Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

Würzburg: Afrika-Kenner Bartholomäus Grill kommt nach Würzburg: "Es werden nicht 150 Millionen Afrikaner zu uns kommen"

Würzburg

Afrika-Kenner Bartholomäus Grill kommt nach Würzburg: "Es werden nicht 150 Millionen Afrikaner zu uns kommen"

    • |
    • |
    Afrika-Korrespondent Bartholomäus Grill auf dem Kamelmarkt von Agadez im Niger. Am 17. Oktober 2022 kommt er zu einer Lesung nach Würzburg.
    Afrika-Korrespondent Bartholomäus Grill auf dem Kamelmarkt von Agadez im Niger. Am 17. Oktober 2022 kommt er zu einer Lesung nach Würzburg. Foto: Ricci Shryock

    Seit über drei Jahrzehnten berichtet er vom afrikanischen Kontinent – unter anderem für den "Spiegel" und die "Zeit". Bartholomäus Grill gilt als der erfahrenste Afrika-Korrespondent in Deutschland. Am 17. Oktober kommt der 68-Jährige zu einer Lesung nach Würzburg. Ein Gespräch über afrikanische Hoffnungen, Miseren und Einflüsse von außen.

    Frage: Herr Grill, hat sich Ihr Blick auf den Kontinent in 40 Jahren verändert?

    Bartholomäus Grill: Ja, gewiss. Aber man könnte auch umgekehrt fragen: Wie hat die Zeit in Afrika mich verändert?

    Wie denn?

    Grill: Ich habe einige Lektionen gelernt über die Ungleichheit auf der Welt, über die große Kluft zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden. Über Probleme, die sich in Afrika früher zeigten als bei uns – zum Beispiel den Klimawandel. In der Sahelzone hat man damit schon seit langer Zeit zu kämpfen. Was globale Probleme angeht, ist Afrika der Entwicklung voraus. Leider.

    Sie sind in den 80ern mit viel Idealismus nach Afrika gegangen. Was ist davon geblieben?

    Grill: Am Anfang war ich ein Dritte-Welt-Bewegter, wie man damals sagte – mit der Absicht, Afrika zu retten. Das habe ich mir schnell abgeschminkt. Jetzt würde ich mich als Afro-Realisten bezeichnen. Als einen, der nicht die Untergangsprognosen teilt, also diese Geschichten über den K-Kontinent der Kriege, Krisen und Katastrophen. Und umgekehrt bin ich nicht so ein blauäugiger Chronist, der jeden kleinen Fortschritt zum großen Aufbruch hochjubelt. Ich sehe mich dazwischen.

    Blick ins Archiv: Afrika-Korrespondent Bartholomäus Grill im Gespräch mit Südafrikas Präsident und Freiheitshelden Nelson Mandela. 
    Blick ins Archiv: Afrika-Korrespondent Bartholomäus Grill im Gespräch mit Südafrikas Präsident und Freiheitshelden Nelson Mandela.  Foto: Privatachriv Grill

    Sie differenzieren, wo es ansonsten viele Klischees gibt zwischen Katastrophen und einer Afrika-Romantik...

    Grill: Oh ja. Es ist entweder der exotische, abenteuerliche, heitere Kontinent mit Menschen, die immerzu trommeln und tanzen. Oder es ist das Herz der Finsternis: die Bluthölle, der verlorene Teil der Welt und so weiter.

    Wie bekommen wir denn ein realistischeres Bild?

    Grill: Es hängt nicht zuletzt davon ab, wie Medien bestimmte Regionen wahrnehmen. Ich glaube, diese Klischees und Stereotype gelten nicht nur für Afrika. Was wissen wir zum Beispiel über Portugal? Je näher uns ein Thema liegt, je bedrohlicher es wirkt wie etwa jetzt der Krieg in der Ukraine, umso wichtiger wird es. Was weit weg ist, beschäftigt uns weniger. Das gilt für Journalisten genauso wie für Leserinnen und Leser.

    Haben umgekehrt Menschen in Afrika falsche Traumvorstellungen von Europa?

    Grill: Natürlich. Es gibt das Klischee vom goldenen Europa, in dem Milch und Honig fließen. In Zeiten der digitalen Revolution kann man auch im hintersten Winkel Afrikas verfolgen, in welchem Wohlstand wir leben. Da stehen die positiven Dinge, das Glücksversprechen Europas als gelobter Kontinent im Mittelpunkt und nicht die Probleme, die Migrantinnen und Migranten hier erwarten.

