Mittags um zwölf führt Bürgermeisterin Lisa Krein keine Telefonate. "Da ist Musik in der Bude." Die Rathauschefin von Schwanfeld im Landkreis Schweinfurt residiert direkt neben der Kirche. Und um 12 Uhr gibt's minutenlang mächtiges Glockengeläut. Zuerst schlägt die Kirchturmuhr. Insgesamt 28 Mal! Denn nach den vier Viertelstundenschlägen folgt zwei Mal der Stundenschlag: zwölf Schläge auf der Regina-Glocke, weitere zwölf auf der großen Salvator-Glocke. Und danach kommt noch das lautstarke Mittagsgeläut.
"Ich mag es", sagt die Bürgermeisterin. Auch dass nachts die Glocken schlagen, stört sie nicht. Auf vielen Dörfern ist das so. Doch genau das ist jetzt in Schwanfeld zu einem Streitthema geworden, das die Dorfgemeinschaft zu spalten droht – in Alteingesessene und neu Zugezogene, wie es heißt.
Wie alles begann? Im Juli ging im Rathaus eine E-Mail ein, in der eine Bürgerin darum bat, das Glockenschlagen der Kirchturmuhr in der Nacht wegen der Lärmbelästigung abzustellen. Der Gemeinderat wies die Bitte mit dem Verweis auf die dörfliche Tradition ab. Beendet war das Thema damit nicht.
Es ging erst richtig los: Es folgte ein anwaltschaftliches Schreiben. Darin war keine Bitte mehr formuliert, sondern die Aufforderung, das nächtliche Glockenschlagen einzustellen und die Immissionsrichtwerte der Lärmschutzverordnung einzuhalten. Diese erlaubt zwischen 22 und 6 Uhr nur einen Lärmpegel von bis zu 45 Dezibel, tagsüber von 60 Dezibel. Schwanfeld liegt eindeutig darüber: im Durchschnitt rund 20 Dezibel mehr als erlaubt.

Die Bürgermeisterin wollte es "ganz laissez faire" über die Bühne bringen und legte ihrem Gemeinderat zwei Kompromissvorschläge vor. Entweder: Reduzierung der Lautstärke und Begrenzung der Zahl der Glockenschläge auf nur einen zu jeder vollen Stunde. Oder: Reduzierung der Dezibel, doch Beibehaltung der bisherigen Anzahl der Zeitschläge.

So einfach allerdings ist die Sache nicht. Der örtliche Glockenbeauftragte Paul Jonas hätte das den Kommunalpolitikern sagen können. "Ich kann am Uhrwerk in der Sakristei elektronisch alles einstellen, einen Glockenschlag oder auch mehrere, eine Glocke oder alle Glocken", sagt Jonas. "Aber die Lautstärke kann ich nicht verändern." Dazu müssten technische Umbauten an den Glockenmotoren im Kirchturm erfolgen.

Beim Gespräch vor Ort erklärt es der 70-Jährige: Vier Glocken hängen dort oben. Zum Zeitschlagen werden nur drei verwendet. Die kleine Michaelsglocke für den Viertelstundenschlag, die etwas größere "Regina" für den sogenannten Stunden-Vorschlag und die mit 1,60 Meter Durchmesser größte "Salvator"-Glocke für den Stunden-Nachschlag. Die vierte, die Totenglocke, läutet nur zum Angelusgebet um 18 Uhr.

In Schwanfeld wird die Uhrzeit zweimal geschlagen
Dass in Schwanfeld die Uhrzeit zweimal geschlagen wird, ist eine Besonderheit, die es nicht in vielen Dörfern gibt. Warum das so ist, weiß auch Paul Jonas nicht. "Vielleicht, dass man ein zweites Mal zählen kann, wenn man sich beim ersten Mal verzählt hat", meint er schmunzelnd. Dass die Uhrzeit auch nachts geschlagen wird, das hingegen sei nicht so außergewöhnlich: "In unserer Umgebung schlagen fast alle Uhren durch." Das sei Tradition, die bis ins Mittelalter zurückgeht.

Um genau diese Tradition ist jetzt der Streit entbrannt. Die einen im Dorf wollen sie beibehalten, die anderen aber ruhig schlafen. Inzwischen hat sich sogar eine Bürgerinitiative "Beruhigt schlafen" gegründet und an die 100 Unterschriften für die Abschaffung des nächtlichen Glockenschlagens gesammelt. Öffentlich Stellung wollen die Akteure auf Nachfrage nicht beziehen, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Man wolle nur eine friedliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Der Friede im Dorf aber ist längst schon gestört, wie andere Stimmen aus der Dorfgemeinschaft sagen. "Die kommen her, wollen hier günstig wohnen und uns dann alles andere verbieten lassen", schimpft Paul Popp. Der Schwanfelder will, dass die Glocken weiterhin nachts schlagen. "Der Glockenschlag ist wichtig, das gehört einfach zum dörflichen Leben dazu", sagt auch Richard Strobel.
Bürgermeister aus den Nachbargemeinden befürchten einen Präzedenzfall
Viele Augen sind deshalb auf Schwanfeld gerichtet, wenn am kommenden Montag in der Sitzung des Bauausschusses über den Glockenschlag in der Nacht entschieden werden soll. Denn es könnte ein Präzedenzfall werden, der Auswirkungen auf andere Gemeinden haben könnte, in denen nachts ebenfalls die Glocken schlagen. Einige Amtskollegen hätten sich schon sorgenvoll im Schwanfelder Rathaus gemeldet, sagt Bürgermeisterin Lisa Krein.

Einig sind sich im Ratsgremium alle, dass von der dörflichen Tradition nicht abgewichen werden soll. An diesem Beschluss soll nicht gerüttelt werden. Fest steht aber auch, dass die politische Gemeinde, in deren Zuständigkeit das Zeitschlagen liegt, die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmgrenzwerte einhalten muss.
Am Montag Entscheidung im Bauausschuss
Die einfachste Lösung wäre, den Anschlaghammer kürzer anzuheben, damit er nicht aus voller Höhe auf die Glocke saust. Dann wäre der Ton leiser. "Das könnte man am Glockenmotor einstellen", sagt Paul Jonas. Allerdings wären dann auch tagsüber die Glockenschläge leiser. Doch das wiederum will der Großteil der Bevölkerung nicht. Die Alternative ist der Einbau eines zweiten Motors an jeder Glocke, der nur in der Nacht die Anschlagstärke reduziert. "Und das ist teuer", sagt die Bürgermeisterin.
Wie auch immer die Gemeinderäte am Montag entscheiden werden: Die Bürgerin, die den Stein ins Rollen gebracht hat, dürfte ihre Ruhe bereits gefunden haben. Sie ist aus Schwanfeld weggezogen, bestätigt die Bürgermeisterin.