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Schweinfurt: Geschichte der Schweinfurter Arbeiterbewegung (Teil 6): Arbeitnehmer weiter stark organisiert

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Geschichte der Schweinfurter Arbeiterbewegung (Teil 6): Arbeitnehmer weiter stark organisiert

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    Frank Firsching spricht für den GDB in Unterfranken. Im Bild eine Aktion bei Bosch Rexroth in Schweinfurt.
    Frank Firsching spricht für den GDB in Unterfranken. Im Bild eine Aktion bei Bosch Rexroth in Schweinfurt. Foto: Anand Anders

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund blickt auf 125 Jahre Geschichte zurück. Regionalgeschäftsführer Frank Firsching schaut zum Abschluss dieser Serie auf das Jetzt und die Zukunft. Der 57-Jährige wurde im Februar mit 87,6 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Er vertritt 98.000 Gewerkschafter in Unterfranken.

    Frage: In Schweinfurt gibt es starke Einzelgewerkschaften wie IG Metall oder Verdi. Warum braucht man den DGB als Dachorganisation?

    Frank Firsching: Weil Beschäftigte über alle Branchen hinweg überschneidende Interessen haben, die wir gemeinsam im DGB bearbeiten. Ich denke beispielsweise an eine gute Rente, Kündigungsschutz, Mitbestimmungsrechte oder faire Besteuerung. Um im politischen Geschäft erfolgreich wahrgenommen zu werden, ist es ratsam mit einer Stimme zu sprechen. Die Stimme der Gewerkschaften ist der DGB.

    Es gibt aber auch die Christlichen Gewerkschaften. Wie ist das Verhältnis dazu?

    Firsching: Auf Verbandsebene gibt es kein Verhältnis, da der CGB im gesellschaftlichen Diskurs keine Rolle spielt. In manchen Betrieben stellen christliche Gewerkschaften wenige Betriebsratsmitglieder, die sehr unterschiedlich agieren, weshalb eine generelle Aussage schwierig ist. Und in den Metall- Tarifrunden laufen blaue Fahnen den roten hinterher.

    Gewerkschafter treten auch im Einzelhandel für ihre Rechte ein. Wie das Beispiel H&M zeigt.
    Gewerkschafter treten auch im Einzelhandel für ihre Rechte ein. Wie das Beispiel H&M zeigt. Foto: Martina Müller

    Wie hat sich in Ihren Augen die Arbeit der Gewerkschaften in den letzten, 20, 30 Jahren verändert?

    Firsching: Die Rahmenbedingungen für gewerkschaftliche Interessenvertretungen sind schwieriger geworden. Vor 20 Jahren hat die Politik entschieden, prekäre Beschäftigungsformen wie Leiharbeit, Mini-Jobs oder Befristungen zu fördern. Aufgrund der unsicheren Beschäftigungsverhältnisse trauen sich viele Kolleginnen und Kollegen aus diesen Bereichen nicht, in Gewerkschaften einzutreten. Und das Hartz-IV-System verfehlt seine Wirkung auch nicht.

    Dazu ist die Arbeit deutlich komplexer geworden. In den Betrieben hat früher ein Flugblatt zur Beschäftigteninformation ausgereicht, heute braucht es dazu noch einen gut gemachten Podcast, die Nutzung betrieblicher Plattformen und das Bespielen der sozialen Medien. Das gilt für die Arbeit von Betriebs- und Personalratsgremien wie für die Tätigkeit von Gewerkschaften. Dazu sind auch Gewerkschaften diverser und weiblicher geworden, was einen Kulturwandel ausgelöst hat.

    Die Tarifbindung gilt für weniger als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Schwächt das nicht die Gewerkschaften?

    Firsching: Wir haben es mit dem klassischen Henne-Ei-Problem zu tun. In den Branchen mit schwacher gewerkschaftlicher Verankerung haben sich die Arbeitgeber aus der Tarifbindung verabschiedet, und wir haben dort nicht die Kraft, über Arbeitskampfmaßnahmen dagegen zu halten. Deshalb müssen wir uns mit der Krücke des gesetzlichen Mindestlohns behelfen, dessen Erhöhung auf 12 Euro/Stunde ab Oktober dennoch als großer politischer Erfolg des DGB zu werten ist. Millionen Beschäftigte haben davon einen Nutzen. Ihnen allen rate ich, Gewerkschaftsmitglied zu werden, um gemeinsam über Tarifverträge bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne erstreiten zu können. In den Betrieben und Branchen in denen wir stark sind bleiben die DGB- Mitgliedsgewerkschaften Garanten für gute Arbeitsbedingungen!

