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GEROLZHOFEN: Möglichst weit weg

GEROLZHOFEN

Möglichst weit weg

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    So könnte das Gerolzhöfer Siechenhaus ausgesehen haben: Vor den Toren der Stadt Zeil am Main stand Jahrhunderte lang ein Siechenhaus, das später als Armenhaus diente. Im Anbau (rechts) soll sich ein kleiner Hausaltar befunden haben, vor dem die armen Leute für das Seelenheil ihrer Wohltäter beteten.
    So könnte das Gerolzhöfer Siechenhaus ausgesehen haben: Vor den Toren der Stadt Zeil am Main stand Jahrhunderte lang ein Siechenhaus, das später als Armenhaus diente. Im Anbau (rechts) soll sich ein kleiner Hausaltar befunden haben, vor dem die armen Leute für das Seelenheil ihrer Wohltäter beteten. Foto: Foto: Sammlung Ludwig Leisentritt

    Zu einer Zeit, als die Medizin noch in den Kinderschuhen steckte, half beim Ausbruch von hochansteckenden Seuchen nur ein drastisches Mittel: Um ein weiteres Ausbreiten der Epidemie zu verhindern, wurden die Kranken aus der Stadt gebracht und im Siechenhaus separiert.

    Damals war die räumliche Trennung von Krank und Gesund der einzige Weg, weitere Ansteckungen zu vermeiden. Die Menschen waren einer grassierenden Seuche hilflos ausgeliefert. Wo überlieferte Naturheilmittel versagten, blieb nur das Abschieben ins Siechenhaus als einzige Lösung. Weil die Infektionswege noch nicht erforscht waren, glaubte der Mensch des Mittelalters, die unheilvolle Krankheit flöge ihn an wie ein abgeschossener Pfeil. Und so betete man zu Sankt Sebastian, dessen erstes Martyrium mit den Pfeilen ihn zum idealen Pestheiligen machte.

    Dass sich Seuchen mit dem Wind ausbreiten, war damals Gemeingut. Und so verwundert es nicht, dass das Gerolzhöfer Siechenhaus ganz an der östlichen Grenze der Gemarkung an der Grenze zu Dingolshausen und Rügshofen stand. Denn oft genug herrscht im Steigerwaldvorland Westwind.

    Keine Unterlagen von den Anfängen

    Die Quellenlage zum Siechenhaus ist spärlich. Gerade zu den Anfängen gibt es so gut wie keine gesicherten Quelle. Und so muss sich Friedrich Sixt in seiner Gerolzhöfer Stadtchronik auch mit Mutmaßungen begnügen, die aus heutiger Sicht allerdings sehr abenteuerlich anmuten, teils sogar völlig falsch sind. So behauptet Sixt, das Siechenhaus sei um das Jahr 1100 in Verbindung mit den Besitzungen des Deutschen Ordens in Gerolzhofen entstanden. Stimmt nicht. Heute wissen wir, dass der Deutsche Orden niemals Besitzungen in der Stadt hatte. Die in einigen Publikationen gelegentlich noch herumgeisternde Bezeichnung „Deutschherrenhaus“ für das Anwesen an der Ecke Marktstraße/Häfnergasse war nur ein alter Hausname, weil dieser Hof früher Adelsfamilien gehörte, die enge Verbindungen zum Deutschen Orden unterhielten und auch Komture und Hochmeister stellten.

    Chronist Friedrich Sixt stellt zudem eine Verbindung zwischen Siechenhaus und den Kreuzzügen des 12. Jahrhunderts her, ohne allerdings entsprechende Quellen als Beleg aufzuführen. Offenkundig bezieht er sich dabei auf ein Schriftstück im Stadtarchiv aus dem Jahr 1847, wo diese Mutmaßung geäußert wird – und das als Beginn dieser Legendenbildung angesehen werden kann.

    Sixt' Behauptung, das Siechenhaus habe überhaupt nur bis zum 15. Jahrhundert existiert, ist eindeutig falsch. Denn im Gerolzhöfer Stadtarchiv lagern Belege, die zeigen, dass das Haus sogar noch Mitte des 18. Jahrhunderts stand.

