Dass die Post 1970 an den jetzigen Standort umzog, änderte daran nichts – bis vor anderthalb Jahren die Würdigung von Alt-OB Georg Wichtermann durch eine neuerliche Umbenennung im Stadtplan manifestiert wurde. Straßennamen erzählen eben auch ganz aktuell Geschichte(n), wie die gleichnamige Stadtführung mit Silke Sieben eindrucksvoll beweist.
Die Kunsthistorikerin kennt die verschlungenen Pfade der Schweinfurter Innenstadt und ihre Geschichte besser als manch Alteingesessener. Obwohl sie selbst keine Einheimische ist. Und gerade deshalb hat sich die junge Mutter vor neun Jahren unvoreingenommen in ihre neue Heimatstadt hineingearbeitet: „So wird einem die Stadt logisch klar.“
Berufsgruppen als Paten
Straßen wurden üblicherweise bezeichnet nach Berufsgruppen (Kessler, Metzger, Bauern), Eigennamen (Hellersgasse, Schultesstraße, Wenkheimer Gäßchen), geografischer Lage beziehungsweise Zweck (Zehntstraße, Wall, Zürch) oder ethnologischen Kriterien: In der Judengasse zum Beispiel lebten bereits im Mittelalter jüdische Familien. Sie behielt ihren Namen auch während des Dritten Reichs. Die Gasse „Am Ebracher Hof“ verdankt dem Ritter Valentin von Münster, der dort im 16. Jahrhundert wohnte, ihre Umbenennung in Rittergasse.
Zur Maxbrücke mit Brückentor führte die Brückengasse, heute Brückenstraße, seit Schweinfurt im 14. Jahrhundert das Brückenbaurecht bekam. Überhaupt sei „Straße“ eine Bezeichnung aus der Neuzeit, früher hießen innerörtliche Wege allesamt „Gassen“, so Silke Sieben.
Die Wohn- und Arbeitsstätte der Metzger, die Metzgergasse, lag ganz nah am Rathaus, denn dieses diente früher auch als Lager- und Verkaufshaus. Rund um das älteste Gebäude der Stadt, die Johanniskirche, befand sich traditionell ein Kirchplatz oder Kirchhof, in dem die Verstorbenen beerdigt wurden. Alte Stadtpläne belegen diese Namensgebung, hat Silke Sieben recherchiert. Heute ist der Platz nach dem Reformator Martin Luther benannt und dient als weiteres Beispiel dafür, wie die Straßennamen einer Stadt von ihrer jeweiligen Epoche geprägt werden.
Der „Graben“ zieht sich entlang des früheren Stadtgrabens, der im Zuge der Stadterweiterung im 15. Jahrhundert verschwand. Zur gleichen Zeit buchstäblich „aus dem Boden gestampft“ wurde die Bodengasse, die sich fast unscheinbar hinter dem Alten Gymnasium versteckt: Sie markiert den inneren Stadtgraben, den man zur Baulandgewinnung einfach mit „Boden“ auffüllte.
Eine Straßenlinie weiter gen Norden siedelten sich kurze Zeit später Bauern an – und zwar jene aus dem von der Stadt angekauften Örtchen Hilpersdorf (südlich der Bellevue). „Vor dem Obertor“, dann „Leder- und Schuhmarkt“ hieß einstmals der Kornmarkt. Den Oberen und Unteren Wall schüttete die Stadt – als Folge der verheerenden Stadtverderben – zum Schutz auf.
Schnell reagiert: Rückertstraße
Den Oberen Marienbach benannten die Deutschherren, die im 13. Jahrhundert im ehemaligen Kloster auf der Peterstirn saßen, nach der Jungfrau Maria: „unser vrauwen bach“. Die gleichzeitig datierte Liebfrauenkirche mit benachbarter Reichsburg sind Namensursprung für Burggasse und Frauengasse im Zürch.
Wie Familien oder verdiente Einzelpersonen in Straßennamen zu Ehren kommen, belegt allen voran der „Sohn der Stadt“ Friedrich Rückert. Bereits ein Jahr nach seinem Tod, also 1867, wurde die Mühlgasse zur Rückertstraße. Die reiche, protestantische Kaufmannsfamilie Rüffer wanderte im Zuge der Gegenreformation nach Schweinfurt ein, stellte drei reichsstädtische Ratsherren und schließlich einen Reichsvogt. Das Treppenhaus ihres Wohnhauses (genannt Rüfferturm) ist im 19. Jahrhundert zum heutigen Schrotturm aufgestockt worden. Damals prägte auch ein simpler Schuhmacher namens Johannes Rust im Volksmund den „Rusterberg“.
Das unrühmlichste Kapitel schrieb das Dritte Reich: Zur allerorten unverzichtbaren Adolf-Hitler-Straße erkor man die Spitalstraße. Die heutige Friedrich-Ebert-Straße widmete man Hermann Göring, die Gymnasiumstraße dem Nazi-Märtyrer Horst Wessel. Fast unerschöpflich ranken sich die historischen Geschehnisse aus 1217 Jahren Stadtgeschichte um die Ortsbezeichnungen. Einige sind aus heutiger Zeit nicht mehr oder nicht eindeutig erklärbar, so Silke Sieben: Linsengasse, Rosengasse, Petersgasse oder Hadergasse zum Beispiel.
Für einen speziellen, aber auch kompletten Überblick über sämtliche Straßen Schweinfurts empfiehlt sie die neue Auflage des „Adressbuch Schweinfurt“, das alle Straßennamen kurz erläutert und im Bürgerservice im Rathaus kostenlos erhältlich ist.
Silke Siebens nächste Stadtführung „Straßennamen erzählen Geschichten“: Samstag, 9. August, ab 15 Uhr. Karten am Treffpunkt Rückert-Denkmal oder im Vorverkauf in der Tourist-Info in der Brückenstraße 20, Tel. (0 97 21) 51 498.