Drei Menschen – drei Schicksale – drei Steine. Auf Initiative des Kultur-Forums Gerolzhofen wird nun an drei weitere jüdische Mitbürger der Stadt erinnert, die in den 40 Jahren ermordet wurden. Mehr als 80 Personen erlebten die Verlegung der Stolpersteine durch den Aktionskünstler Gunter Demnig. Evamaria Bräuer vom Kultur-Forum freute sich, dass so viele Mitbürger, Schüler und Lehrkräfte der Ludwig-Derleth-Realschule sowie des Gymnasiums gekommen waren. Sie bemerkte, dass es nicht darum ginge, die Vergangenheit nur zu erforschen, oder gar in ihr leben zu wollen. Sondern es gälte diese darzustellen und Lehren daraus zu ziehen, damit Entwürdigung oder Fanatismus künftig keinen Platz mehr bei uns hätten. Bräuer sieht Stolpersteine in einer historischen Tradition zu Gedenkmarterln oder Mordsteinen, die ja in Deutschland seit dem Mittelalter aufgestellt wurden. Die drei neuen Gedenksteine in Gerolzhofen sollen nicht anklagen, sondern informieren und mahnen.
Bürgermeister Thorsten Wozniak nahm die Verlegung zum Anlass, an die vielen Krisengebiete in der Welt zu erinnern und auch an die 260 Flüchtlinge, die gerade in Gerolzhofen leben. Für ihn passt die Verlegung in die aktuelle Diskussion und ins Zeitgeschehen. Er dankte dem Kultur-Forum für die Initiative.
Erfreut zeigte er sich, dass nicht eine politische Gruppierung sich des Themas angenommen habe, sondern ein Verein mit Menschen aus verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Schichten. Er erinnerte auch an die Städtepartnerschaften Gerolzhofens und dadurch begründete Freundschaften über Grenzen hinweg. Toleranz und Verständigung sind für ihn Lehren aus der Vergangenheit.
Der erste Stolperstein wurde vor dem Haus Marktplatz 15 für Stefan Löbhardt verlegt. Die Schüler Pia Lurz und Lukas Stößel von der Ludwig-Derleth-Realschule verlasen seine Vita. Für eine würdevolle musikalische Umrahmung sorgten Schülerin Annika Dolag (Klarinette) mit Lehrer Stefan Meusert (E-Piano). Die Steinpaten Johannes Steigner und Helmut Bergmann legten Rosen nieder und entzündeten eine Kerze.
Die Steine für Amalie und Hermann Kohn wurden vor dem Haus Marktstraße 20 verlegt, vis-a-vis dem Floriansbrunnen. Die Viten trugen Schüler des Gymnasiums Gerolzhofen-Gaibach vor, Laura Feuerbach, Jonas Weigand, Annika Pillhofer, Nathalie Bühner, Alina Wirth, Jannik Schütz und Ines Reder.
Unter der Leitung von Elke Friedl sorgten Annika Pillhofer, Franziska Schneider, Julia Barthelme und Dana Sperling mit Querflöten für nachdenkliche Momente, während Gunter Demnig die Steine verlegte. Die Kosten für die Stolpersteine wurden von Florian Tully und dem Kultur-Forum, vertreten durch den Vorsitzenden Burkhard Tebbe, getragen. Diese legten ebenfalls Rosen nieder und entzündeten Kerzen. Schülerin Nicola Pfeuffer trug Paul Celans berühmtes Gedicht „Die Todesfuge“ vor, das an die Opfer des Holocaust erinnert.
Evamaria Bräuer dankte den Hausbesitzern und der Stadt Gerolzhofen für die Bereitschaft, die Stolpersteine verlegen zu dürfen, dem Bauhof und Hubert Zink sowie den Lehrern und Schülern.
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Stolpersteine für drei jüdische Mitbürger
Amalie und Hermann Kohn Hermann Kohn wurde 1871 in Lülsfeld geboren und wuchs dort mit acht Geschwistern auf. Seine Eltern betrieben einen Gemischtwarenhandel. 1899 kaufte er ein Eckhaus in Gerolzhofen und führte dort von 1900 bis 1937 eine Eisenwarenhandlung. Er gehörte zu den zehn größten Gewerbesteuerzahlern der Stadt Gerolzhofen. Amalie Kohn wurde 1871 in Rimpar geboren und wuchs dort mit vier Geschwistern auf. Die Eltern Salomon und Babette Schwab unterhielten eine Viehhandlung. Sie heiratete Hermann Kohn und bekam zwei Kinder, Rosel und Karl. 1927 heiratete Rosel den Bankier Ludwig Löwenthal, das Paar zog von Bad Kissingen nach Amsterdam. Hermann Kohn wurde 1933 in Schweinfurt, 1934 in Gerolzhofen in Schutzhaft genommen. Um seine wirtschaftliche Existenz zu schädigen, stellten die Nationalsozialisten ein Banner am Floriansbrunnen auf, mit der Aufschrift „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter“. 1937 musste die Familie Kohn ihren Besitz zum Schleuderpreis verkaufen. Im Februar 1939 zogen Hermann und Amalie Kohn nach Amsterdam zu ihrer Tochter Rosel. 1943 wurden die Kohns wahrscheinlich durch Spitzel an die Gestapo verraten und in das Internierungslager Westerbork eingeliefert.
Am 25. Mai 1943 wurden sie mit einem Viehwaggon in das ostpolnische Vernichtungslager Sobibor gebracht. Sie wurden am 28. Mai 1943 für tot erklärt. Der Sohn Karl Kohn war 1936 in die USA emigriert und wurde dort ebenfalls Eisenwarenhändler. Er starb 1983 im Alter von 76 Jahren. Stefan Löbhardt
Stefan Löbhardt wurde 1897 in Gerolzhofen geboren. Er begann mit 16 Jahren eine Lehre im Kaufhaus der Eltern Hermann und Jette Löbhardt. Er war häufig mit dem Fahrrad im Umland von Gerolzhofen unterwegs, um Kunden zu versorgen. 1937 erlitt er bei einem Fahrradunfall eine Gehirnerschütterung und einen Schädelbruch, wodurch es zu epileptischen Anfällen kam. Sein Vater Hermann Löbhardt versuchte über den Landrat, die Deportation zu verhindern. Dieser lehnte die Bitte aber ab. Stefan Löbhardt wurde 1942 nach Polen deportiert und starb dort im Alter von 44 Jahren im Kreis Krasnystaw. stop