Landläufig wird er als "Architekten-Oscar" bezeichnet; unter Planern gilt der BDA-Preis Bayern, vergeben vom Landesverband des Bundes Deutscher Architekten, als Ritterschlag. In der Kategorie "Bauen im Bestand" haben ihn in diesem Jahr die Schweinfurter Architekten Stefan Schlicht und Christoph Lamprecht für ihre moderne Rekonstruktion des Ostflügels der Burg Brattenstein in Röttingen (Landkreis Würzburg) erhalten. Respektvoll und doch selbstbewusst schließt sich der Neubau in die historische Burganlage ein, heißt es in der Bewertung der Jury. Mit dem "Stadtbalkon" aus rostbraunem Stahl schufen die Planer zugleich einen ungewöhnlichen architektonischen Akzent.
Tragische Vorgeschichte
Der neue Ostflügel der Burg hat eine tragische Vorgeschichte. 1971 stürzten Teile der historischen Burganlage unter der Last der Maschinen einer Kleiderfabrik in sich zusammen. Vier Näherinnen starben, viele wurden verletzt. Das restliche Gebäude war damals provisorisch gesichert und verschlossen worden. Als in den 1980er Jahren die Röttinger Frankenfestspiele in die Burg einzogen, errichtete man eine offene Holzüberdachung über der Einsturzstelle. Der Schutthaufen darunter jedoch erinnerte, hinter einem Bauzaun versteckt, noch bis vor zwei Jahren an das Unglück.
"Ohne großzügige Unterstützung der Städtebauförderung würde der Ostflügel nicht stehen."
Martin Umscheid, Bürgermeister von Röttingen
Als Statiker Bernd Hußenöder feststellte, dass der Haufen unter der Last des angrenzenden Burghofs in Bewegung zu geraten droht, war die Stadt zum Handeln gezwungen. Die Lösung sollte allerdings keine einfache Stützmauer sein, sondern ein Bauwerk, das das Geviert der Burganlage wieder komplettiert. Zugleich sollte der Neubau wieder als Zuschauerraum für die Theateraufführungen im Burghof dienen und die Aufenthaltsqualität erhöhen. Stefan Schlicht und Christoph Lamprecht entschieden sich für ein modernes Konzept, das im schroffen Kontrast zur historischen Substanz steht und doch deren Formen behutsam ergänzt.
Alte Mauern und rostiger Stahl
Die Stützmauer aus Stahlbeton ist mit Muschelkalksteinen der ehemaligen Burgmauer verkleidet, die man noch im Schutt gefunden hatte. Optischer Höhepunkt ist die als "Stadtbalkon" bezeichnete Loggia, die aus dem Baukörper hervortritt und den Blick über die Dächer der Röttinger Altstadt freigibt. Ebenso wie das Dach, ist der Stadtbalkon aus Corten-Stahl gefertigt, der mit der Zeit eine rostbraune Patina annimmt. Öffentlich zugänglich ist der Stadtbalkon über eine Freitreppe aus Sichtbeton, die zugleich als Fluchtweg während der Theateraufführungen im Burghof dient. Eine weitere Herausforderung, die Planer und Baufirmen meistern mussten, war die kurze Bauzeit. Um die Frankenfestspiele nicht zu behindern, blieben für die Ausführung gerade einmal neun Monate Zeit.

Einerseits werde durch die bauliche Ergänzung das wehrhafte Erscheinungsbild der Burg wiederhergestellt, andererseits wirken Freitreppe und Stadtbalkon offen und einladend, urteilte die Jury. Der Rückhalt, den das Projekt in der Bevölkerung fand, verdeutliche, dass in Röttingen nicht nur bauliche, sondern auch emotionale Wunden zu schließen waren. Eine Gedenktafel erinnert an den Einsturz, auf Wunsch von Angehörigen ohne die Namen der vier getöteten Frauen.
Bei der Verleihung des Architekturpreises in der Münchner Kongresshalle durch den Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, Hans Reichhart, erinnerte Röttingens Bürgermeister Martin Umscheid an den Anteil, den der Freistaat Bayern am gelungenen Wiederaufbau hat. "Ohne großzügige Unterstützung der Städtebauförderung, würde der Ostflügel nicht stehen", so Umscheid. Von den Gesamtkosten in Höhe von 2,4 Millionen Euro kommen immerhin 1,2 Millionen Euro aus dem staatlichen Fördertopf.