"Woher/Wohin – Eine Gesprächsrunde vom Weggehen und Ankommen" war die jüngste Veranstaltung des Historischen Vereins in Gerolzhofen e.V. überschrieben. "Zu allen Zeiten verließen Menschen aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat: Auf der Suche nach Arbeit, Freiheit oder Sicherheit, aus wirtschaftlicher Not, aus Liebe oder Neugier, im Dienste des Glaubens, des Handels oder der Wissenschaft", erläuterte die Vorsitzende des Vereins, Beate Glotzmann, den Hintergrund der im Spitalhof locker inszenierten Gesprächsrunde.
Gemeinsam mit dem Gerolzhöfer Norbert Vollmann begrüßte Glotzmann fünf Gäste auf der Bühne zu einer nicht nur virtuellen Reise durch die halbe Welt und die zurückliegenden 80 Jahre (Welt-)Geschichte. Dass fast jeder eine mehr oder weniger große Migrationsgeschichte mit sich bringen kann, bewies Vollmann sogleich bei der Begrüßung des Gerolzhöfer Bürgermeisters Thorsten Wozniak – "oder Woschniak?", fragte er augenzwinkernd. Die Urgroßeltern des Stadtoberhaupts kamen um das Jahr 1918 aus der Gegend von Lodz nach Franken. Wozniak selbst ist gebürtiger Bayreuther, aber mittlerweile seit 40 Jahren Gerolzhöfer.
Die Sulzheimerin Arntrud Ahles machte mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte den Auftakt. Geboren 1943 in Schönbrunn im Schönhengstgau, dem heutigen Mähren, gehört sie der großen Zahl an Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten an. Die Vertreibung brachte ihre Familie zunächst ins Allgäu, wo sich Arntrud Ahles in einen jungen Sulzheimer verliebte, der sie 1965 als Braut mit nach Hause nahm.
Ausgewanderte gründen neuen Ort mit gleichem Namen
Wie sich so in gewisser Weise der Kreis schließt, konnte man daran sehen, dass Arntrud Ahles in die Nähe des oberfränkischen Ortes Schönbrunn im Steigerwald zog. Just das Dorf, aus dem 300 Jahre zuvor ihre Vorfahren, angeworben vom Olmützer Bischof, ins Schönhengstgau auswanderten und dort ein neues Schönbrunn gründeten.
Das nächste Kapitel widmete sich Gerolzhöfern, die ihre Heimat verlassen mussten oder wollten. Man erinnerte am Julius Echter, der die evangelisch Gläubigen der Stadt verwies, die Menschen, die aus der materiellen Not heraus nach Elek, Sanktmartin und Gyula in Ungarn auswanderten und an die, die viele Jahrzehnte später in Amerika das Glück suchten.
Aus reiner Not, der Rettung des nackten Lebens, siedelte Edith Krämer, ein Zwölfjährige jüdischen Glaubens, im Rahmen der "Kindertransporte" 1939 nach Amerika aus, wo bereits ihre sieben Jahre ältere Schwester Johanna auf sie wartete. Ihr Vater Siegfried Krämer trat 1942 im Rahmen der Deportation der unterfränkischen Juden die Reise in den Tod in die Vernichtungslager der Nazis an.
Überlebende Jüdin schickt Grußbotschaft
Heute ist Edith Krämer 95 Jahre und schickte eine berührende und bemerkenswerte Grußbotschaft anlässlich der Veranstaltung. "Erwähnen Sie bitte, dass ich immer viele schöne Erinnerungen an unsere kleine Stadt haben werde, obwohl ich erst zwölf Jahre alt war, als ich Gerolzhofen 1939 verlassen musste, um mein Leben zu retten. Es gab viele Menschen in unserer Nachbarschaft, die damals sehr gut zu uns waren. (…) Bitte grüßen Sie alle, die sich an mich erinnern, von mir."
