangelhaftem Zustand zurückgegeben.
Waschküche stellte eine Besonderheit dar
Als dann zu Beginn der 60er Jahre immer mehr Bauern selbst oder in einem Verbund neue und modernere Maschinen kauften, schlief dieser Geschäftsbereich der Darlehenskasse ein.
Eine Besonderheit stellte die Waschküche dar, die im Jahr 1952 in die Dreschhalle eingebaut wurde und nicht nur Herlheimer Frauen die Arbeit erleichterte. Unter der Regie von Justine Kempf konnte hier Wäsche eingeweicht, gebürstet, in großen Maschinen gewaschen und geschleudert werden.

Das Geschäftsgebaren der Bank war nicht immer professionell, schließlich leiteten Laien diese. Sicherheitshalber wurde Geld lieber zu geringen Zinsen in die Zentralbank abgeführt, als etwas zu riskieren. So erhielten in den 50er Jahren einige junge Familien keinen Kredit zum Hausbauen, obwohl sie als Arbeiter oder Angestellte ein festes Einkommen hatten. Sie konnten keinen Grundbesitz vorweisen. So sind sie und ihre Nachkommen bis heute Kunden anderer Banken. Auch ein auswärtiger Geschäftsmann blitzte in Herlheim mit der Bitte um einen Kredit ab, während dann eine andere Bank jahrelang an ihm verdiente.
Ein einziger Bankkaufmann durchlief die Ausbildung
Nach 37 Jahren beendete Johann Graf im Jahr 1967 seine Tätigkeit als Rechner. Bereits ab 1. Januar 1966 unterstützte der junge Bankkaufmann Jürgen Joa den langjährigen Leiter der Darlehenskasse bei seiner Arbeit und übernahm dann auch dessen Nachfolge. Mit seiner Familie bewohnte Joa die Wohnung im Obergeschoss. Eine Einmaligkeit in der Geschichte der Bank war die Ausbildung eines jungen Mannes zum Bankkaufmann während Joas ersten Jahren in Herlheim.

In der Folgezeit wandelten sich die Geschäfte des Vereins immer mehr. Im Jahr 1973 fusionierte der Herlheimer Darlehenskassenverein mit der Raiffeisenbank Unterspiesheim und 1992 schloss sich Unterspiesheim mit Gerolzhofen zusammen.
Einen großen Einschnitt bedeutete der plötzliche Tod des Herlheimer Geschäftsstellenleiters Jürgen Joa im Jahr 1994. Das Lager wurde geschlossen, das Bankpersonal wechselte immer wieder und die Öffnungszeiten der Herlheimer Zweigstelle wurden mehrmals weiter gekürzt, bis sie letztendlich bei zwei mal drei Stunden in der Woche lagen.
Das Aus für die Zweigstelle
Am 31. Dezember 2016 schlug dann die letzte Stunde der Zweigstelle Herlheim. Selbst Geldautomat und Kontoauszugsdrucker verschwanden.

Nachdem die Lagerhalle bereits im Jahr 1998 verkauft worden war, folgte 2017 die Veräußerung des Bürogebäudes. Die neuen Besitzer planen den Abriss und einen Neubau des Hauses in naher Zukunft, womit dann nur noch die Lagerhalle an die frühere Darlehenskasse Herlheim erinnern wird.