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OCHSENFURT: Bei Leberklößchen muss Mohamad passen

OCHSENFURT

Bei Leberklößchen muss Mohamad passen

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    Mehr als eine reine Arbeitsstelle: Koch-Lehrling Mohamad Abd Algne (Mitte) schätzt die familiäre Atmosphäre, die bei Wolfgang (links) und Stefan Michel (rechts) im Restaurant „Michels Stern“ in Marktbreit herrscht.
    Mehr als eine reine Arbeitsstelle: Koch-Lehrling Mohamad Abd Algne (Mitte) schätzt die familiäre Atmosphäre, die bei Wolfgang (links) und Stefan Michel (rechts) im Restaurant „Michels Stern“ in Marktbreit herrscht. Foto: Foto: Catharina Hettiger

    Mohamad, Alissa und Raschida haben einiges gemeinsam: Sie stammen aus Syrien, sind seit 2015 in Deutschland, wohnen in Ochsenfurt – und haben in der Region eine Ausbildung gefunden. Mit Hilfe von Paten, offizieller Hilfe oder auf Eigeninitiative. Wie erleben die drei das Arbeiten in Deutschland – und wie ihre Arbeitgeber die Flüchtlinge?

    Gesucht und gefunden: Dieses Motto scheint auf Mohamad Abd Algne und die Brüder Wolfgang und Stefan Michel, Betreiber des Restaurants Michels Stern in Marktbreit (Lkr. Kitzingen), zuzutreffen. Der 29-Jährige, der in seiner Heimatstadt Hama bereits ein eigenes Restaurant geführt hat, war mit Hilfe seiner Ochsenfurter Patenfamilie im Internet auf Michels Stern gestoßen. „Wir hatten über das Arbeitsamt eine Lehrstelle für einen Koch ausgeschrieben – und dann ein Jahr lang nichts gehört“, sagt Küchenmeister Wolfgang Michel.

    Bei der geringen Größe des Betriebs – in der Küche arbeiten neben ihm selbst seine Mutter und zwei Lehrlinge – sei es schwierig, einen Koch zu finden. „A-la-carte-Service ist Knochenarbeit“, so Hotelbetriebswirt Wolfgang Michel, „die mentale und körperliche Belastung wird oft unterschätzt.“ „In unserem Beruf gibt es kaum noch Nachwuchs“, bestätigt sein Bruder. Die Arbeitszeiten – bei Michels Stern von 9 bis 14 sowie von 18 bis 22 Uhr –, kaum freie Wochenenden und viel Stress bei relativ geringem Lohn seien für viele wenig attraktiv.

    Derselbe Beruf, aber ganz anders

    Mohamad Abd Algne sieht das anders: „Koch ist meine Lieblingsarbeit“, sagt er und lächelt. Nach einem mehrmonatigem Praktikum im Restaurant der Michels stand im Sommer 2017 für das Brüderpaar fest: „Wir nehmen Mohamad als Auszubildenden.“ Sie schätzen insbesondere die Motivation des 29-Jährigen: „Mohamad hatte von Anfang an Interesse an dem, was wir machen – wir wussten, dass er es ernst meint“, so Stefan Michel. Auch sein Alter und seine Berufserfahrung überzeugten die Chefs. „Gut finden, was ein Fernsehkoch macht, ist das eine, die Realität des Koch-Alltags das andere“, sagt Wolfgang Michel.

    Ein Alltag, der von Land zu Land unterschiedlich ausfällt: „Es ist derselbe Beruf, aber ganz anders“, so Mohamad. In Syrien koche man mit anderen Zutaten und Gewürzen; auch die Art der Zubereitung unterscheide sich. Schweinefleisch ist in muslimischen Ländern tabu – in einem Restaurant mit gutbürgerlicher deutscher Küche aber an der Tagesordnung. Leberklößchen aus Schweineleber? Da muss Mohamad passen. Seine Lösung: „Ich mache alles, probiere in dem Fall aber nicht“, sagt der 29-Jährige. „Wir hoffen, dass in seiner Abschlussprüfung kein Schweinebraten drankommt“, sagt Wolfgang Michel und lacht.