Nur wenige Jahre später, und im Vergleich wenige Kilometer weiter, fand 1955 eine deutsch-deutsche Flucht statt, die des Alt-Bürgermeisters von Gerolzhofen, Hartmut Bräuer. Zehn Jahre zählt er da und besucht mit seiner Mutter die Hochzeit einer Verwandten nahe Bamberg. Eine Rückkehr in die Heimat Oberlausitz ist nicht eingeplant. Hinzu kommt, dass der Junge Hartmut hier seinen bisher unbekannten Vater, der nach über zehnjähriger Gefangenschaft mit den letzten aus Russland herausgeholten deutschen Kriegsgefangenen zurückgekehrt ist, kennenlernt. Sehr bewegt und auch bewegend erzählte das ehemalige Stadtoberhaupt von diesen intensiven Zeiten, die für ihn unter dem Strich jedoch "das Beste" war, was ihm hätte passieren können war.

Gleich eine doppelte Migrationsgeschichte konnte Georgios Amarantidis erzählen. Seine Eltern kamen in den 1960er Jahren als Gastarbeiter von Griechenland nach Deutschland. Ihr kleiner Sohn und seine jüngere Schwester blieben in dieser Zeit jedoch bei den Großeltern im Norden Griechenlands. Erst zum Studium macht sich der 18-jährige Georgios auf in das Land, in dem seine Eltern leben.
Er studiert hier Mineralogie, promoviert, arbeitet in der Industrie und lebt nun selbst seit über 40 Jahren in Deutschland, mit Frau, zwei erwachsenen Kindern und vier Enkelkindern, seit 2007 in Michelau.
Libanesische Großfamilie findet eine neue Heimat
Gleich eine ganze Großfamilie siedelte Mitte der 1980er Jahre aus dem Libanon nach Deutschland, nach Gerolzhofen. Bassem Barbich war das jüngste der neun Kinder und gerade mal knapp drei Jahre alt, als seine Familie in die Friedenstraße zog. Er erinnerte sich an viele liebe, großherzige Menschen, die ihm und seiner Familie bei der Ankunft und der Zeit danach halfen, daran, dass Gerolzhofen einfach seine Heimat ist. Auch negative Erlebnisse habe es gegeben, diese seien aber in der absoluten Minderzahl gewesen und er habe sich stets auf seine Freunde verlassen können.
Der Abschlussgast der Gesprächsrunde war Khaled Fares, der im Jahr 2015 mit seiner Mutter und seinem Bruder aus Syrien fliehen musste. Auch bei ihm ging es ums nackte Leben, denn die Miliz hatte ihm gedroht, ihn zu erschießen. So floh er mit seiner Familie über den Libanon in die Türkei und dann die Balkanroute hinauf nach Deutschland.
Die fremde Sprache lernte er erstaunlich schnell und gut, so gut, dass er eine Ausbildung beginnen und beenden konnte und nun in der Industrie arbeitet. Syrien ist für ihn mittlerweile sein Herkunftsland, seine Heimat ist jedoch Deutschland, insbesondere Gerolzhofen.
Bilder-Ausstellung zeigt "Gesichter der Ukraine"
Umrahmt wurde die sehr persönliche, manchmal lustige, jedoch immer sehr berührende Gesprächsrunde nicht nur von Musik und Gesang von Norbert Vollmann, sondern auch von Bildern von Antonia Oberst. Die 19-jährige Oberschwarzacherin hat die Ausstellung der zehn von ihr mit ölbasierten Buntstiften gemalten Bilder "Gesichter der Ukraine" genannt.

Die Idee zu der Aktion war ihr bei ihrer Arbeit in den vergangenen Monaten in der Flüchtlingsunterkunft in der Gerolzhöfer Dreifachturnhalle gekommen. Sie selbst sagt: "Einzelschicksale sensibilisieren uns, sie zeigen: Jeder Einzelne bringt eine Geschichte mit, jeder Einzelne hat uns etwas zu sagen."
Diesen Menschen, deren Leben sich mit dem Überfall durch Russland am 24. Februar radikal verändert hat, ein Gesicht zu geben, das ist das Anliegen von Antonia Oberst. Die Bilder, die in den Farben der Ukraine gemalt sind, werden in Kürze auch in Gerolzhöfer Schaufenstern zu sehen sein.