Junge Sportlerinnen im Vereins-T-Shirt, Familien mit kleinen Kindern, Funktionäre der Turngemeinde 48. Alle sind sie da beim Sonntagsbrunch in der Vereinsgaststätte. Wie so oft, wenn Wirt Lothar Kreile die Kombination von Frühstück und Mittagessen anbietet. Doch diesmal ist es ein besonderes Ereignis: Kreiles letzter. Sein Abschieds-Brunch. Nach 45 Jahren in der Küche des Vereinsheims hört Lothar Kreile auf.
Kreile ist Rekordhalter. Keiner in Deutschland hat so lange eine Vereinwirtschaft betrieben wie er. So zumindest erzählt es Junioren-Fußball-Trainer und Freund der Kreile-Familie, Bernd Rausch, am Tisch; beim 40-Jährigen habe dies ein Vertreter des Sportverbands so berichtet. Und keiner in der TG hat Grund zum Zweifel.
In jedem Fall ist es äußerst ungewöhnlich, dass ein Pächter eine Vereinsgastwirtschaft so lange betreibt, wie Lothar Kreile. Die Wand neben der Theke ist übersäht mit Jubiläumsurkunden.
Aus der Hadergasse zur TG
Dabei, so sagt Kreile im Gespräch, habe er nie eine Vereinsgastronomie führen wollen. Er hat in Rothenburg Konditor gelernt, in Bad Kissingen Koch. Er stand am Herd der Autobahnraststätte „Riedener Wald“ und übernahm die verwaiste Gaststätte „Rhönlust“ in der Schweinfurter Hadergasse. 1973 buhlt der TG-Vorstand um den Gastwirt. Ehefrau Hildegard unterstützt das Werben. In der „Rhönlust“ „ist ihm in der Küche ja die Decke auf den Kopf gefallen“, berichtet sie über die beengten Verhältnisse.
Blasmusik und Oberbürgermeister empfangen die Kreiles beim beruflichen Umzug in den Lindenbrunnenweg. „Hier kocht der Chef selbst“ verkünden die heute leicht vergilbten Vereinsnachrichten von damals. Das ist auch so geblieben. „Sportheim ist ein heißes Eisen“, sagt der Gastwirt. Denn viele aus einem Verein wollten gerne mal mitreden oder dem Pächter zeigen, wer der wahre Herr im Haus ist. Nach wenigen Wochen als Wirt hat Kreile ein allzu aufsässiges Vereinsmitglied kurzerhand vor die Tür gesetzt. Die Fronten waren geklärt.
Helmut Kohl und lange Faschingsabende
Und Kreile war für die Mitglieder da. Für die Kartler, für die Durstigen nach dem Training für die Familien am Sonntagmittag. Über die Jahre hat sich das Wirts-Ehepaar angesichts einer sich wandelnden Ausgeh-Kultur neue Gästegruppen erschlossen, aus anderen Vereinen etwa. Der Zehnkämpfer Jürgen Hingsen war zu Gast. Kanzler Helmut Kohl auch. Bei einer Wahlveranstaltung in der angrenzenden TG-Halle. Kreile kredenzte zur 1200-Jahr-Feier der Stadt die „größte
der Welt“ und bewirtete 1000 Landfrauen rund um Franz-Josef Strauß' Witwe Marianne. Nicht zu vergessen, die vielen TG-Faschingsabende. Kochen bis die Töpfe glühen.
„Es war unser Leben“, bilanziert Hildegard Kreile. die Zeit in der Wirtschaft. „Ohne sie wäre es nicht gegangen“, sagt Lothar Kreile knapp über den Anteil seiner Frau. Mit großer Hochachtung im Tonfall. Sie hat nicht nur mitgearbeitet, sondern ihm auch den Rücken freigehalten. Mit einer Familie mit vier Kindern und inzwischen acht Enkeln und zwei Urenkeln kein einfaches Unterfangen. Oft, so sagt sie, hat sie die Pausenbrote für die Kinder nachts geschmiert. Seit 55 Jahren sind beide ein Paar.
Treue Helfer
Ohne zusätzliche Hilfe sei das Pensum nicht zu schaffen gewesen, sagt Hildegard Kreile. Die Familie stand zu allerst bereit, der Schwiegersohn zum Beispiel grillte Spanferkel am offenen Feuer. Dazu kam treues Personal, das über eine Generation hinweg den Wirtsleuten zur Seite stand. Wie die Familie Niestroj. Mutter, Tochter, Schwiegertochter - alle kennen jeden Handgriff in der TG-Gaststätte.
Nachfolgerin steht bereit
In einer kurzen Ansprache stellt Lothar Kreile am Sonntag seine Nachfolgerin Amnath Sengsoulavong vor, die alle nur „Nuni“ nennen. Sie werde nicht nur die Räume renovieren, sondern auch neuen Pfiff in die Speisekarte bringen, sagt Kreile. Doch mit der neuen Chefin mit laotischen Wurzeln wird es keinen Umsturz in der TG-Wirtschaft geben. Sie steht für Kontinuität, gehört schon seit elf Jahren Kreiles Mannschaft an und ist wie er im Verein aktiv. Kreile leitet seit Jahrzehnten die Fußballabteilung, Sengsoulavong trainiert ein Mädchen-Fußballteam.
Es wird ein schleichender Übergang. Ein paar Veranstaltungen noch, dann ist die Kreile-Ära offiziell beendet. Allerdings: Er wird schon noch aushelfen, wenn er gebraucht wird, schaut der scheidende Wirt seine Nachfolgerin lächelnd an. Loslassen kann schwer sein.
Leben ohne Terminkalender
„Wir freuen uns“, blickt Hildegard Kreile auf den kommenden Lebensabschnitt. Auf mehrtägige Ausflüge, „ohne auf den Terminkalender zu schauen“. Oder auf gemeinsame Stunden im heimischen Garten. Oder sie wird ihn verdonnern, „die Füße stillzuhalten“ und mal ein Buch zu lesen. Leicht wird das nicht.
Für ein längeres Gespräch hat Lothar Kreile am Sonntag keine Zeit. „Ich muss Mittagessen machen“, sagt er und verabschiedet sich in die Küche. Gäste warten zu lassen, geht gegen die Gastwirts-Ehre. Auch beim Abschieds-Brunch.