    Mit Gottvertrauen unterwegs in Afrika: Korrespondent Bartholomäus Grill auf einem local transport im Süden Nigerias.
    Mit Gottvertrauen unterwegs in Afrika: Korrespondent Bartholomäus Grill auf einem local transport im Süden Nigerias. Foto: Pascal Maitre

    Wie sehr berührt es Sie, wenn Geflüchtete dann bei uns stranden, nicht zurechtkommen oder gar gewalttätig werden? Man denke an den psychisch kranken Somalier, der in Würzburg drei Menschen getötet hat.

    Grill: Dass die Integration oft nicht funktioniert, ist ein großes Problem. Geflüchtete kommen häufig mit unserer Kultur nicht zurecht, vor allem junge Männer aus islamisch geprägten Ländern. Man wird leider Gewalttaten, egal von wem sie begangen werden, nie ganz verhindern können. Allerdings muss man sagen: Die große "Fluchtwelle", von der man angesichts der Migration im Jahr 2015 ausging, ist ein Bedrohungsszenario, das nicht den Fakten entspricht. Es werden nicht 150 Millionen Afrikaner zu uns kommen und uns "überschwemmen", das ist Quatsch. Nach neueren Prognosen wird der Anteil Afrika-stämmiger Menschen zur Mitte dieses Jahrhunderts in Europa bei 3,3 Prozent liegen. Leider nehmen wir Afrika zu sehr als Bedrohung wahr. Das machen die Chinesen anders...

    ... mit einer enormen Präsenz und Dominanz auf dem Kontinent. 

    Grill: Sie sehen Afrika als Chance und nicht als Risiko. Deshalb hat China dort längst die traditionellen Handelspartner aus Europa und Nordamerika überholt.

    Und China fragt nicht lange nach den Menschenrechten.

    Grill: Stimmt. Sie mischen sich nicht ein in innere Angelegenheiten. Sie verfolgen ihre Strategie als Wirtschaftsweltmacht des 21. Jahrhunderts mit einem unglaublichen Rohstoffhunger. Afrika hat viele Rohstoffe und ist zum anderen ein riesiger Markt. Dort kann man dann seine Billigprodukte absetzen. Unsere Auflagen bei Menschenrechten, Arbeits- oder Umweltschutz sind chinesischen Investoren ziemlich egal. Wobei wir selbst in einer Doppelmoral gefangen sind, denn unsere großen Konzerne unterlaufen die Konditionen oft selbst.

    Afrika-Korrespondent Grill 2014 im Interview mit Ellen Johnson Sirleaf, Staatspräsidentin Liberias und Friedensnobelpreisträgerin (2011), im Außenministerium in Monrovia.
    Afrika-Korrespondent Grill 2014 im Interview mit Ellen Johnson Sirleaf, Staatspräsidentin Liberias und Friedensnobelpreisträgerin (2011), im Außenministerium in Monrovia. Foto: Martin Gütter

    Immer öfter sind auch russische Fahnen auf dem Kontinent zu sehen. Wie weit reicht der Arm Moskaus in Afrika?

    Grill: Wir beobachten einen zweiten Wettlauf um Afrika, an dem eine Reihe von neuen globalen Playern teilnehmen. Neben China geht das von der Türkei über Indien und Brasilien, die Golfstaaten bis Russland. Dessen Einfluss ist besonders schädlich, vor allem die militärischen Aktivitäten über die Söldner-Truppe Wagner.

    Viele afrikanische Staaten haben sich bei der UN-Abstimmung zur Verurteilung von Russlands Krieg in der Ukraine enthalten.

    Grill: Das heißt nicht, dass sie für Putin sind. Aber sie teilen eben auch nicht die Bedenken Europas und Amerikas – so wie sich Amerikaner und Europäer wenig für die Konflikte in Afrika interessieren. Und so bleibt man neutral, hält Äquidistanz, schlägt sich auf keine Seite. Dazu gibt es Sonderfälle wie Südafrika, das über die sogenannten BRICS-Staaten in einer Wirtschaftsallianz fünf großer Länder mit Russland verbunden ist. So richtig hinter Putin steht aber nur ein Land, das ist Eritrea und sein übler Diktator.

    Am Montag, 17. Oktober, kommt Bartholomäus Grill zu einer Lesung aus seinem aktuellen Buch "Afrika! Rückblicke in die Zukunft eines Kontinents" nach Würzburg. Beginn ist um 19.30 Uhr im Burkardushaus (Am Bruderhof). Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden