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GEROLZHOFEN: Gerolzhofen rettet seine Haut

GEROLZHOFEN

Gerolzhofen rettet seine Haut

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    Erst massiver Artilleriebeschuss und unterstützende Bombardierung aus der Luft, dann Häuser- und Straßenkampf. Dieses Szenario drohte in den letzten Atemzügen des nationalsozialistischen Regimes für den Fall sinnloser Widerstandsaktionen auch Gerolzhofen, als die amerikanischen Truppen immer näher auf das Städtchen vorrückten.

    Dass die Stadt nicht zerstört wurde und sich das Stadtbild heute noch mit einer bis ins Mittelalter zurückreichenden historischen Bausubstanz präsentiert, hat Gerolzhofen vor allem der Tatkraft mutiger Frauen um die Gerolzhöfer Lehrerin Josephine Schmitt zu verdanken.

    Obwohl selbst dem Nationalsozialismus lange zugeneigt, setzte sich bei ihr am Ende der Realitätssinn durch. So rief das auch „Schossi“ genannte „Fräulein Schmitt“ am Freitag, 6. April 1945, als „Seele“ des Gerolzhöfer Frauenaufstands, die Frauen und Kinder Gerolzhofens auf den Marktplatz, um die kampflose Übergabe der Stadt zu fordern.

    Die Verbreitung der Nachricht über die damaligen „extrem effektiven oralen Netzwerke“ (Leng) führte dazu, dass sich 800 bis 1000 Frauen, Kinder und auch Männer „im Gewoge der Menge“ auf den Marktplatz drängten.

    Es kam in den nächsten 45 bis 60 Minuten zu dramatischen und tumultartigen Szenen, Massenauflauf, Schießbefehlen, handgreiflichen Auseinandersetzungen um die weiße Fahne, Verhaftungen, Todesurteilen, Verfolgungen und waghalsigen Fluchtgeschichten.

    Erst durch die Auslösung eines Luftalarms gelang es, die Frauendemonstration aufzulösen. Sie war letztlich erfolgreich, da es beim Einmarsch der Amerikaner eine Woche später am Freitag, 13. April 1945, weder zu einer Verteidigung, noch zu anderen Widerstandsaktionen und somit zu keiner Zerstörung der Stadt vor 70 Jahren kam.

    Was bisher allerdings gefehlt hat, war eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse am und um den 6. April 1945. Dafür sorgte jetzt der Würzburger Geschichtsprofessor Dr. Rainer Leng. Anlass war das Theaterstück „Frl. Schmitt und der Aufstand der Frauen“ aus der Feder des aus Gerolzhofen stammenden Autors Roman Rausch. Es wird vom 3. bis 6. September am Originalschauplatz auf dem Gerolzhöfer Marktplatz vom Kleinen Stadttheater unter der Regie von Silvia Kirchhof mit mehr als 70 Darstellern aufgeführt. Im Rahmen eines gemeinsamen Vortrags von Volkshochschule und Historischem Verein präsentierte nun der Historiker am Institut für Geschichte der Universität Würzburg das Ergebnis seiner intensiven Beschäftigung mit dem historischen Hintergrund. Dazu gehörten mehrmonatige Recherchen in umfangreichen Aktenbeständen.

    Das Echo auf den mit einem vorherigen Empfang der Stadt einhergehenden Vortrag in der Stadthalle war gewaltig. Es waren gut und gerne 250 Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich am Ende in den Saal drängten. Sie brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen.

    Nachdem sich Rainer Leng zunächst mit den Hintergründen und der militärischen Lage zum damaligen Zeitpunkt in Gerolzhofen beschäftigt hatte, nahm er das Publikum mit auf eine spannende Zeitreise, in dem er minutiös den Ablauf der dramatischen Ereignisse an jenem Spätnachmittag im April 1945 nachzeichnete. Immer wieder wurde dabei deutlich, wie knapp Gerolzhofen mehrmals an einem Blutbad vorbeischrammte und wie die Hauptakteure nur durch glückliche Umstände und zuweilen auch Zufall ihrer Erschießung entkamen.

    Des Weiteren beleuchtete der Referent die Reaktionen der nationalsozialistischen Machthaber und Fluchtgeschichten zum Tode verurteilter „Rädelsführer“. Dazu zählten allen voran Organisatorin Josephine Schmitt und die Fahnenhisser Felix Raab und Karl Eich, aber auch andere.

