Wer durch die Nördliche Allee in Gerolzhofen spaziert, wird von den besonderen Anwohnern dort kaum etwas mitbekommen. Versteckt in Höhlen, die sich in alten Bäumen gebildet haben, nisten mindestens fünf Völker wilder beziehungsweise verwilderter Honigbienen. Woher sie stammen, kann man nur vermuten. Sie sind wohl irgendwann einem Imker ausgebüxt und haben sich dann durch Ausschwärmen vermehrt.
Der unbedarfte Laie mag staunen, was an fünf Bienenvölkern außergewöhnlich sein soll. Imker haben schließlich oft deutlich mehr Völker, deren Bienen-Kästen stehen oft dicht an dicht. Das Besondere in der Nördlichen Allee ist, dass die Honigbienen sich dort als Wildvölker niedergelassen haben. Sie leben damit so, wie einst alle Bienen, bevor der Mensch begonnen hat, sie zu züchten und quasi zu domestizieren, indem er sie in Kästen hält. Die Fachbezeichnung für die Bienenkästen, nämlich Beuten, deutet bereits an, worum es dem Menschen meistens geht, wenn er Bienen hat: Er möchte ihnen den Honig abnehmen.
Forscher interessieren sich für wilde Honigbienen
Dass Wissenschaftler, aber auch Imker, sich wieder stärker für wilde Honigbienen und deren Art zu leben interessieren, liegt an den Problemen, mit denen Honigbienen-Völker seit vielen Jahren kämpfen. Vor allem geht es dabei um die gefürchtete Varroamilbe, die ganze Völker bedroht, aber auch um weitere Parasiten oder auch eingeschleppte Insekten, wie die asiatische Hornisse oder der kleine Beutenkäfer. Wilde Honigbienen scheinen mit diesen Bedrohungen weit besser umgehen zu können, als die Zuchtvölker in den Bienenstöcken. Wenn man versteht, warum dies so ist, könnte man daraus womöglich einen Ausweg für die Honigbienen ableiten, eine Alternative zum Einsatz von Medikamenten, dem einzigen gängigen Mittel, auf das Imker derzeit zurückgreifen können, um ihre Völker zu retten.

Doch zurück in die Nördliche Allee, dem offenkundigen Wildbienen-Paradies. Für Manfred Schwarz ist die städtische Allee geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie durch vorausschauende Maßnahmen für wild lebende Honigbienen sowie unzählige weitere Insekten ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem sie sich wohl fühlen. Schwarz kommt aus Höchstadt/Aisch in Mittelfranken. Seit mehreren Jahren beobachtet und sucht er fachkundig nach Standorten wilder Honigbienen. Ihm ist kein zweiter Ort in der Region bekannt, wo sich innerhalb weniger Hundert Meter gleich fünf wilde Bienenvölker niedergelassen haben.
Lob für Gerolzhöfer Umgang mit Grünflächen und Bäumen
Der hiesige Erfolg kommt nicht von ungefähr, ist er sich sicher. Den Grund erkennt er im städtischen Grünflächen- und Baummanagement: Blühflächen mit ganzjährig wechselnden Nahrungsangebot für Bienen im Einklang mit den richtigen Pflegemaßnahmen, sind für ihn der eine Punkt, auf den es ankommt. Die andere Seite sei der umsichtige Umgang mit dem Altbestand an Bäumen. Die Gerolzhöfer Stadtgärtnerei halte diese verkehrssicher, würde aber nicht jeden hohlen Stamm und morschen Ast gleich entfernen. "Somit ist der Bestand an sogenannten Habitatbäumen ungewöhnlich hoch", meint Schwarz. "Zum Segen für die Bienen und viele andere Nützlinge."

