Der Bezirksvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Unterfranken, Bürgermeister Stefan Wolfshörndl aus Gerbrunn (Lkr. Würzburg), will an die Bayern-Spitze: Bei der Konferenz des Landesverbandes im April stellen sich der 48-jährige Sozialdemokrat und die oberbayerische AWO-Präsidentin Nicole Schley als ehrenamtliches Führungsduo zur Wahl. Gegenkandidaten sind bis dato nicht bekannt. Der bisherige AWO-Landeschef Thomas Beyer aus Fürth tritt nach 16 Jahren nicht mehr an. Frei wird der Posten in bewegten Zeiten. Wolfshörndl, gelernter Sozialversicherungsfachangestellter, weiß um die Herausforderungen.
Frage: Herr Wolfshörndl, was motiviert Sie zur Kandidatur für den AWO-Landesvorsitz?
Stefan Wolfshörndl: Ich bin neben meiner politischen Laufbahn in der AWO groß geworden, über die verschiedenen Ebenen – und bin Mitglied im Landes- und Bundesvorstand. Dabei habe ich die Sozialpolitik und die freie Wohlfahrtspflege als Steckenpferd herausgearbeitet. Vor Ort sind wir mit Einrichtungen operativ tätig, auf der Landesebene geht es um Leitlinien und Verbandspolitik.
Heißt, der Politiker Stefan Wolfshörndl will die politische Stimme der AWO in Bayern stärken?
Wolfshörndl: Ich denke, da haben wir bisher schon den Finger in die Wunde gelegt: Auch im reichen Freistaat Bayern gibt es Armut, Ungleichbehandlung und andere soziale Schieflagen.
Mit welchen Forderungen wird man Sie als AWO-Chef hören?
Wolfshörndl: Wir positionieren uns in fast allen Bereichen der sozialen Arbeit. Die großen Herausforderungen bleiben uns in den kommenden Jahren erhalten: Dazu gehören die Pflege, gerechte Löhne, Armutsrisiken, Gleichberechtigung oder die Inklusion.
Wieweit empfindet sich die AWO als sozialpolitischer Arm der SPD?
Wolfshörndl: Es gibt natürlich die historischen Beziehungen zur Sozialdemokratie. Letztlich sind wir aber parteipolitisch neutral, und in den Ehrenämtern sitzen nicht nur Sozialdemokraten. In manchen Punkten gehen wir mit unseren Forderungen weiter als die SPD und kritisieren sie.
Die Kritik gibt's auch umgekehrt, zuletzt vom SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz an Heimträgern in Sachen Corona-Tests.
Wolfshörndl: Das war aus meiner Sicht ein problematisches Statement. Auch Bundes- und Landesverband der AWO haben sich die Augen gerieben, dass in der jetzigen Situation den Pflegeeinrichtungen etwas verklausuliert auch noch Vorwürfe gemacht werden. Manchmal wäre es sinnvoller, die Politik würde sich bei den Wohlfahrtsverbänden vor Aussagen oder Entscheidungen aktiv informieren.

Als großer Träger von Seniorenheimen stehen Sie in der Corona-Krise als AWO Unterfranken mittendrin.
Wolfshörndl: Definitiv. Und leider wurden wir von Corona-Ausbrüchen in einigen unserer Einrichtungen nicht verschont. Aber so wie die Politik lernen auch die Einrichtungen in dieser Pandemie immer dazu.
Ist Corona tatsächlich das Brennglas für das, was in der Pflege schiefläuft?
Wolfshörndl: Corona ist vielleicht nicht das Brennglas. Aber es hat dafür gesorgt, dass man die Situation in der Pflege nochmal anders sieht. Es ist schön, wenn Leute mit viel Lob auf dem Balkon klatschen, aber die gesellschaftliche Anerkennung muss steigen, Pflege ordentlich finanziert und entbürokratisiert werden. Die Mitarbeiter wollen sich um die Menschen kümmern und nicht Unmengen an Formularen ausfüllen.
Mehr Geld und weniger Bürokratie - damit gewinnt man mehr Pflegekräfte?
Wolfshörndl: Nicht allein. Eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung des Berufs gehört genauso dazu. Leider bleiben punktuelle Missstände in der Pflege über die Medien stärker hängen als die 99,5 Prozent an guter Arbeit. Deren Wert kommt in der Öffentlichkeit zu selten rüber. In Bayern haben Mitarbeiter gekündigt, nachdem der Ministerpräsident eine Taskforce zur Einhaltung der Hygiene-Vorschriften angekündigt hatte. Die Pflegenden brauchen nicht Kontrolle und schon gar keine Vorwürfe, sondern Unterstützung.

Die Reputation der AWO hat zuletzt durch Veruntreuung und Vetternwirtschaft in mehreren Bundesländern gelitten. Was gehen Sie mit solchen Skandalen um?
Wolfshörndl: Ich kenne die Themen aus meiner Arbeit in bundesweiten Gremien. In den Fällen geht es um Missbrauch und mögliche Straftatbestände. In Frankfurt oder Mecklenburg-Vorpommern wurden mit krimineller Energie alle möglichen Aufsichts- und Kontrollmechanismen ausgehebelt. Deshalb wurde unser AWO-Governance-Kodex auf Bundesebene neu verabschiedet. Darin sind Grenzen festgelegt, um zum Beispiel exorbitante Vergütungen oder teure Dienstwagen wie in Hessen zu unterbinden. Es geht um die Trennung von Führung und Aufsicht, Nebentätigkeiten und Befugnisse. Den Kodex gab es bereits, er wurde jetzt aber neu gefasst.
Haben Sie spezielle Vorstellungen, wie solche Missstände für die AWO Bayern zu verhindern sind?
Wolfshörndl: Wir waren in Bayern bisher nur mit ganz wenigen Fällen belastet und mussten uns mit den Negativausstrahlungen aus anderen Bundesländern beschäftigen. Wir haben eigenständige Orts-, Kreis- und Bezirksverbände unter dem Dach der Arbeiterwohlfahrt. Ihre Werte müssen eingehalten und gegebenenfalls sanktioniert werden. Wir haben Berichtspflichten und Aufsichtsorgane. Leider wird es immer Menschen geben, die sich bereichern wollen – überall in der Gesellschaft, Wirtschaft oder Politik. Das ist kein spezielles Thema der AWO.
Mit Ihrem Bürgermeisteramt wäre der Landesvorsitz vereinbar?
Wolfshörndl: Es wird sportlich, ist aber machbar. Wir werden neben einer thematischen auch eine regionale Aufteilung vornehmen, unsere Stellvertreter einbinden und auch die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv nutzen.
Arbeiterwohlfahrt (AWO) BayernDie bayerische Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist einer der sechs großen Wohlfahrtsverbände im Freistaat mit aktuell rund 55 000 Mitgliedern. Gegliedert ist sie in 547 Ortsvereine, 85 Kreis-, fünf Bezirksverbände und einen Landesverband. Oberstes Organ ist die Landeskonferenz, sie findet alle vier Jahre statt. In rund 1800 sozialen Einrichtungen und Diensten wie Seniorenheimen, Kliniken, Frauenhäusern oder Kindergärten beschäftigt die bayerische AWO rund 32 000 Mitarbeiter hauptamtlich, über 12 300 Menschen engagieren sich dort ehrenamtlich. Der Verband versteht sich auch als soziale Stimme in Landes- und Bundespolitik. Deutschlandweit gegründet wurde die AWO 1919 auf Initiative der Frauenrechtlerin und SPD-Reichstagsabgeordneten Marie Juchacz. Quelle: AWO