Einen weiten Kosmos durchstreiften die Literaten Ulrike Schäfer, Martin Heberlein und Hanns Peter Zwißler bei ihrer gemeinsamen Lesung in der Kulturwerkstatt Disharmonie. Es ging um Heldentum und Tod, Klimawandel und Coronavirus, Abschied und Neubeginn, mal heiter und komisch, mal melancholisch und düster.
Hinter allen liege eine seltsame Zeit, die an keinem spurlos vorüber gegangen sei, so Martin Heberlein, der den Abend auch moderierte. So tauchte die literarische Verarbeitung der Corona-Pandemie denn auch mehrmals auf an diesem Abend. Ulrike Schäfer reflektierte über ein "Landesamt für Dämonen", dessen Aufgabe nicht das Helfen sei, sondern die Erfassung und Archivierung von Problemen – zustimmendes Nicken im Publikum. Kontaktverbot, Abstandhalten, Infektionsketten: Schäfer baut eine gespenstische und beklemmende Atmosphäre auf, zunächst unmerklich, aber immer näher rückend und bedrohlich. Die Spannung löst sich erst mit dem fröhlichen Hüpfen und Winken der kleinen Fanny hinüber zum in Distanz wartenden Großvater. Hier passte die Zwischenmusik des Saxofonisten Anton Mangold besonders gut, griff sie doch die Emotionen mit den Mitteln der Jazzmusik auf und ließ sie nachklingen.
Schäfer zeigte ihre Formulierungsintensität im weiteren Verlauf noch bei Kindheitserinnerungen einer Eiskunstläuferin und ließ Märchenwesen die Welt retten, die der Mensch nicht zu retten schafft: CO2 kann man auch mit Elfenhaar einfangen, Sonnenlicht mit königlichen Spiegeln reflektieren und Hexenwälder einfach unbehelligt weiterwuchern lassen statt sie abzuholzen.
Frau Holle einmal ganz anders und ein Abschied in Würde
Auch Martin Heberlein widmete sich Märchenhaftem, betrachtete allerdings "Frau Holle" durch eine Brille der absurden Verdichtung: Der köstlich aufgespießte und erzkomische Spaß mündete in eine Strophe, die der "Rettung des Genitivs" gewidmet war und in der es einen "Kübel Goldes" übers Haupt der armen Marie gab. Nicht weit entfernt das Thema, was nach dem Abschied bleibt: Der sterbende Vater nimmt noch einen Schluck aus der Schnabeltasse und erfreut sich an der Heiterkeit des Sohnes – die aber resultiert allein aus der Vorfreude aufs Erbe. Und Heberleins zurechtgebogene Reime in seiner Hymne auf die Jäger brachten zum geistigen Zucken und Grübeln.
Hanns Peter Zwißler beschäftigte sich mit der Würde des natürlichen Abschieds: Die steinalte Marie, deren Körper schon im Jenseits zu sein scheint, deren Kopf aber noch in den "Besorgungen des Lebens" steckt, zumindest in denen ihrer Vergangenheit, gibt ihre Kommandos noch vom Krankenbett aus. Rationales Argumentieren hilft hier nichts, dass sieht jedoch nicht jedes Familienmitglied ein. Aus einem Kapitel aus seinem Roman "Österle & Escher" entlässt Zwißler die Zuhörer mit der Frage, was sich wohl bei einem Pärchen im Heuschober entwickelt hätte, wenn kein Dritter anwesend gewesen wäre. Und Zwißlers höchst individueller Gegenschlag auf einen während persönlicher Isolation versuchten Enkeltrick sei als praktische Lösung jedem ans Herz gelegt.
Dicht und fesselnd, aber auch nachdenklich und voller Überraschungen war dieser Abend. Die Neugierde auf weitere Gedichte, Texte, Romane dieser Wortkünstler ist geweckt!