"Mein Leben beim Arbeitsdienst, bei der Wehrmacht, beim Afrikakorps und in Kriegsgefangenschaft von 1940 bis 1947" heißt der Titel seiner Aufzeichnungen, die in Buchform vorliegen, aber nicht verlegt sind. Erst mit 96 Jahren hat Richard Wachtel aus Gerolzhofen angefangen, sein soldatisches Leben aufzuzeichnen. Grundlage dafür sind tagebuchartige Kurzfassungen des Erlebten. Sowohl seine Niederschrift als auch das Gespräch mit ihm zeigen, dass er sich noch sehr detailreich an das erinnert, was er vor 70 und mehr Jahren durchgemacht hat.
Richard Wachtel hat die ganze Offensive in Nordafrika mit dem Ziel Suez-Kanal mitgemacht. Am Beginn des Rückzugs geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. "Mit dem heutigen Tag beginnt das Soldatenleben", schreibt Wachtel über den 20. Oktober 1940, den Tag, an dem er Gerolzhofen mit dem Zug verließ, um die ihm zugeteilte Stelle beim Reichsarbeitsdienst (RAD) in Straßburg anzutreten. Die elsässische Stadt war zu diesem Zeitpunkt schon von den Deutschen besetzt.
"Angebrüllt von allen Seiten"
Sein erster Eindruck beim RAD: "Angebrüllt von allen Seiten. Man kommt sich vor, wie ein kleiner, dummer Junge." Bis in den Winter hinein arbeitete der Gerolzhöfer an der Beseitigung der Maginot-Linie mit, mit der die Franzosen einen deutschen Frontalangriff abwehren wollten. Richard Wachtel beschreibt aber auch die wenigen Lichtblicke beim RAD, zum Beispiel Heiligabend 1940. Oder Silvester, bei dem "mich Wein und Sekt umgeworfen hatten."
Am 31. Januar 1941 war die RAD-Zeit vorbei, aber auf die Freude über die Heimkehr fiel schon ein schwerer Schatten. Per Telegramm wurde er aufgefordert, sich am 6. Februar in der Geisenau-Kaserne in Ansbach einzufinden. Da kam er dann gleich am nächsten Tag zur Leichten Artillerie, wo er auch in Afrika im Einsatz war. Mitten aus seinem Erntehelfereinsatz wurde der nun ausgebildete Soldat dem Afrikakorps zugeteilt.
Die Reise nach Neapel hat zunächst eher touristischen Charakter. Doch schon auf der Überfahrt nach Afrika wurde der deutsch-italienische Geleitzug von den Engländern fast völlig zerschossen. Richard Wachtel überlebte mit einigen Kameraden drei Tage auf dem Rettungsfloß, bevor ein deutscher Transporter die Soldaten rettete und nach Italien zurückbrachte.
Papst Pius XII begegnet
Dann blieb der Gerolzhöfer zunächst in Italien. In Rom begegnete er bei einer Audienz Papst Pius XII, der ihn sogar fragte, woher er komme. Mit Gerolzhofen konnte Pius nichts anfangen, aber die nächstgrößere Stadt Würzburg kannte er, sogar das Lusamgärtchen. Richard Wachtel schwindelte den Papst an, indem er sagte, er kenne das auch. In Wahrheit hat er erst Jahre später diesen Ort mit seiner Frau besucht.
Den zweiten Versuch, nach Afrika zu kommen, unternahm Richard Wachtels Einheit mit dem Flugzeug. In Tripolis betrat er dann erstmals afrikanischen Boden. Dann berichtet der Hochbetagte vom scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der Rommel-Truppe hinein nach Ägypten bei über 50 Grad Hitze, Sandsturm und begleitet von Millionen Fliegen.

Den 4. November 1942 hält Richard Wachtel dann als Beginn des Rückzugs fest. Schon eine Woche später ergab sich seine Einheit. "Es ging zu wie auf einer Hasenjagd", schreibt der einstige Soldat. Er sah viele Deutsche bei seinem letzten Gefecht neben sich sterben. Auf dem Rücktransport hinter die englischen Linien sah Wachtel, welch unglaubliches Nachschubpotenzial der Gegner hatte.
In Gefangenschaft wurde dem Soldaten alles abgenommen. Das Gefangenenleben war trist und am zweiten Weihnachtsfest 1943 erhielt Richard Wachtel vom Deutschen Reich 50 Piaster. Das reichte für ein halbes gebratenes Hähnchen und fünf Taschentücher. 1943 bilanziert der Gerolzhöfer als das schlechteste Jahr in seinem Leben. Richard Wachtel muss in Afrika im Straßenbau und im Steinbruch arbeiten. Das und die meist fleischlose Ernährung führen dazu, dass der Gefangene bis auf 80 Pfund abnahm.