Stadtgärtner André Ditterich freut sich über den sichtbaren Erfolg seiner Baumpflege-Philosophie. Er beobachtet die wilden Honigbienen in der Nördlichen Allee seit mindestens sechs Jahren, ununterbrochen, wie er sagt. Die Baumhöhlen, in denen die Bienen wohnen, sind in mehreren Metern Höhe. Ohne gezielte Suche sind sie kaum auszumachen. Eine Gefahr gehe von diesen nicht aus, meint Ditterich. Dies gelte auch für Besucher des Spielplatzes am Ende der Nördlichen Allee an der Rügshöfer Straße.
Auf Leitern geht's hinauf zu den Bienen-Waben
Über einen Zeitungsartikel war der Stadtgärtner auf Wildbienen-Fachmann Schwarz aufmerksam geworden und hatte Kontakt zu diesem aufgenommen. So kam es, dass der Mittelfranke im August 2020 erstmals nach Gerolzhofen kam, um selbst vor Ort nach den Wildbienen Ausschau zu halten. Schwarz staunte nicht schlecht, als er Ditterich das erste Mal sah. Wie sich herausstellte, kennt er Ditterichs Zwillingsbruder, der in Höchstadt wohnt.

Mit großen Leitern, die der Stadtgärtner mitgebracht hatte, stiegen die beiden an den Bäumen hinauf und fanden zwei Baumhöhlen, in denen Bienen lebten. Später entdeckte Schwarz dann noch ein drittes Volk, erinnert er sich.
Doch die Geschichte setzte sich in diesem Jahr fort. Im Frühjahr beobachtete der Stadtgärtner weitere Bienen. Und tatsächlich: Am 12. Juni, während eines erneuten Besuchs von Schwarz in Gerolzhofen, hatten sie zusammen am Ende fünf Wildvölker lokalisiert. Die Bienen hatten den vergangenen Winter also scheinbar gut überstanden, anders als die wilden Bienenvölker im Landkreis Erlangen-Höchstadt, die Schwarz dort beobachtet hat; von diesen hatte kein einziges den Winter überlebt.
Imker sollen von natürlichen Lebensweisen lernen
Schwarz sammelt seit vier Jahren eigene Erfahrungen in der Naturimkerei. Er hält Bienen in Beuten, in denen keine Rähmchen hängen. Er erntet keinen Honig. Sein Erstvolk, berichtet er, sei seit November vollkommen behandlungsfrei und somit resistent gegen Varroamilben, ein zweites Volk seit über drei Jahren. "Sie haben gelernt, mit der Varroamilbe zu leben und sie erfolgreich in Schach zu halten", sagt Schwarz. Für ihn kommt es darauf an, dass Imker wieder lernen, die natürlichen Lebensweisen der Bienen auf ihre Haltung der Bienen zu übertragen. Vielleicht erreicht er ja eines Tages sein Ziel, seine resistenten Völker in die extensive Honiggewinnung zu übertragen.

Bis dies erreicht ist, gilt es, möglichst viel Wissen über wilde Honigbienen und deren Überlebensstrategien zu sammeln. Daran arbeiten auch Sebastian Roth aus München, der mit Benjamin Rutschmann, der am Biocenter der Uni Würzburg promoviert, und Promotionsstudent Felix Remter, der zur Varroamilbe forscht, auf private Initiative hin die Internetplattform Beetrees betreibt. Dort sind zu Forschungszwecken, unter anderem seitens der Uni Würzburg und der TU München, Orte erfasst, an denen wilde Honigbienen leben. Zur Mithilfe ist jedermann aufgerufen, der wilde Honigbienen ausgemacht hat. Auch Schwarz meldet auf der Plattform die ihm bekannten Standorte.
Abstand der Völker richtet sich nach den Lebensräumen
Nach Einschätzung Roths ist die räumliche Häufung wilder Honigbienen-Völker in der Nördlichen Allee tatsächlich ungewöhnlich. Denn normalerweise würden die Völker möglichst große Abstände voneinander wahren, etwa um die Ausbreitung von Krankheiten von einem Volk zum anderen zu verhindern. Doch wenn das Lebensumfeld sehr gut ist und es genügend Plätze zum Anlegen der Waben gibt, dann würden Bienen auch in freier Natur enger beieinander leben. In Gerolzhofen scheinen die Umstände also tatsächlich zu passen.
Wolfgang Schwarz ist für Hinweise auf wilde Honigbienen dankbar und gibt diese Infos gerne an das Forschungs- und Erfassungsportal Beetrees weiter. Erreichbar ist er per E-Mail: der-schwarz@t-online.de