    Dieser Gedenkstein auf halbem Weg zwischen Gerolzhofen und Dingolshausen erinnert an das untergegangene Siechenhaus.
    Dieser Gedenkstein auf halbem Weg zwischen Gerolzhofen und Dingolshausen erinnert an das untergegangene Siechenhaus. Foto: Foto: Klaus Vogt

    Eine Spurensuche. Für den Unterhalt der Einrichtung wurde in Gerolzhofen die Stiftung „Seel- und Siechhauspflege“ eingerichtet. Der Siechenmeister oder Siechenpfleger, zumeist ein Mitglied des zwölfköpfigen Stadtrates, war für die Rechnungsführung verantwortlich.

    Die älteste gesicherte Quelle, die das Haus erwähnt, stammt aus dem Jahr 1522. In einer Spitalrechnung wird ein Acker „neben dem Siechenhaus“ erwähnt. Ein Jahr später ist in der Spitalrechnung von 1523 ein interessanter Eintrag zu finden: Das Gerolzhöfer Spital bezahlt den Gerolzhöfer Mesner, um „im Siechenhäuslein zu läuten“. Dieser Eintrag lässt Raum für Fragen und einige Spekulationen, auf die es mangels Urkunden aber keine verbindliche Antwort mehr geben wird: Wenn der Mesner geläutet hat, vermutlich um dort zu einem Gottesdienst einzuladen, hatte das „Siechenhäuslein“ dann eine Art Hauskapelle, wie es auch vom Siechenhaus vor den Toren der Stadt Zeil am Main überliefert ist? Oder gab es eine Verbindung zwischen Siechenhaus und Gertraudiskapelle, fanden die Gottesdienste für die armen Aussätzigen und Siechen oben auf dem „Hundsrück“ statt? Und warum musste das Gerolzhöfer Spital den Küster bezahlen, wenn er dort läutete?

    Zu der auf dem „Hundsrück“ östlich von Gerolzhofen liegenden Bischofspfalz gehörte auch eine Kapelle, die bereits 1357 urkundlich erwähnt wird. Dieses gemeinhin als Gertraudiskapelle bezeichnete Gotteshaus liegt im Jahr 1403 dann „wüst“ und kann nicht genutzt werden. Drei Jahre zuvor war im Fränkischen Städtekrieg die Bischofspfalz schwer beschädigt worden. Die bisher mit der Kapelle verbundenen Einnahmen werden deshalb dem neuen Spital in der Gerolzhöfer Innenstadt zugeschlagen, das durch eine Stiftung des Schweinfurter Patrizierehepaares Betz und Anna Rückert ins Leben gerufen worden war. Am 21. Mai 1410 bestätigt Fürstbischof Johann von Egloffstein diese Inkorporation. Der bisher in der Gertraudiskapelle tätige Kaplan wird fortan der Spitalkaplan. Ausdrücklich vermerkt wird, dass der Spitalkaplan sein Geld auch dafür bekommt, dass er einmal in der Woche eine Messe für die Siechen in der Gertraudiskapelle liest. Aus dieser Regelung kann man ableiten, dass das Spital dann auch den Mesner für seine dabei anfallenden Dienste, unter anderem für das Glockenläuten, entlohnen musste.

    Doch wenn der Spitalkaplan die Messe in der Gertraudiskapelle lesen muss, heißt das dann, dass die Kapelle oben auf dem „Hundsrück“ anno 1410 schon wieder notdürftig repariert war? Oder zelebrierte der Spitalkaplan direkt in der Hauskapelle des Siechenhauses und wurde dieser Raum damals als „Gertraudiskapelle“ bezeichnet? Das bleibt unklar. Die heutige Kapelle jedenfalls wurde erst 1718 errichtet.

    Im Jahr 1542 werden angesichts grassierender Pest-Epidemien im Bistum Würzburg neue Verordnungen erlassen zum Umgang mit Pestkranken und zur Schaffung weiterer Siechenhäuser. Dreimal pro Woche werden Nahrungsmittel in den Gemeinden für die in die Häuser Verbannten gesammelt. Besondere Priester, Ärzte und Balbierer werden abgestellt, die sich in die Häuser wagen müssen, um die Kranken seelsorgerisch und medizinisch zu versorgen. Spenden für die Kranken können auch an einer speziellen Klappe am Siechenhaus deponiert werden.