    Anfangs habe es immer wieder Verständnisprobleme gegeben, „als Franke verschluckt man nun mal Silben“, so Wolfgang Michel. Mit einem Deutschbuch für Erstklässler habe sich seine Mutter mit Mohamad hingesetzt und gelernt. Nicht nur in der Küche, auch für die Berufsschule, die der 29-Jährige zweimal pro Woche besucht, sind gute Deutschkenntnisse wichtig. „Die Fachtheorie und die Fachbegriffe sind anfangs schwer“, sagt Wolfgang Michel. Wenn Problemen auftreten, helfe oft auch der Lehrer weiter, so Mohamad Abd Algne.

    In seinem Arbeitsumfeld fühlt er sich wohl: „Mir gefällt alles“, sagt er – und meint nicht nur die Tätigkeit als Koch. „Hier herrscht eine familiäre Atmosphäre“, sagt Stefan Michel. „Die Deckung von Familie und Beruf ist bei uns sehr groß.“

    30 Bewerbungen, drei Antworten

    Bei Nachfragen von Gästen, ob die Michels nicht syrische Gerichte auf ihre Karte mit aufnehmen möchten, winkt das Brüderpaar ab. „Wir haben ein Konzept und eine klare Ausrichtung“, so Stefan Michel über sein Restaurant, das vom Michelin-Restaurant-Führer bereits mehrmals mit dem Bib Gourmand für ein besonders gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ausgezeichnet wurde. Wenn Mohamad für das Personal Curry-Hühnchen mit Linsensuppe zubereitet, schauen die Brüder aber aufmerksam zu: „Wir interessieren uns für das, was der andere macht, und lernen voneinander.“

    Mohamad Abd Algne, der vor seiner Flucht in Syrien Tourismus studiert und in seiner Heimat so viel Willkür und Gewalt erlebt hat, dass er nicht dorthin zurückkehren möchte, fühlt sich in Deutschland angekommen. „Ich möchte mir hier eine Existenz aufbauen“, sagt er.

    Auch in der Branche, in der Alissa Abdullah aus Damaskus arbeitet, ist Nachwuchs gefragt: Der 26-Jährige, der in Syrien studiert hat, wird bei der Josef Röder GmbH & Co. KG in Würzburg zum Maler und Verputzer ausgebildet. Der Weg dorthin war zäh: Auf 30 Bewerbungen erhielt der 26-Jährige gerade mal drei Antworten. Über ein Praktikum bei der Firma Röder kam er im September zu seiner Ausbildungsstelle.

    Leben im Jetzt

    Eine Vermittlerrolle nahm dabei Thomas Gauer von der Handwerkskammer (HWK) für Unterfranken ein. In seiner Funktion als „Willkommenslotse“ berät und unterstützt er Unternehmen bei der Integration von Flüchtlingen.

    Um eine Ausbildung beginnen zu können, wird eine Aufenthalts- und eine Arbeitserlaubnis benötigt. „Von Seiten der Unternehmen sind außerdem Sprachkenntnisse des Levels B1 oder B2 gewünscht, die eine selbstständige Anwendung der Sprache voraussetzen“, so Gauer. Sind diese Kenntnisse nicht vorhanden, hätten die Flüchtlinge mit erheblichen Problemen in der Berufsschule und im Betrieb zu kämpfen.

    Alissa Abdullah (rechts) kam über ein Praktikum zu seiner Ausbildung als Maler und Verputzer in Würzburg. Sein Bekannter Khaled Al Okla arbeitet in Ochsenfurt und würde gern eine Lehre als Konditor machen.
    Alissa Abdullah (rechts) kam über ein Praktikum zu seiner Ausbildung als Maler und Verputzer in Würzburg. Sein Bekannter Khaled Al Okla arbeitet in Ochsenfurt und würde gern eine Lehre als Konditor machen. Foto: Foto: Catharina Hettiger

    Bei der Firma Röder zählen auch die fachliche Qualifikation und der persönliche Wille; bei einem 14-tägigen Praktikum können sowohl der Bewerber als auch der Arbeitgeber herausfinden, ob die oft anstrengende körperliche Arbeit im Freien zu ihm passt. „Wir suchen immer Nachwuchs – und bei Lehrlingen, die wir selbst ausbilden, wissen wir genau, was wir haben“, so Firmeninhaber Josef Röder. „Ich lerne auf der Arbeit jeden Tag etwas Neues, das ist gut“, sagt Alissa Abdullah. Er hat bereits in seiner Heimat als Maler Erfahrungen gesammelt, „das System hier ist aber anders“, so der 26-Jährige. Sehr genau und sorgfältig arbeite man hier, so seine Einschätzung. Mit einem Wochenzettel dokumentiert er für den Arbeitgeber seine Tätigkeiten.

