Wie entstehen die Statistiken zur Corona-Pandemie? Wird jeder Infizierte, der stirbt, als Corona-Toter gezählt -auch wenn er positiv auf das Coronavirus getestet war, aber aus ganz anderen Gründen gestorben ist, wie jüngst bei einem Fall im Ochsenfurter Seniorenheim? Gibt es überhaupt schon eine höhere Sterblichkeit durch Corona? Welche Rolle spielen Alter und Vorerkrankungen? Antworten gibt dieser Faktencheck.
Welche Todesfälle werden von der Statistik des RKI Corona zugerechnet?
Susanne Glasmacher, Pressesprecherin des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin teilt mit: "In der Statistik des RKI werden die Covid-19-Todesfälle gezählt, bei denen ein laborbestätigter Nachweis von SARS-CoV-2 vorliegt und die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind." Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei bei Personen mit bestimmten Vorerkrankungen höher. Daher sei es in der Praxis häufig schwierig zu entscheiden, inwieweit die SARS-CoV-2 Infektion direkt zum Tode beigetragen hat. Derzeit würden sowohl Menschen, die unmittelbar an der Erkrankung verstorben sind („gestorben an“), als auch Personen mit Vorerkrankungen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren und bei denen sich die Todesursache nicht abschließend nachweisen lässt (“gestorben mit”) in der Statistik erfasst.
Auch wenn - wie beim Fall im Ochsenfurter Seniorenheim - Ärzte keinen Zusammenhang der Todesursache mit der Corona-Infektion sehen, könnten diese Toten in der Statistik gezählt werden. Generell entscheide aber das zuständige Gesundheitsamt, ob ein Todesfall dem RKI übermittelt wird, so die Sprecherin.
Wird das Opfer eines Verkehrsunfalles gezählt, wenn der Verkehrstote vorher positiv getestet wurde?
"Wir gehen davon aus, dass der hypothetische infizierte Verkehrstote nicht gezählt würde, aber es ist die Entscheidung des Gesundheitsamtes", sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Theoretisch wäre es vermutlich möglich, dass ein SARS-CoV-2 infizierter Unfalltoter vom Gesundheitsamt als Covid-Todesfall gezählt würde. In der Praxis dürfte das aber nicht oder extrem selten vorkommen, so Glasmacher, so dass es für die Einschätzung der Situation in der Summe keine Rolle spiele.

Sterben die meisten "an" oder "mit" Corona?
Nach Angaben des RKI litt der allergrößte Teil der Corona-Toten in Deutschland an einer oder mehreren Vorerkrankungen, fast die Hälfte war in Alten- oder Pflegeheimen untergebracht. Daher sei es schwer zu sagen, wie viele Corona-Tote "an" oder eben "mit" Corona gestorben seien. Man habe bislang nur sehr wenige Todesfälle ohne Vorerkrankungen gehabt, heißt es dazu aus dem Schweinfurter Gesundheitsamt. Eine Auswertung von 154 klinischen Obduktionen an 68 pathologischen Instituten vom März bis Juli in Deutschland zeigt, dass bei 86 Prozent der verstorbenen Corona-Patienten trotz Vorerkrankungen die unmittelbare Todesursache Covid-19 gewesen sei. Die Patienten wurden zur Erforschung der Todesursachen von Covid-19 zufällig ausgewählt. Die Pathologen kritisieren aber selbst, dass aus Kostengründen und Vorsichtsmaßnahmen viel zu wenig Corona-Tote obduziert wurden. Im Schnitt hätten die Obduzierten dieser Untersuchung noch eine statistische Lebenserwartung von zehn Jahren gehabt, so Johannes Friemann, Leiter der AG Obduktion der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Oft seien die Vorerkrankungen typische Volkskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck gewesen, die sich medikamentös gut einstellen ließen.
Warum unterscheidet die Statistik nicht "verstorben an" und "verstorben mit"?
Es sei nicht immer sei klar, ob die SARS-CoV-2-Infektion unmittelbar zum Tode beigetragen hat, heißt es beim RKI. Würde man nur die Todesfälle "an" erfassen, liefe man Gefahr die Todesfälle "unterzuerfassen". Denn nicht alle Corona-Toten seien auch getestet. Der Hamburger Pathologe Professor Klaus Püscheluntersuchte im März und April alle in Hamburg an Covid-19 verstorbene Patienten. Er spricht von einer hohen Dunkelziffer. Er habe auch in öffentlichen Leichenhäusern und Krematorien Abstriche gemacht und dabei Corona-Tote gefunden, die nicht als solche geführt worden seien.