    Abgerundet wurde der Blick auf die beteiligten Hauptpersonen mit ihren Motiven und Vorgeschichten, aber auch wie sie später versuchten, ihre Rolle beim Frauenaufstand darzustellen. Um diesen Spuren nachzugehen, wurden von Leng erstmals die umfangreichen, im Staatsarchiv lagernden Akten der von der sogenannten Gerolzhöfer Spruchkammer im Zuge der Entnazifizierung durchgeführten Verfahren aufgearbeitet.

    Aber auch nach dem Studium dieser Unterlagen bleibt für ihn, so Rainer Leng, insbesondere die Rolle von Josephine Schmitt letztlich undurchschaubar. Seit 1933 Mitglied in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, kurz NSDAP, und der NS-Frauenschaft, habe sie sich nachweislich zumindest in einem Fall öffentlich vor den Karren der Partei spannen lassen.

    In den für ihre Wiedereinstellung als Lehrerin wichtigen Spruchkammerverfahren sei sie selbst zwar anfangs zurückhaltend geblieben, so Leng. Je mehr sich aber abzeichnete, dass ihr Demonstationsaufruf vom 6. April 1945 als auch die für sie von Stadtpfarrer Dr. Joseph Hersam, dem von den Amerikanern eingesetzten neuen Bürgermeister Karl Schmitt und anderen ausgestellten Erklärungen nicht für einen Freispruch erster Klasse ausreichen würden, um so mehr habe sie betont, dass der Frauenaufstand doch den klaren Beweis einer Regimegegnerschaft erbringe. In sämtlichen Stufen des Verfahrens sei dieses Argument immer mehr von ihr in den Vordergrund gestellt worden.

    Am Ende habe es bei Josephine Schmitt geholfen, obwohl die Kammer nicht restlos von ihrer Unschuld überzeugt gewesen sei. Als Mitläuferin eingestuft, musste sie zur Sühne 250 Reichsmark zahlen, konnte aber wieder unterrichten. Auch NSDAP-Ortsgruppenleiter Ludwig Zrenner habe nach einer endlosen Prozessserie bis in die 1960-er Jahre die Rückkehr in den Justizdienst geschafft.

    Aber auch das habe sich am 6. April 1945 gezeigt, so Leng: Gerolzhofen war keine durch und durch braune Stadt.

    Diese und all die anderen zusammengetragenen Erkenntnisse führten am Ende zu einer Neubewertung des Frauenaufstandes in Gerolzhofen durch den Geschichtsprofessor. Er machte dabei klar, dass es um die Rettung der Stadt vor sinnloser Zerstörung, nicht aber um Widerstand gegen das Regime gegangen sei. Ohne den bevorstehenden Einmarsch der Amerikaner hätte es keinen Frauenaufstand gegeben. Rainer Leng: „Die Forderung nach der Weißen Fahne richtete sich nicht gegen den Nationalsozialismus an sich – sondern lediglich gegen die Folgen des Durchhalteterrors und das auch erst an dem Zeitpunkt, an dem sich der Terror gegen die eigene Bevölkerung richtete und ihr die Lebensgrundlagen zu entziehen drohte.“

    Dass der Frauenaufstand zum Widerstandsakt wurde, verdankt er der Tatsache, dass er als Argument in den Spruchkammerverfahren angeführt wurde. Dieses Bild habe sich in der Nachkriegszeit festgesetzt, sei aber falsch. Der Frauenaufstand war kein kollektiver Widerstandsakt gegen das Regime. Eine Befreiungstat sei es aber allemal gewesen.

    Die Mehrheit der Bevölkerung hätte nämlich den Nationalsozialismus teils erduldet, teils mitgetragen. Den befohlenen Untergang habe sie aber nicht mittragen wollen. Kein tiefer politisch motivierter Widerstand, aber eben doch mutiges Eintreten für das eigene Schicksal und für einen selbstbestimmten Start in die Nachkriegszeit. Es gäbe wenige Städte, wo die Überlegungen dazu führten, dass sich Mutige fanden, die das eigene Leben wagten, um ihre Stadt, ihre Nachbarn, ihr Hab und Gut zu retten.

    So habe der Aufstand dazu beigetragen, dass Leben gerettet wurden und Gerolzhofen nicht das Schicksal erlitt wie viele andere Städte. Professor Leng: „Dies ist sein Platz in der Geschichte Gerolzhofens und sein Platz im allgemeinen Gedenken ans Kriegsende.“

    Zur Person

    Professor Dr. Rainer Leng wurde 1966 in Weißenburg geboren. Er arbeitete in verschiedenen Forschungseinrichtungen und vertrat Lehrstühle für Mittelalterliche Geschichte in Würzburg und Stuttgart. Seit 2008 ist der Mittelalterhistoriker außerplanmäßiger Professor am Institut für Geschichte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

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