Die beiden Stars, die im Sommer 1945 vor der ausgebrannten Residenz auf einer eilig zusammengezimmerten hölzernen Bühne stehen, sind Stars. 1942 waren sie die Hauptdarsteller in legendären Anti-Nazi-Filmen gewesen: Ingrid Bergman in "Casablanca" mit Humphrey Bogart, Jack Benny in der Tragikomödie "To Be or Not to Be" von Ernst Lubitsch. Das weiß der Durchschnitts-Deutsche freilich nicht, denn die Streifen waren im "Dritten Reich" der Nationalsozialisten verboten gewesen.
Die Würzburger ahnen also nicht, welche weltberühmten Schauspieler da im Rahmen der Truppenbetreuung vor Hunderten von Besatzungssoldaten auftreten – auch deshalb, weil es in jenem Sommer 1945 noch keine Tageszeitung gibt. Die "Main-Post" wird erst im folgenden November von den US-Behörden zugelassen werden.
Zwei Hollywood-Stars zwischen Trümmern
Ohnehin haben die Bürgerinnen und Bürgerin der wenige Monate zuvor fast völlig zerstörten Stadtandere Interessen als ein Gastspiel von Hollywood-Größen. Viele hausen in feuchten Ruinenkellern oder Gartenhäusern, wenn sie nicht zwangsweise in die Umgebung evakuiert sind. Es gibt zu wenig zu essen, die Schulen sind geschlossen. Und aus den Ruinen werden täglich noch Leichen geborgen.
In dieses Chaos kommen zwei Stars. Die 29-jährige Schwedin Ingrid Bergman hat in den USA Karriere gemacht. Am 14. Mai 1945 ist ihr aktueller Film "The Bells of St. Mary’s" in den Paramount Studios in Los Angeles abgedreht worden. Danach hat sie frei und reist im Juni zunächst nach Paris, wo sie im eleganten Hotel Ritz residiert. In Paris trifft sie den ungarischen Kriegsfotografen Robert Capa - und verliebt sich.
Im Sommer auf Tournee für die GIs in Deutschland

Ihr Begleiter in Würzburg und anderen Städten der amerikanischen Besatzungszone ist der 51-jährige Jack Benny, einer der populärsten Komiker der USA, der auch hervorragend Geige spielt und eine Stradivari besitzt. Am 27. Mai ist im Radio die vorerst letzte Folge der "Jack Benny Show" gelaufen. Bevor es im Herbst weitergehen sollte, stellt sich der Komiker für eine Tournee vor GIs in Deutschland zur Verfügung.
Dass Benny auch auf der Leinwand überzeugen kann, hatte er drei Jahre zuvor in Ernst Lubitschs Film "To Be or Not to Be" ("Sein oder Nichtsein") gezeigt, in dem er als Schauspieler Joseph Tura im von Deutschen besetzten Warschau in allerlei brenzlige Situationen kommt und am Schluss die Nazis übertölpelt.

Als Ingrid Bergman und Jack Benny im Sommer vor der Residenz stehen, fotografiert sie einer der amerikanischen Zuschauer über die Köpfe der vor ihm stehenden GIs hinweg. Viele Jahrzehnte später wird der Würzburger Sammler Alexander Kraus den bislang unveröffentlichten Schnappschuss erwerben, zusammen mit einem anderen Foto, das die populäre Sängerin Martha Tilton ebenfalls auf der Bühne am Frankoniabrunnen zeigt.
Auch Larry Adler, der virtuos Mundharmonika spielt, nimmt an der Tournee teil und ist wahrscheinlich auch in Würzburg dabei. Auf der Rückseite der Bilder bezeichnet der unbekannte Fotograf die Residenz übrigens fälschlich als Würzburger Universität.
Fotografieren streng verboten!
Bürgern der Stadt wäre es zu dieser Zeit untersagt, ein Ereignis wie das Gastspiel von Ingrid Bergman zu fotografieren - wenn sie überhaupt davon erfahren würden. Auf das strenge Fotografier-Verbot weist Gustav Pinkenburg, der von den Amerikanern eingesetzte Oberbürgermeister, in jenem Sommer 1945 in einem an die Bürger verteilten Wurfzettel hin. Geschäften ist es untersagt, Filme zum Entwickeln anzunehmen. Für GIs gelten solche Verbote selbstverständlich nicht.
Mit dem gespenstischen Gerippe der Residenz im Hintergrund singt Ingrid Bergman vor dem Frankoniabrunnen und liefert sich wohl auch witzige Wortgefechte mit dem Komiker Jack Benny. Links von ihr ist auf dem Foto die Steinfigur des nachdenklichen Dichters Walther von der Vogelweide zu sehen, rechts der Bildhauer Tilman Riemenschneider. Und über allen steht die Frankonia mit der fränkischen Sturmfahne und einen Lorbeerkranz in den Händen.