    In den folgenden Jahrzehnten finden sich in den erhaltengebliebenen Spital-, Bürgermeister- und Baumeisterrechnungen immer wieder Hinweise auf kleinere Reparaturarbeiten am Siechhaus, das sich in einem schlechten baulichen Zustand befindet. Es gehört dann zu den Errungenschaften von Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn, dass er im Jahr 1588 eine grundlegende Sanierung auch dieser sozialen Einrichtung vorantreibt. In einer zeitgenössischen Auflistung von Julius Echters Investitionen ist gar von einem Neubau des Siechenhauses die Rede, der 250 Gulden gekostet haben soll. Die verbuchten Rechnungen der Dachdecker und Malermeister, die auf der Baustelle gearbeitet haben, haben sich bis heute erhalten.

    Zeitgleich lässt Fürstbischof Echter auch das Spital in der Gerolzhöfer Innenstadt umbauen und erweitern. Durch eine Änderung der Spitalordnung ist es fortan möglich, dass nicht nur Herrenpfründtner, die sich teuer eingekauft haben, im Spital leben, sondern auch Arme und Kranke. Die Bedeutung des Siechhauses vor den Mauern der Stadt nimmt dadurch allmählich ab. Anno 1661 ist das Haus „vakant und steht leer“.

    Dies ändert sich 1663, als das Siechenhaus in der Bischofsstadt Würzburg umgebaut wird und die dort lebenden Menschen so lange auf Einrichtungen im ganzen Bistum verteilt werden müssen. Auch Gerolzhofen erhält für ein Jahr zwei Sieche zugeteilt, die seelsorgerisch vom Pfarrer aus Dingolshausen mit Krankenkommunion und Ölung versorgt werden.

    In Mellrichstadt (Kreis Rhön-Grabfeld) hat sich bis heute außerhalb der Stadt dieses Siechenhaus erhalten.
    In Mellrichstadt (Kreis Rhön-Grabfeld) hat sich bis heute außerhalb der Stadt dieses Siechenhaus erhalten. Foto: Foto: Federlein

    Ab dem Jahr 1664 zeichnet sich in den alten Rechnungen ab, dass das Haus von der Stadt verpachtet wird. Sieche wohnen hier keine mehr, das Haus wird als „rein“ bezeichnet. Der jeweilige Pächter, umschrieben als „Bestandtner“ oder „Hausmann“, muss jährlich einen Gulden als Pachtzins zahlen. Gelegentlich wird diese Pacht aber auch mit dem Arbeitslohn verrechnet, wenn der „Hausmann“ im städtischen Weinberg gleich nebenan gearbeitet hat.

    Ab 1685 bleibt die Einrichtung dauernd unbewohnt. Zunächst werden von der Stadt nur noch die notwendigsten Reparaturen an dem Gebäude durchgeführt, bis schließlich auch dies unterbleibt und das Haus ganz dem Verfall preisgegeben wird. Es wird nicht mehr benötigt. Denn 1688 wird in der Stadt hinten auf der „Weth“ ein neue Armenhaus gebaut.

    Tragödie in der Ruine

    Aus den Rechnungen des Jahres 1691 kann man noch eine Tragödie herauslesen: Eine offenbar heimat- und mittellose Frau „hat sich ins Siechhaus gelegt“ und ist dort gestorben. Die Kosten für Totenmesse und Beerdigung in Dingolshausen übernimmt die Gerolzhöfer Siechhauspflege. Empfänger der Zahlungen sind der Pfarrer, der Schulmeister (er war wohl als Organist tätig) und der Totengräber aus Dingolshausen.

    Während die Weinberge am Westhang zwischen Gerolzhofen und Dingolshausen weiter bewirtschaftet werden und dafür der Siechhaus-Brunnen immer wieder aufwändig repariert wird, naht ab 1727 das endgültige Ende für das Siechhaus. Maurer Hans Seel holt alle Ziegel vom ruinösen Siechhaus herunter, bricht sämtliche Steine aus der Fachwerkkonstruktion des Siechhauses heraus und legt sie auf einen Haufen zusammen.

    Das Gebäude wird – wie damals allgemein üblich – komplett ausgeschlachtet. Noch verwendbares Material wird verkauft und findet eine neue Verwendung auf anderen Baustellen. In der Seel- und Siechhausrechnung des Jahres 1750 findet sich die letzte Buchung von Einnahmen, die man mit dem Verkauf von Ziegeln und Holz vom alten Siechhaus erzielt hat.

    Das Gebäude ist nun dem Erdboden gleichgemacht und verschwunden.

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