Im Herbst 1912 kehrte die 26-jährige Ritaschwester Rita Wagner von Köln nach Würzburg zurück. Am Rhein hatte sie nach einjähriger Ausbildung das Examen als staatlich anerkannte Krankenpflegerin abgelegt. Nun wartete ihr erster Einsatzort auf sie: das 1885 eröffnete jüdische Krankenhaus und das benachbarte Altersheim in der Dürerstraße im unteren Frauenland.
Die Tochter eines Bahnwärters, der früh gestorben war, hatte zuvor als Putzmacherin bei der Würzburger Firma Seißer gearbeitet. Im exquisiten, tonangebenden Kaufhaus in der Schönbornstraße hatte sie aus unterschiedlichsten Materialien Hüte für elegante Würzburgerinnen geformt und dekoriert, doch diese Tätigkeit füllte sie nicht aus.
Rita wollte für andere Menschen da sein, und so war sie am 1. Oktober 1911 als eine von fünf Frauen in die gerade gegründete Gemeinschaft der Ritaschwestern eingetreten, die Krankenpflege und Familienhilfe als ihre Aufgabe betrachteten.
Die Ritaschwestern hatten sich ein weites Arbeitsfeld gewählt, wie im Würzburger Adressbuch aus jenen Jahren nachzulesen ist: „Pflege von Kranken jeder Konfession, unentgeltliche Pflege der Armen und gering Bemittelten, Wochenbett- und Säuglingspflege, in Familien ohne Dienstboten auch Hauspflege.“
Schon im ersten Jahr nach der Gründung trat der überkonfessionelle Ansatz – für die damalige Zeit durchaus keine Selbstverständlichkeit – deutlich hervor. 1912 pflegten Ritaschwestern 111 kranke Katholiken, 13 Protestanten und 12 Juden in deren Heim.
Nur knapp zwei Jahre währte die erste, ruhige Phase von Rita Wagners Tätigkeit in der Dürerstraße, dann begann im August 1914 der Erste Weltkrieg. Zahlreiche Würzburger Juden meldeten sich freiwillig an die Front; 40 jüdische Kriegsteilnehmer aus der Domstadt bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben.
Sofort stellte Oberarzt Robert Sprinz das Krankenhaus dem Roten Kreuz als Lazarett zur Verfügung. Sein Sohn Otto zog 1914 als Arzt in den Krieg; er starb am 21. März 1918 im Alter von 26 Jahren den – wie es damals hieß – „Heldentod fürs Vaterland“.
Rita Wagner verließ bald darauf das Krankenhaus und übernahm für einige Jahre die Leitung der Kongregation der Ritaschwestern. Eine besonders wichtige Rolle in Altersheim und Hospital spielte danach ihre Mitschwester Elisabeth Wenzel. Ab Juni 1921 war diese in der Dürerstraße tätig, ab 1936 als Oberin des Krankenhauses.
Von allen Ritaschwestern war sie am längsten und intensivsten mit der Einrichtung verbunden, denn nach einer erzwungenen dreieinhalbjährigen Unterbrechung setzte Elisabeth Wenzel ihre Tätigkeit ab 1945 für weitere 15 Jahre fort.
1926 übernahm der Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden einen Anbau des Krankenhauses in der Dürerstraße als „Landesheim für Sieche“, in dem pflegebedürftige Juden aus ganz Bayern untergebracht wurden. Um die Aufnahmekapazität zu erweitern, errichtete der Verband für 140 000 Reichsmark zudem einen Erweiterungsbau. Als weiteres Altersheim erwarb die jüdische Gemeinde im Oktober 1933 ein Haus in der benachbarten Konradstraße.
Elisabeth Wenzels Mitschwester Kreszentia Mark war drei Jahre lang im jüdischen Krankenhaus eingesetzt und fand nur positive Worte für die Atmosphäre, die dort herrschte. „Die Juden waren sehr gut zu uns“, erinnerte sie sich später. „Wir hatten auch keinerlei Schwierigkeiten in der Ausübung unserer Ordenspflichten. Unser Mittagessen brachten Kandidatinnen vom Mutterhaus; Frühstück und Abendessen bekamen wir im Haus.“
Als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen, veränderte sich die Situation der jüdischen Sozialeinrichtungen gravierend. Aus den Landgemeinden strömten viele Juden in die Städte, wo sie hofften, in größerer Anonymität und unbehelligt leben zu können. Ältere Menschen und Pflegebedürftige, deren Verwandte bereits emigriert waren, bewarben sich um einen Platz in den Würzburger Altersheimen. Diese waren bald so überfüllt, dass Räume des Krankenhauses zweckentfremdet werden mussten. Nach wie vor waren mehrere Ritaschwestern in der Dürerstraße tätig; sie gehörten zu den wenigen Nichtjuden, denen zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßige Kontakte mit Juden erlaubt waren.
Somit konnten und mussten sie aus nächster Nähe die Vorbereitungen zur ersten Deportation miterleben, die am 27. November 1941 stattfand und die auch Heinrich Klein, den letzten Verwalter der Einrichtung, sowie seine Frau Hedwig und die sechsjährige Tochter Beate betraf. Alle drei wurden ermordet.
