Nähmaschinen lagen bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts voll im Trend. In Gerolzhofen beteiligten sich vier jüdische Händlerfamilien am erfolgreichen Boom. Zu ihnen gehörte die Firma Gebr. Rheinfelder.
Im Juli 1912 erwarben die beiden aus Lülsfeld stammenden Brüder Jakob (geboren 1887) und Samuel Rheinfelder (1884) das Anwesen des jüdischen Eisenhändlers Adolf Selig in der Salzstraße (alte Hausnummer 13) und betrieben dort gemeinsam ein Manufakturwarengeschäft mit Vertretung in Nähmaschinen sowie einen Hausierer-Handel mit diesen Waren.
Im Jahr 1919 erweiterte die Gemischtwaren OHG Jakob und Samuel Rheinfelder ihre umfangreiche Produktpalette noch um landwirtschaftliche Maschinen. Mit großformatigen Werbeanzeigen warb die Firma in der Lokalpresse mit Modellen verschiedenster deutscher Nähmaschinenfabriken, wie Gritzner, Winselmann oder Haid & Neu.
Geschäftlicher Erfolg ermöglicht Kauf eines weiteren Hauses
Das Geschäft der beiden Brüder expandierte und so erwarb Jakob Rheinfelder im September 1921 das Anwesen von Hans Rosentritt, Inhaber eines Baugeschäftes, in der Steingrabenstraße (alte Hausnummer 180). Jakob Rheinfelder war verheiratet mit der 17 Jahre jüngeren Rosa Freudenthal aus Unteraltertheim, die vor ihrer Heirat in der Schweiz in Stellung gewesen war. Im Jahr 1928 kamen Sohn Siegbert und zwei Jahre später Sohn Werner auf die Welt. Samuel Rheinfelder heiratete Klara Rosenfeld (geboren 1887) aus Schopfloch.

Zu Beginn der 1930-er Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Firma Rheinfelder allerdings, so dass im September 1931 das Konkursverfahren über das Vermögen der Firma und dem Privatvermögen beider Brüder eröffnet wurde. Infolge dessen wurde das Geschäftshaus in der Salzstraße aufgelöst und ging als Hypothekensicherheit an die Volksbank Gerolzhofen über.

Samuel Rheinfelder zog daraufhin mit seiner Frau in die Schuhstraße (alte Hausnummer 270) um. Dort meldete Klara Rheinfelder in einem Zimmer der neuen Wohnung ein eigenes Gemischtwarengeschäft an, wo sie ein kleines Sortiment an Lebensmitteln und Manufakturwaren verkaufte und mit diesen von 1932 bis 1937 auch einen Hausierer-Handel zusammen mit ihrem Mann betrieb.
Einer der Rheinfelder-Brüder landet vor Gericht
Im Juli 1932 las man in der Lokalpresse vom Fall Samuel Rheinfelder vor der Großen Strafkammer in Schweinfurt: Nach dem verhängten Konkurs über sein Privatvermögen soll dieser, "um sich etwas über Wasser zu halten, mit ungesetzlichen Mitteln operiert haben". Das Schöffengericht verurteilte ihn wegen Betrugs und Blankett-Fälschung zu drei Monaten Gefängnis.
Im Zuge der Zwangsvollstreckung wurden am 25. und 26. Oktober 1932 die Anwesen der Gebrüder Rheinfelder in der Salzstraße und Steingrabenstraße öffentlich versteigert, wie im Bote vom Steigerwald nachzulesen ist. Beide Anwesen erwarb der Gerolzhöfer Spediteur Josef Spannrad, der bisher im östlichen Bereich der Salzstraße (alte Hausnummer 38) sein Geschäft betrieben hatte.

Jakob Rheinfelder wohnte nach der Zwangsversteigerung weiterhin als Hausierer von Manufakturwaren mit seiner Frau Rosa und den Söhnen in der Steingrabenstraße 180 (alt), zusammen mit seiner ledigen Schwester Lina (geboren 1891) und seiner Mutter Mina (geborene Eckmann), die dort auch einen kleinen Rauchwarenhandel betrieb.
Kriegsbeginn vereitelt Nachzug der Familie nach Fernost
Am 8. November 1938 emigrierten Samuel und Klara Rheinfelder aus der Schuhstraße über Belgien nach Chicago. Im Februar 1939 starb die Mutter der Brüder Rheinfelder, Mina, im Alter von 85 Jahren. Wenige Monate später, am 27. Juli 1939, emigrierte Jakob Rheinfelder ohne seine Familie nach Shanghai. Mit Kriegsbeginn wurde das geplante Nachholen seiner Familie dorthin aber unmöglich gemacht.
Am 22. April 1942 wurden die 38-jährige Rosa Rheinfelder mit ihren Söhnen Siegbert und Werner sowie ihrer Schwägerin Lina aus der Steingrabenstraße nach Würzburg deportiert und von dort aus weiter ins polnische Ghetto Krasniczyn im Bezirk Lublin gebracht. Der elfjährige Werner Rheinfelder und sein 13-jähriger Bruder Siegbert wurden somit die jüngsten Schoa-Opfer von Gerolzhofen.
Die vier deportierten Angehörigen der Familie Rheinfelder wurden vom Amtsgericht Gerolzhofen am 1. Dezember 1955 für tot erklärt. Als Zeitpunkt ihres Ablebens wurde der 8. Mai 1945 eingetragen – der Tag, an dem für Deutschland mit der Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg endete.
Das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland", das bis 31. Juli 2022 geht, nimmt diese Redaktion zum Anlass, in einer losen Reihe von Artikeln den vielfältigen Spuren nachzuspüren, die jüdische Einwohner in Gerolzhofen hinterlassen haben und sich mit der Erinnerung an diese auseinanderzusetzen.
Gastautor Bertram Schulz ist einer der beiden ehrenamtlichen Leiter des Stadtmuseums Gerolzhofen und hat sich intensiv mit der Geschichte der Gerolzhöfer Nähmaschinenhändler befasst.
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