Behandlung wird schlechter
Über die Engländer bekommen die Soldaten auch mit, dass sich der Krieg immer mehr zugunsten der Alliierten entwickelt. Am 17. April 1945 erfährt Richard Wachtel, dass seine Heimatstadt von den Amerikanern eingenommen wurde und dass ein Frauenaufstand Gerolzhofen vor der Zerstörung bewahrt hat. Nachdem der Krieg zu Ende war, wurde die Behandlung durch die Engländer noch schlechter. Richard Wachtel sagt heute: "Im Kampf waren die Engländer ein fairer Gegner, in Gefangenschaft haben sie uns aber nicht gut behandelt."
Im Oktober 1945 unternahm Richard Wachtel mit einem Mitgefangenen aus Coburg einen Fluchtversuch, unterstützt von einem Araber, der die Deutschen in Kaftane steckte. Mit Kamelherden ging es durch die Wüste; die Araber verhielten sich wohlgesonnen. Dabei kam Richard Wachtel zugute, dass er ein bisschen Arabisch gelernt hatte. Das Wörterbuch hat er heute noch daheim. Dann aber wurden die Flüchtlinge doch noch von einer englischen Patrouille aufgegriffen. "Selbst die Engländer zollten uns Respekt vor dieser Leistung auf der Flucht", erzählt Wachtel heute.
Immer wieder beschreibt der Autor die Menschen, die er durch dauernde Versetzungen in zahllosen Lagern Nordafrikas erlebt hat. Überall gibt es Korruption, Selbstbereicherung und Wucher in diesen ersten Nachkriegsjahren. Richard Wachtel macht gemeinsame Sache mit Engländern und vertickt als Hilfskraft im Polizeidienst englische Ware wie Mäntel und Bettwäsche für gute Piaster an Araber. "Da ging es uns richtig gut.."
Pyramiden und die Sphinx
1947 wartet dann alles auf die Entlassung. Wieder gibt es touristische Erlebnisse etwa bei den ägyptischen Pyramiden und der Sphinx. Im August beginnt dann die Heimfahrt durch das Mittelmeer und den Atlantik längs der Westküste Europas. Durch den Ärmelkanal und die Elbmündung geht es nach Hamburg. Nach sechs Jahren steht Richard Wachtel erstmals wieder auf deutschem Boden.
Das bedeutet aber nicht, dass Richard Wachtel frei ist. Jetzt kommen die Soldaten in Arbeitslager. Wachtel hatte schwere Waldarbeit bei Dachau zu leisten. Erst am Mittwoch, 17. September 1947, erhielt er schließlich seinen Entlassungsschein. Um 9.35 Uhr verließ er an diesem Tag als Zivilist das Lager Dachau, um 21 Uhr kam er mit einem Überseekoffer und zwei Seesäcken am Bahnhof in Gerolzhofen an.

Während bis zu dieser Stelle fast nur Militärdrill, Kasernen- und Lagerleben, Krieg, Tod und Hass die Schilderungen Wachtels dominieren, kommt in einem Nachtrag doch noch ein privates Bekenntnis. Richard Wachtel hat Ägypten traurig verlassen. Warum? Es ging doch Richtung Heimat und Freiheit. Grund für die Trübsal: Der Soldat hatte ein hübsches europäisches Mädchen kennengelernt und war gut in deren Haus aufgenommen worden. Beim Abschied hatte er versprochen, in zwei Monaten wiederzukommen. Doch seine Mutter überzeugte ihn, daheim zu bleiben. Und die Freundin wollte nicht nach Deutschland kommen.
Fremd in der Heimat
So wurde Richard Wachtel wie viele andere Kriegsheimkehrer zum Fremden in der Heimat. "Die Menschen waren anders geworden. Beim Gang durch die Stadt fielen mir die Häuser auf den Kopf", schreibt er. Erst nach zwei Jahren besserte sich das, als er seine Frau Magdalena kennen lernte, mit der er bis heute durchs Leben geht.
Warum nun hat Wachtel erst so spät seine Tagebuchaufzeichnungen zu einem Buch ausgeweitet? "Vielleicht interessiert sich doch noch jemand für das, was wir erlebt haben", sagt er im Gespräch.
Wer das Buch lesen möchte, kann es sich bei Richard Wachtel ausleihen, Gerolzhofen, Danzigstraße 17, Tel. (09382) 8732.