Die Gegner der großen Stromtrassen, die in einigen Jahren die Elektrizität vom Norden in den Süden der Republik transportieren sollen, wittern so etwas wie Morgenluft. Seit Jahren wird im Rahmen der Energiewende am Konzept geplant, doch die Kritiker – aus der Bevölkerung und der lokalen Politik – sehen noch Chancen, zumindest die Trassenführung entscheidend beeinflussen zu können.
Das liegt auch an der Bereitschaft von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), bei einer zweitägigen Reise durch die neuralgischen Regionen Thüringens und Bayerns Stimmen und Argumente vor Ort aufzunehmen, bevor Entscheidungen fallen. Insofern war die Dichte an regionalen Politikern hoch, die Altmaier bei einer Art „politischem Lobby-Dating“ auf dem Gelände des neu gebauten Umspannwerks bei Bergrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) treffen wollten. Vor dem Zaun warteten Demonstranten mit Trillerpfeifen, später beim Diskussionsabend im benachbarten Grafenrheinfeld besorgte Bürger.
Worum es geht
Darum geht es: Vier Gleichstromleitungen sollen Ökostrom – vor allem von den riesigen Windräder in der Nordsee – nach Süden schaffen. Eine davon, der sogenannte SuedLink, soll bei Grafenrheinfeld enden. Grund: Dort befindet sich das Stromnetz, das vom stillgelegten Atomkraftwerk abzweigt und in das die Elektrizität eingespeist werden kann. Und es geht um zwei neue Wechselstromleitungen, im Planungsdeutsch P43 und P44, die ebenfalls dorthin gebaut werden sollen.
Das sei zuviel für der Schweinfurter Region, die heute schon ein „Energie-Hot-Spot“ sei, wie Landrat Florian Töpper (SPD) und Bürgermeister Ulrich Werner (CSU) sagten. Für Letzteren ein klares „No Go“. Seine Parteikollegin und Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber zog erneut den Bedarf von P43 und P44 in Zweifel. Und wenn sie doch gebraucht werden sollten, dann müssten bestehende Leitungen vergrößert und verbessert werden, anstatt komplett neue zu bauen. Der kurzfristig mitgereiste neue bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ging noch weiter: Er sprach auch SuedLink die Notwendigkeit ab. Den Demonstranten, die vor dem Gelände den abfahrenden Altmaier-Bus gestoppt und die Delegation zum Aussteigen bewegen konnten, versprach Aiwanger einen „Energiegipfel vor Weihnachten“. Dort solle der Startschuss fallen „für ein Gegenmodell“, das nach Möglichkeit die neuen Stromleitungen verhindern solle.
Lässt sich Altmaier von Lobbyisten verbiegen?
Peter Altmaier dagegen musste sich den Vorwurf der Demonstranten gefallen lassen, dass er sich mit dem Spiel der Strom-Lobbyisten, die nur am Profit interessiert seien, das Rückgrat verbiegen würde. Der Minister argumentierte, dass man eben nicht alle Windräder in Bayern bauen könne und deswegen Strom transportiert werden müsse. „Wir haben auch eine Verantwortung, dass das Licht nicht ausgeht.“ Zuvor hatte er regionalen Politikern zugesichert, Alternativen prüfen zu wollen. Und Landrat Töpper, der über „viel Belastung und wenig Wertschöpfung“ geklagt hatte, signalisierte Altmaier, dass man auch über Infrastrukturprojekte für die Region nachdenken könne.

Altmaier nutzte die Gelegenheit auch, um auf der anderen Mainseite die Belegschaft des AKW Grafenrheinfeld zu besuchen. Ebenso wie Aiwanger bedankte er sich, dass dort über Jahrzehnte zuverlässige Arbeit ohne nennenswerte Zwischenfälle geleistet worden sei. Werksleiter Bernd Kaiser und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Frank Herfurth gaben ihm mit auf den Weg, dass man für die angelaufene Phase des Rückbaus verlässliche Rahmenbedingungen aus der Politik brauche, etwa bei den Entsorgungswegen und Endlagerfragen.
Altmaier konterte mit einer alten Idee: Die großen Energieversorger könnten eine Rückbaugesellschaft gründen, um das Expertenwissen zu sammeln und für den anstehenden Abriss von 200 Atomkraftwerken weltweit zu nutzen. Das würde auch die Arbeitsmarktchancen von Fachkräften erhöhen, wenn das AKW Grafenrheinfeld circa 2030 endgültig Geschichte sein wird.