Weniger Begeisterung dürftet bei den zuschauenden amerikanischen Soldaten wohl hervorrufen, dass Ingrid Bergman aus dem neuen Stück über Jeanne d’Arc ("Joan of Lorraine") des amerikanischen Dramatikers Maxwell Anderson rezitiert. Das ist harter Stoff, zeigt aber, dass sich die Schauspielerin, wie auch bei Dreharbeiten in Hollywood, kaum hereinreden lässt.
Die Veranstaltung in Würzburg wird nicht nur hinsichtlich des Publikums eine rein amerikanische Angelegenheit. Auch der Hausherr der Residenz ist ein Amerikaner und nicht, wie vorher und später wieder, die Bayerische Schlösserverwaltung. Über die wichtigsten Baudenkmäler der Domstadt herrscht John D. Skilton, ein amerikanischer Kunstschutzoffizier und somit einer jener "Monuments Men", denen George Clooney als Regisseur und Hauptdarsteller 2014 in gleichnamigen Film ein cineastisches Denkmal setzen wird.
John D. Skilton, Retter der Kulturschätze
Der 1909 geborene Skilton ist am 18. Juni 1945 in Würzburg angekommen. Der Offizier der Denkmalschutzabteilung der Militärregierung kennt als Kunsthistoriker und Mitarbeiter der Nationalgalerie in Washington die Bedeutung der Residenz und ihrer einzigartigen Innenausstattung. Was er sieht, erschreckt ihn zutiefst. Das Dach ist ein ausgebranntes Gerippe, die weltberühmten Tiepolo-Fresken auf dem am 16. März 1945 erhalten gebliebenen Gewölbe über dem Treppenhaus befinden sich in größter Gefahr. Falls es länger regnet, wird Feuchtigkeit das Mauerwerk sprengen, von winterlichem Frost ganz zu schweigen.
Skiltons drängendstes Problem ist daher die Beschaffung der ungeheuren Holzmengen, die er benötigt, um ein Notdach über dem Treppenhaus und dem Kaisersaal zu errichten. Bisher haben Würzburger, unter ihnen der Kunsthistoriker und Madonnenexperte Rudolf Edwin Kuhn, die Gewölbe mit Zeltplanen erst provisorisch und nur teilweise abdecken können.
Mit den Bühnenbrettern das Treppenhaus gesichert
Während Skilton verzweifelt versucht, Holzbalken und Dachpappe zu besorgen – wobei andere amerikanische Stellen sich wenig kooperativ zeigen – erfährt er, dass die für die Truppenbetreuung zuständige Organisation vor der Residenz eine Veranstaltung mit Ingrid Bergman und Jack Benny plant. Direkt vor dem Frankoniabrunnen soll die Bühne stehen. Skilton sieht seine Chance gekommen.
Er erteilt die nötige Erlaubnis, wie er in seinen Memoiren schreibt, allerdings unter zwei Bedingungen. Er fordert von seinen Army-Kollegen, "dass erstens die riesigen Bombentrichter auf dem Platz erst aufgefüllt würden und zweitens, dass das zum Bau der Bühne benutzte Holz mit hinterher zur Verfügung gestellt würde". Beide Bedingungen werden erfüllt, die Löcher werden beseitigt, die Bühne wird gebaut und die Show kann ihren Lauf nehmen. Kaum ist sie beendet, lässt Skilton die Bretter beiseite schaffen.
Am Rand der Veranstaltung spricht der Kunstschutzoffizier mit Ingrid Bergman. Später wird er sich erinnern, dass sie sich "lebhaft für die Residenz interessierte". Die Schauspielerin "war vom Anblick der Zerstörungen tief beeindruckt und schien sich über unsere Rettungsarbeiten sehr zu freuen".
Noch ein Auftritt, ungeplant
Das schnelle Entfernen der Bühne bringt Skilton in eine brenzlige Situation. Unprogrammgemäß soll am nächsten Nachmittag nämlich eine zweite Show stattfinden. "Man hatte den Offizieren, die die Aufführung vorbereiteten, versichert, dass sie eine fertige Bühne auf dem Residenzplatz vorfinden würden", schreibt er in seinen Memoiren. "Da diese nun nicht mehr vorhanden war, hatten sie beschlossen, in einem der Innenräume zu spielen."
Skilton stürzt auf den Platz, wo schon einige Hundert Soldaten versammelt sind, und erklärt den Offizieren, dass sie nicht im Innern der Residenz spielen können – "nicht nur, weil dieser Bau unter Denkmalschutz stände, sondern auch, weil die Decken des Kaisersaals und des Weißen Saals beschädigt wären und einzustürzen drohten". Um die Soldaten nicht zu enttäuschen, überlässt Skilton der Truppe den weniger gefährlichen Gartensaal im Erdgeschoss.
Zuvor nutzt er die Gelegenheit, sein umfangreiches Wissen als Kunsthistoriker anzubringen: "Ich hielt ihnen einen kleinen Vortrag über die Geschichte Würzburgs und die Herrschaft der Fürstbischöfe. Dann zeigte ich ihnen die Hofkirche und die Garten und führte sie schließlich in das Innere des Schlosses."

Am 6. September 1945 sind die wichtigsten Rettungsarbeiten an der Residenz beendet, im Gartensaal findet ein kleines Richtfest statt. Brot und Leberwurst hat der im Beschaffen begehrter Waren erfahrene Skilton bei deutschen Freunden besorgt. Zu den überwiegend deutschen Helfern sagt er: "Später werden Kunstliebende der ganzen Welt Ihnen für diese Arbeit dankbar sein."
Nachdem er mit seinen Leuten unter anderem an der Festung und am Neumünster Erhaltungsarbeiten durchgeführt hat, verlässt John D. Skilton Würzburg am 16. Oktober 1945 wieder. Auch dem Dom hat er seine Aufmerksamkeit zugewandt, doch muss er zu seinem Entsetzen später erfahren, dass das Langschiff und das nördliche Seitenschiff in der Nacht zum 20. Februar 1946 einstürzen.
Zurück in den USA - fast oscarreif
Jack Benny nimmt nach dem Ende der mehrwöchigen Tournee die Arbeit an seiner populären NBC-Radioshow wieder auf. Die erste Folge der 14. Staffel geht am 30. September 1945 über den Äther. Ingrid Bergman steht mit dem Schauspiel über Jeanne d’Arc, aus dem sie in Würzburg rezitiert hat, im Jahr 1946 am Broadway auf der Bühne. 1948 wird sie die Hauptrolle in der Verfilmung spielen - und für ihre Darstellung beinahe einen Oscar gewinnen.