    Wunsch nach Selbstständigkeit

    Nach seiner Ausbildung möchte der zweifache Vater in seinem Beruf den Meister machen. Auch er wünscht sich, in Deutschland zu bleiben. „Hier hätte ich eine bessere Zukunft, hier könnten meine Kinder studieren“, so seine Hoffnung. Alissa Abdullah versucht, im Jetzt zu leben; für die Dauer seiner Ausbildung hat er eine Aufenthaltserlaubnis: „Ich denke nicht zu sehr an morgen – es gibt doch jeden Tag neue Gesetze.“

    Raschida Bakr macht eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und arbeitet in einer Ochsenfurter Kindertagesstätte.
    Raschida Bakr macht eine Ausbildung zur Kinderpflegerin und arbeitet in einer Ochsenfurter Kindertagesstätte. Foto: Foto: Salah Aliko

    Dass Integration auch mit einem Teilzeit-Job gelingen kann, zeigt Raschida Bakr. In fließendem Deutsch erzählt die vierfache Mutter aus Afrin, wie sie über einen Flyer auf die Möglichkeit aufmerksam wurde, in Teilzeit eine dreijährige Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen. „Ich wollte selbstständig sein“, so die 38-Jährige.

    An vier Tagen in der Woche besucht sie für vier Stunden die Berufsschule, einen Tag pro Woche arbeitet sie Vollzeit in der Kindertagesstätte Kleinochsenfurt. Den Praktikumsplatz hat sie selbst gesucht, bei der Bewerbung konnte sie mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der Hausaufgabenbetreuung punkten. „Die praktische Arbeit gefällt mir“, sagt Raschida Bakr – als Kinderpflegerin spielt, malt und musiziert sie mit den Kindern. Ihr Wunsch für die Zukunft? „Eine Stelle als Kinderpflegerin in Ochsenfurt oder in der Nähe wäre schön.“

    Flüchtlinge als Auszubildende: Unterstützungsprogramme Für Flüchtlinge sowie für Unternehmen, gesellschaftliche Gruppen und Ehrenamtliche, die Flüchtlingen beim Übergang in eine Ausbildung helfen, gibt es Unterstützungsprogramme – in der Region z.B. von der Handwerkskammer (HWK) für Unterfranken und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt. Bei der HWK stehen vier „Willkommenslotsen“ als erste Anlaufstelle zur Verfügung. Sie beraten Unternehmen, die einen Flüchtling ausbilden oder beschäftigen möchten, während des gesamten Einstellungs- und Arbeitsprozesses. Ziel ist, die mittelständische Wirtschaft bei der Sicherung des Fachkräftebedarfs zu unterstützen. Ansprechpartner: Thomas Gauer (E-Mail: thomas.gauer@hwk-service.de). 2017 verzeichnete die HWK 228 Lehrverträge von Menschen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern. 187 Flüchtlinge haben 2017 eine Berufsausbildung im unterfränkischen Handwerk begonnen – fast drei Mal so viele wie 2016. Bei der IHK Würzburg-Schweinfurt sind zwei „Ausbildungsakquisiteure für Flüchtlinge“ Anlaufstelle für Unternehmen und Flüchtlinge. Eine gemeinsame Initiative der HWK und der IHK ist das Regionalnetzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge in Mainfranken“: Bei regelmäßigen Treffen tauschen sich dort Unternehmen mit Experten aus. Interessierte Betriebe können sich unter www.wir-integrieren-fluechtlinge.de informieren.

    „Hier hätte ich eine bessere Zukunft, hier könnten meine Kinder studieren.“

    Alissa Abdullah, Auszubildender aus Aleppo

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