    Gibt es weitere Gründe dafür?

    Firsching: Es lösen sich Traditionen auf, und Individualisierungstendenzen sorgen für Entkoppelung und damit für Entsolidarisierung. Was meine ich? Früher waren ganze Familienverbände gewerkschaftlich organisiert und ortsverbunden beschäftigt, heute ziehen die Kinder weg, um zu studieren und arbeiten dann bei Start-ups, die noch ohne jeden gewerkschaftlichen Bezug sind. Das macht es für uns schwer.

    Die pandemiebedingten Lockdowns und Homeoffice-Pflichten der letzten beiden Jahre haben uns auch neue Mitglieder gekostet. Der Ort, an dem wir Mitglieder werben ist der Betrieb, nicht das Zuhause. Dennoch treten deutschlandweit täglich etwa 750 Menschen einer DGB- Mitgliedsgewerkschaft bei.

    Moderne Formen des Protestes: Menschenkette zwischen den Werken Süd und Nord von ZF gegen den geplanten Stellenabbau im Jahr 2020.
    Moderne Formen des Protestes: Menschenkette zwischen den Werken Süd und Nord von ZF gegen den geplanten Stellenabbau im Jahr 2020. Foto: Anand Anders

    Wie hat sich der Organisationsgrad in Schweinfurt verändert?

    Firsching: Insgesamt ist die gewerkschaftliche Verankerung in der Region Schweinfurt weiterhin überdurchschnittlich hoch. Das liegt am dichten Industriebesatz und einer starken IG Metall. Aber auch Verdi Schweinfurt hat seit seiner Gründung 2001 Mitglieder dazugewonnen – deutschlandweit als einziger Bezirk!

    Dennoch gibt es auch Probleme. Beispielsweise im Baugewerbe oder bei den Gebäudereinigerinnen. Nicht wenige Beschäftigte dort verstehen kaum Deutsch und wissen nicht, wozu Gewerkschaften nötig sind. Dazu trägt auch das Subunternehmertum maßgeblich bei. Dort gewerkschaftliche Überzeugungsarbeit zu leisten, ist unglaublich kompliziert.

    Es gibt neue Formen der Tarifforderungen. Weniger Arbeitszeit statt Geld. Wie kommt das an? Wie geht es weiter?

    Firsching: Als erste Gewerkschaft hat die EVG (Eisenbahner-Verkehrsgewerkschaft) 2018 im Tarifvertrag mit der Bahn den Beschäftigten die Wahl gelassen, sechs Tage mehr Urlaub, 2,6 Prozent mehr Lohn oder eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung. Die Beschäftigten haben sich über diese Wahlmöglichkeiten sehr gefreut. Die meisten haben sich für mehr Urlaub entschieden. Seitdem wurden ähnliche Selbstbestimmungselemente auch in andere Branchen überführt. Dieses Beispiel zeigt, wie innovativ Tarifpolitik ist. Ich glaube, dass dieser Weg Tarifverträge noch attraktiver macht und weiter geht.

    Wie erreichen Sie Menschen, die sich längst nicht mehr als "Arbeiter" sehen", beispielsweise in der IT-Branche?

    Firsching: Das kommt darauf an, über welche Unternehmen wir sprechen. Ohne IT- Spezialisten läuft in kaum einem größeren Unternehmen etwas, gleiches gilt auch für Verwaltungen. In den Betrieben der Schweinfurter Metallindustrie beispielsweise setzt die IG Metall auf Projektarbeit und darauf ausgerichtetes Personal, das sich um diese Mitarbeiterschaft ebenso kümmert, wie um andere Hochqualifizierte. Zusätzlich wird der Kontakt zu Fachhochschulen und Technische Universitäten intensiviert, um die jungen Leute bereits im Studium mit Gewerkschaften vertraut zu machen.

    Wo sehen Sie den DGB und seine Einzelgewerkschaften in zehn Jahren speziell in Schweinfurt?

    Firsching: In der Region Schweinfurt wird es darum gehen, die Transformation in der Metall- und Elektroindustrie gewerkschaftlich so mitzugestalten, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue entstehen. Der DGB hat dabei die Aufgabe, von allen politischen Akteuren und den Arbeitgeberverbänden dafür gute Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Weiterbildungsangebote und die strategische Vernetzung von Forschung und Produktion abzuverlangen.

    Darüber hinaus brauchen wir auch regional einen gewerkschaftlichen Aufschwung insbesondere in den Bereichen Pflege, Handwerk und Dienstleistung. Denn nur wenn wir stärker werden, können wir die Zukunft der Arbeit in diesem Land maßgeblich mitgestalten. Um nicht weniger geht's!

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