Welche Rolle spielen die Vorerkrankungen?
Hierzu gibt es eine interessante Studie aus England, auf die der Bonner Virologe Prof. Hendrik Streeck verweist. In 208 Kliniken Großbritanniens wurden die Daten von 20 133 Patienten mit Covid-19 ausgewertet. Das Durchschnittsalter aller Patienten, die mit der Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, betrug 73 Jahre, es waren zu 60 Prozent Männer. Die häufigsten Begleiterkrankungen waren chronische Herzerkrankungen, einfache Diabetes, nicht asthmatische chronische Lungenerkrankungen und chronische Nierenerkrankungen. 23 Prozent hatten keine Vorerkrankung gehabt. Höheres Alter, männliches Geschlecht, eine oder mehrere Vorerkrankungen hätten die Sterblichkeitsrate überproportional gesteigert. Die unterfränkischen Gesundheitsämter teilen auf Nachfrage mit, dass Covid-19-Todesfälle ohne Vorerkrankung eher die Ausnahme seien.
Funktioniert die Grippe-Statistik genauso wie für Corona?
Labore müssen gemäß Infektionsschutzgesetz auch Influenzavirus-Nachweise an die Gesundheitsämter melden. Üblicherweise nehmen Ärzte aber nur bei einem sehr kleinen Teil von Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen Proben und lassen diese in einem Labor testen. Aufgrund dieser und anderer Daten, sowie der "Übersterblichkeit" (gestiegene Zahl an Todesfällen im Vergleich zu den Vorjahres-Monaten) ermittelt das Robert Koch-Institut im Nachhinein eine Schätzung der Grippetoten. Für die Grippewelle 2017/2018 beispielsweise war nach Schätzungen des RKI die Influenza für bis zu 25 000 Todesfälle verantwortlich. Im Labor seien aber nur 1674 Fälle von Grippetoten direkt nachgewiesen worden. Die vermutete Zahl an Grippetoten übersteigt diesen Wert folglich fast um das 15-fache. In diesen regelmäßigen Auswertungen der Todeszahlen und den Schätzungen zeigt sich indirekt, wie heftig eine Grippesaison ausfiel.
Ist durch Corona schon eine erhöhte Sterblichkeit in Deutschland nachzuweisen?
In Deutschland sind im Jahr 2020 schon jetzt etwas mehr Menschen gestorben als im gleichen Zeitraum der Jahre 2016 bis 2019, obwohl auch die große Grippewelle 2017/2018 in den Vergleichszeitraum fällt. Das berichtet das Statistische Bundesamt in einer Sonderauswertung. Danach hatte im April 2020 die Übersterblichkeit bei zehn Prozent gelegen. Den Anstieg der Zahlen im August (33. KW) erklärt sich das Statistische Bundesamt mit der kurzen, aber heftigen Hitzewelle (siehe Grafik).

Die Gefährlichkeit des Corona-Virus wird deutlicher sichtbar, wenn man sich die Hotspots der Infektion anschaut. Zum BeispielItalien, wo die Corona-Pandemie sehr heftig und als erstes in Europa zuschlug. Hier sind in der letzten Märzwoche (KW 13) mehr als doppelt so viele Menschen gestorben als im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019.
Aber auch wenn man Bayern betrachtet, lässt sich eine Übersterblichkeit ablesen, die um so deutlicher wird, wenn man die Zahlen mit dem bei der ersten Welle nahezu verschonten Mecklenburg-Vorpommern vergleicht. So lag in Bayern die Sterblichkeit von Ende März bis Mitte April 2020 (14. bis 16. KW) um mehr als ein Viertel über dem Vergleichszeitraum von 2016 bis 2019. In Mecklenburg-Vorpommern hingegen kam es zu keiner nennenswert erhöhten Sterblichkeit.
Werden auch nach dem Tod Corona-Tests durchgeführt?
Verstorbene, die zu Lebzeiten nicht auf Covid-19 getestet wurden, aber in Verdacht stehen, an Covid-19 verstorben zu sein, können auch nach dem Tod auf das Virus untersucht werden, teilt das RKI mit. In Stadt und Landkreis Schweinfurt seien bereits 19 Verstorbene mit Verdacht auf eine Infektionskrankheit im Nachhinein auf Virus getestet worden, heißt es auf Nachfrage beim Gesundheitsamt. Drei solcher Fälle berichtet das Gesundheitsamt Würzburg. Und auch Aschaffenburg bestätigt Corona-Abstriche post mortem.

Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Corona-Todesfälle?
Nach Angaben des RKI betreffen rund 85 Prozent aller Corona-Todesfälle in Deutschland Menschen über 70 Jahre. Im bundesweiten Schnitt waren die Verstorbenen 82 Jahre alt. Das Gesundheitsamt Schweinfurt meldet, dass 84 Prozent der Corona-Toten über 70 Jahre alt gewesen seien. In Stadt und Landkreis Würzburg, wo immer wieder Alten- und Pflegeheime stark vom Virus betroffen waren, waren sogar 97 Prozent der Todesopfer über 70 Jahre alt - und 83 Prozent über 80 Jahre. Der Altersdurchschnitt der in Stadt und Landkreis Würzburg an Covid-19 Verstorbenen liegt bei über 86 Jahren, über die Hälfte der Todesopfer hier waren Bewohner eines der betroffenen Alten- oder Pflegeheimes.