Der Würzburger Künstler Curd Lessig wäre am 22. November 100 Jahre alt geworden. Die Ausstellung zu seinem Gedenken überrascht, denn sie konzentriert sich fast ganz auf zwei Themen und Techniken. Absolut vorherrschend sind die 32 Landschafts-Gouachen: deckende Aquarelle, deren Farbpigmente und Kreidezusätze mit Gummilösung gebunden werden. Auf Platz zwei stehen 19 mythologische Zeichnungen, vorwiegend Mensch und Pferd in Interaktion; dabei bildete Lessig Grautöne ausschließlich mit Schraffuren.
Die zweite Werkgruppe macht den kunstgeschichtlichen Zugang leicht: Bis zuletzt pflegte Curd Lessig Einflüsse von Pablo Picasso, den er als Jung-Zwanziger nach dem Zweiten Weltkrieg begierig aufsog – eine Befreiung nach der zwölfjährigen nationalsozialistischen Kunstpolitik. Besonders den Grafiken mit Akten und extrem vitalen Tieren eiferte er nach, freilich weder auf hohem Abstraktionsniveau noch mit sonderlich befreiter Strichführung.
Tänzerische und akrobatische Posen des Bildpersonals
Der junge deutsche Kollege kultivierte vielmehr seine eigenen Manierismen. So zergliederte er Körper nach Maßgabe anatomisch ziemlich richtiger Muskelverläufe in grafische Zellen, die allerdings mehr der Komposition und dem Virtuositätsbeweis als der realistischen Abbildung dienten. Man sollte, ist hier zu sehen, die Begriffe Figuration und Realismus immer sauber auseinanderhalten. Zu dieser starken Stilisierung gesellen sich geradezu spielerisch die tänzerischen und akrobatischen Posen des Bildpersonals.
Die Entdeckung der internationalen Kunstwelt durch deutsche Nachwuchskünstler brachte natürlich keine Avantgarde hervor. Andererseits: An Beispielen wie Curd Lessig lässt sich studieren, warum man deren Leistungen keineswegs einfach als epigonal abtun kann. Hier zeigt sich vielmehr, wie die Neuerungen aus den Weltmetropolen im Lauf der Zeit in der Fläche aufgegriffen wurden und einen mehrheitsfähigen Stil ergaben.
Ausgeprägte Eigenheiten haben auch die ausgewählten Landschaften. Sie liegen unter bedecktem Himmel. Ihre dementsprechend gedeckten Farben geben immer einen prägnanten Ausschnitt wieder. Statt den Blick über Weinbergspanoramen schweifen zu lassen, begrenzt die Perspektive ihn auf die Oberkante eines Rebhügels, den wenige senkrechte Striche als Agrarfläche andeuten. Dieses Motiv, gelegentlich mit Durchblick durch Taleinschnitt, weist Lessig als sympathisch unspektakulären Location Scout aus. Die Jubiläumsausstellung verzeichnet denn auch erstaunliche Verkaufserfolge und begeisterte Kommentare von Italienern und Spaniern gleich am ersten Tag.
"Curd Lessig zum 100. Geburtstag" ist bis zum 17. November im Spitäle, Zeller Straße 3, zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr.