Es war nicht die klassische Bescheidenheit, die den Mensch und Künstler Wilhelm Busch (1832-1908) charakterisierte. Vielmehr eine tief verwurzelte Scheu vor Verantwortung und Anerkennung. Mit den merkwürdigsten (Vor-)Urteilen über das Genie Busch räumte Hans Ries jetzt auf.
Im Abschlussvortrag zur Jubiläumsausstellung „Carl Spitzweg und Wilhelm Busch – Zwei Künstlerjubiläen“ im Museum Georg Schäfer (MGS) erläuterte der Busch-Fachmann Ries (67) die ungewöhnlichen Aspekte des „öffentlichen und privaten“ Genies Busch. Süffisant und mit sichtlicher Überzeugung entschlüsselte er die vielschichtige Persönlichkeit des vor 100 Jahren verstorbenen Autors und ordnete sie in dessen Lebenshintergründe ein.
Dabei bezieht er seine Informationen rein aus Buschs überlieferten Quellen und kommt damit zu einem stimmigen Charakterbild. Mit den fast sensationalistischen Interpretationen anderer Busch-Biografen geht Ries sehr kritisch ins Gericht und wirft ihnen Fehldeutungen und falsche Vorurteilsbedienerei vor: Vom Elternhaus verstoßen, Frauenverächter, Päderast, Homosexueller, Bordellbesucher, Atheist soll er laut solch übereifrig und oberflächlich ausgelegten Lebensanalysen gewesen sein. „Alles Quatsch“, versicherte Ries den rund 50 Zuhörern im MGS-Vortragssaal. „Man muss Busch nur gründlich und genau lesen und vor allem zwischen den Zeilen lesen können“, dann erschließe sich einem am Ende die ernste, komplizierte, aber korrekte Persönlichkeit des populären und meistzitierten deutschen Autoren Busch.
Und Ries nimmt man dies gerne ab, schließlich hat er sich in das Leben des Niedersachsen über Jahre hineingearbeitet und eine 2700 Seiten starke, historisch-kritische Busch-Gesamtausgabe herausgegeben, für die er jüngst mit dem 14. Antiquaria-Preis für Buchkultur ausgezeichnet wurde. Er unterstellt Busch keine charakterliche Zwiespältigkeit und überinterpretiert dies nicht in besagten Absonderlichkeiten. Vielmehr durchleuchtet Ries die Lebenshintergründe und zitiert Busch selbst zu jedem Thema trefflich aus dem viel aussagenden Werk „Kritik des Herzens“.
Vordergründig war Wilhelm Busch der humoristische Satiriker, der von seinen Bildergeschichten schon zu Lebzeiten leben konnte. Im Arbeitszimmer allein zeichnete er heimlich jene kunstvollen Winzigformate, die nun im MGS zu sehen sind. „Doch diese Kunst war nicht für andere bestimmt. Er wollte nie Applaus einstreichen, nie verantwortlich sein“, berichtete Ries von etlichen überlieferten Ereignissen. Busch sei merkwürdig scheu gewesen – „ein richtiger Verstecker“.
Doch für sein Publikum wird der tiefgründige Volkskundler mit der spitzen Feder zum Belehrer, nicht zum Spaßmacher. „Busch ist ein immer ironischer Autor. Das Lächeln ist immer in seinem Gesicht“, so Ries. Methodisch stützt sich Busch auf den „Humor als Überlebensstrategie angesichts der Ausweglosigkeit.“ Skepsis, Kritik und Pessimismus leiten ihn dabei an.
Unglück hat Busch wohl in Liebesdingen. Und bei diesem Thema lief Hans Ries zu interpretatorischer Höchstform auf. Schließlich gab es hier doch einiges richtig zu stellen. Buschs erste Studentenliebe wurde ihm von den Eltern des Fräuleins verwehrt, denn der freche Draufgänger verdiente noch kein eigenes Geld. Dass die Angebetete später einen älteren wohlhabenden Herrn heiratete, verarbeitete der Verschmähte in der bildlichen Figur des „alten Esels“ in verschiedenen Werken. In einem Interview auf sein Liebesleben angesprochen, deutet er später einmal an: „Als ich wollte, klappte es nicht. Und als es hätte klappen können, wollte ich nicht mehr.“
Lange intensive Verehrung
De facto überliefert ist aus späteren Lebensjahren, so Hans Ries, eine intensiv ausgelebte und lange verbriefte Verehrung für die Frankfurter Bankiersgattin Johanna Keßler. Es schreibt ihr dezent andeutungsvolle Briefe in Versform und übt sich in neuen künstlerischen Darstellungsformen, um ihr zu gefallen: Kopien von Mönchshandschriften, Radierungen, Silhouetten und großformatige Bilder zum Beispiel, die aktuell im MGS ausgestellt sind. Persönlich und intellektuell angesprochen fühlt er sich auch von einer niederländischen Brieffreundin.
Keine Spur von Frauenfeindlichkeit, Homosexualität oder anderen Extremen finde sich in den verlässlichen Quellen über Busch, resümierte Ries.
Die Jubiläumsausstellung „Carl Spitzweg und Wilhelm Busch - Zwei Künstlerjubiläen“ im Museum Georg Schäfer endet am 2. November mit der Führung „(K)ein Abschied für immer“ um 11 Uhr.