Für 1942 waren noch weit größere Aktionen geplant, und es galt, vor deren Anlaufen die letzten Nichtjuden aus dem jüdischen Umfeld zu entfernen. Wahrscheinlich durfte Anfang 1942 nur noch Schwester Elisabeth Wenzel in der Dürerstraße arbeiten. „Durch die äußeren Verhältnisse gezwungen“ – wie es im Zeugnis heißt und womit wahrscheinlich ein Befehl der Gestapo gemeint ist – musste sie ihre Tätigkeit jedoch schon Mitte Februar 1942 beenden.
Am 17. Februar schrieb Eugen Stahl, der oberste Repräsentant der noch verbliebenen Würzburger Juden, einen Brief an das Provinzialat der Augustiner am Dominikanerplatz: „Beim Scheiden der Schwester Oberin Elisabeth aus unserem Heime drängt es uns, auch Ihnen gegenüber nochmals unseren aufrichtigsten und innigsten Dank zum Ausdruck zu bringen für all das, was in diesen Jahren von den Schwestern des Ritaordens in täglicher Erneuerung an aufopfernder und hingebender Pflege und Fürsorge in nie ermüdlichem Fleiße gewirkt wurde“, schrieb Stahl, der wenig später ebenfalls ermordet wurde.
„Wir danken zugleich im Namen der tausend Insassen und Patienten, die in diesen langen Jahren in leidvollen Tagen und in langen Nächten das segensreiche Walten Ihrer Schwestern empfunden haben“, hieß es in den Brief weiter. „Seien Sie gewiss, dass wir dieses Werk der Nächstenliebe nie vergessen werden.“
Unter den am 23. September 1942 aus Würzburg Verschleppten befand sich der 81-jährige Robert Sprinz; 1932 hatte er seine Frau Cäcilie verloren. Die Tochter Marie, einziges Kind außer dem 1918 gefallenen Sohn Otto, war Anfang November 1938 mit Mann und Kindern nach Houston in Texas emigriert; auch Robert Sprinz hatte 1940 – erfolglos – einen Auswanderungsversuch unternommen. Er erlag am 20. Februar 1943 den unmenschlichen Bedingungen im Getto Theresienstadt.
Beim Bombenangriff des 16. März 1945 wurden das jüdische Krankenhaus und das benachbarte Altersheim völlig zerstört, während das Landesheim nur mittelschwere Beschädigungen erlitt. Letzteres entwickelte sich zur Keimzelle der neuen Gemeinde, da auch deren Gebäude in der Domerschulstraße weitgehend vernichtet waren.
In den Wochen nach Kriegsende kehrten einzelne Holocaust-Überlebende nach Würzburg zurück. Die meisten kamen im ehemaligen Landesheim unter.
In einer Chronik der Ritaschwestern findet sich bereits unter dem 7. Juli 1945 ein Eintrag, der dokumentiert, als wie selbstverständlich die Verbindung zwischen Juden und Ritaschwestern immer noch betrachtet wurde: „Für das wiedereröffnete jüdische Kranken- und Altersheim wurden von der Stadt Schwestern angefordert.“ Nach dreieinhalbjähriger Unterbrechung nahm Elisabeth Wenzel ihren Dienst erneut auf, wobei sie gelegentlich von weiteren Ritaschwestern vertreten oder unterstützt wurde.
Im Sommer 1959 erkrankte die 65-Jährige schwer und die Ritaschwestern baten die Gemeinde, sich an den Krankenhauskosten zu beteiligen, da für Ordensschwestern keine Versicherungspflicht bestand. Der seit 1958 amtierende Vorsitzende David Schuster schrieb am 18. August 1959: „Wenn unsere finanziellen Verhältnisse nicht so schlecht wären, würden wir es gern als unsere vornehmste Aufgabe betrachten, die vorgelegte Rechnung sogar voll zu bezahlen.“ Die Kultusgemeinde überwies schließlich 400 DM, was einem Drittel entsprach.
Elisabeth Wenzel nahm nach der Operation ihre Arbeit im Altersheim nochmals auf, doch war sie gesundheitlich so geschwächt, dass Konrada Wolf, die Generaloberin der Ritaschwestern, am 1. Juli 1960 der Gemeinde die Kündigung zum 1. August mitteilten musste und hinzufügte: „Wegen des bestehenden Schwesternmangels ist es uns leider nicht möglich, diese Stelle durch eine andere Schwester zu besetzen.“
Ende Juli 1960 kam Schwester Elisabeth Wenzel ins Mutterhaus in der Friedrich-Spee-Straße zurück; sie starb am 8. Oktober 1960. In einem Nachruf der Ritaschwestern heißt es über ihre Tätigkeit für die Würzburger Juden: „Die Patienten und alten Leute hingen an ihr, als sei sie ihre Mutter.“
Stolpersteine und Vortrag
Am Dienstag, 28. Juni, werden drei von den Ritaschwestern gestiftete Stolpersteine verlegt: 14.45 Uhr, Konradstraße 7 (für den Verwalter von Krankenhaus und Altersheimen Heinrich Klein), 15.10 Uhr, Dürerstraße 14 (für Krankenhausarzt Dr. Robert Sprinz und Malchen Billigheimer, Bewohnerin des Altersheims von 1907 bis 1942). Bereits am Montag, 27. Juni, hält Main-Post Redakteur Roland Flade um 19.30 Uhr im Mutterhaus der Ritaschwestern, Friedrich-Spee-Straße 32, einen Vortrag über den Einsatz der Ritaschwestern für die Juden zwischen 1912 und 1960. Er zeigt auch zahlreiche zeitgenössische Fotos. Anmeldung: Tel. 8 80 40.