Sie sind ein kleiner Verein mit einer großen Idee: Der gemeinnützige Verein "Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen Schweinfurt e.V." will eine private Mittelschule mit angegliederter Berufsschule für Menschen mit und ohne Behinderung gründen. So etwas gibt es noch nicht. Diese Schule wird Modellcharakter haben. Im Rahmen einer Fotoausstellung mit dem Titel "Glück kennt keine Behinderung" der Fotografin Jenny Klestil im künftigen Schulgebäude in der Gorch-Fock-Straße (ehemalige Montessori-Schule) präsentierte der Vorstand sein Konzept.
Seit Deutschland im Jahr 2009 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungratifiziert hat, ist gemeinsamer Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderung in der Schule ein Muss. Denn in Artikel 24 der Konvention heißt es, dass "Menschen mit Behinderung gleichberechtigt Zugang zu einem inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichem Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben" sollen. Auch die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt folgt einem positiven Trend. Nur dazwischen klafft eine Lücke: Kinder mit Behinderung, die eine Regelschule besuchen, müssen nach der neunten Klasse zurück in eine Förderschule wechseln, denn eine inklusive Berufsschule gibt es nicht.
Diese Lücke will der Verein "qualitativ hochwertig" füllen. Die Idee ist eine inklusive Mittelschule von der 5. bis 9. beziehungsweise 10. Klasse (M-Zweig), die nahtlos übergeht in eine inklusive Berufsschule, in der die Kinder je nach ihrer individuellen Entwicklung in ein bis drei Jahren hauswirtschaftliche Tätigkeiten erlernen und so für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Im Prinzip ein klassisches Berufsgrundschuljahr (BGJ), gestreckt auf zwei bis drei Jahre.

"Momentan gibt es für Kinder mit Behinderung nach der neunten Klasse sehr wenig Möglichkeit der Inklusion", sagt Vereinsvorsitzende Sandra Finzel. Wer eine Regelschule besucht hat und in den Arbeitsmarkt wechseln will, muss zur Überbrückung auf eine Förderschule gehen. Mit der geplanten Berufsschule möchte der Verein diesen Kindern nun eine "passgenaue Alternative" bieten. Sie erhalten eine hauswirtschaftliche Ausbildung, mit der sie später als technischer Helfer im Hauswirtschaftsbereich arbeiten können. "Wir wollen keine Konkurrenz zur Hauswirtschaftschule sein", betont Daniela Wittmann, Mitglied im Vorstand, "sondern die Kinder auffangen, die dort nicht Fuß fassen können." Zum Beispiel weil die einjährige Ausbildung zum Hauswirtschafter für sie zu schnell geht. "Unsere Zielgruppe sind die Kinder, die sonst keine Perspektive haben." Gleichzeitig bietet die Berufsschule den Jugendlichen die Möglichkeit, Praktika in verschiedenen Betrieben auszuprobieren und so den für sie passenden Beruf zu finden.
"Wir wollen keine Konkurrenz zur Hauswirtschaftschule sein."
Daniela Wittmann, Vorstandsmitglied
Bei der Regierung von Unterfranken ist der Schweinfurter Verein mit seinem Konzept auf offene Ohren gestoßen. "Die waren begeistert, weil es so etwas noch nicht gibt", berichtet Vorsitzende Sandra Finzel. Trotzdem muss sich die Schule erst bewähren, um eine staatliche Anerkennung zu erhalten. Der Verein müsse deshalb in den ersten beiden Jahren die Lehrerkosten zu 35 Prozent selbst tragen. Starten möchte man im Schuljahr 2020/21 mit einer Mittelschulklasse mit 14 Kindern (zwei Drittel ohne und ein Drittel mit Behinderung), zwei Lehrkräften sowie einem Lernbegleiter. Es soll eine Jahrgangsmischung erfolgen. Die Kleinen lernen von den Großen. Für die spätere Berufsschule werden dann zusätzlich ein Hauswirtschaftsmeister und ein Fachlehrer benötigt.
Am Ende steht ein gleichwertiger Schulabschluss wie in der Regelschule. Der Weg dahin allerdings ist ein anderer: kleine Klassen, enge Bindung an den Lehrer, kein Frontalunterricht und ein besonderes pädagogisches Konzept. Das heißt LOVT und meint lösungsorientiertes Verhaltenstraining. Entwickelt hat es vor zehn Jahren die Hamburger Psycho- und Ergotherapeutin Sabine Brendt, um Eltern, Therapeuten, Lehrern und Erziehern ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, effektiv mit Kindern, deren Familien oder Beziehungspersonen zu arbeiten. Es basiert auf Lern-, Verhaltens und Motivationspsychologie. Das bedeutet, dass immer das System insgesamt betrachtet wird, um festgefahrene Strukturen zu erkennen und zu verändern. Die Videoarbeit ist dabei ein zentrales Arbeitsmittel, um diese meist unbewusst ablaufende Verhaltensmuster sichtbar zu machen.

Schon vor drei Jahren hatte der Verein die Idee zu dieser LOVT-Mittel- und Berufsschule. "Wir haben es uns damals aber nicht zugetraut", gibt Daniela Wittmann offen zu. Mit dem leerstehenden Gebäude in der Gorch-Fock-Straße, in dem zuletzt eine private Wirtschaftsschule untergebracht war, tat sich nun die Möglichkeit auf, das Vorhaben zu verwirklichen. Bei der Baufirma Pfister, die das Areal in der Zwischenzeit erworben hat, sei man auf offene Ohren gestoßen. Die einzige Variable steckt noch im Finanzierungsplan. Die Kosten für ein Schuljahr liegen im mittleren sechsstelligen Bereich. Das kann nicht alleine aus dem Schulgeld und Zuschüssen des Fördervereins gedeckt werden. "Wir sind auf Sponsoren und Spenden angewiesen", macht Vorsitzende Sandra Finzel deutlich. Auch müssen die Klassenzimmer noch renoviert sowie Mobiliar und Unterrichtsmaterial angeschafft werden. Helfer und Unterstützer seien hier willkommen.
Zur ersten öffentlichen Informationsveranstaltung hatte Vorsitzende Sandra Finzel deshalb auch Oberbürgermeister Sebastian Remelé eingeladen, der die Fotoausstellung "Glück kennt keine Behinderung" eröffnete. In seinem Grußwort räumte er zwar ein, ein Verfechter von Förderschulen zu sein, sieht aber auch den Bedarf für inklusive Schulen. "Wir brauchen beides, um Kinder je nach ihrer Begabung und Einschränkung fördern zu können." Die Schule würde eine Lücke schließen, so der OB.
Hinweis: Interessenten, Sponsoren und Spendern können sich an den Verein "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen Schweinfurt e.V." wenden, Telefon (09723) 936091 oder glgl-sw@freenet.de