Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Landkreis Würzburg
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: Der andere Mittelalter-Unterricht

WÜRZBURG

Der andere Mittelalter-Unterricht

    • |
    • |
    Der Spitzhut gehört zur standesgemäßen Kleidung eines Burgfräuleins.
    Der Spitzhut gehört zur standesgemäßen Kleidung eines Burgfräuleins.

    Die strenge Ordnung der Stände war für die Menschen des Mittelalters der Maßstab für ihr Alltagsleben, ja, sie galt ihnen gar als gottgegeben. Den Schülern der 7. Jahrgangsstufe des Deutschhaus-Gymnasiums gelang es beim Projekttag im Mainfränkischen Museum allerdings spielend leicht, die Verhältnisse der Zeit von vor über 600 Jahren auf den Kopf zu stellen.

    Der Vorschlag eines Schülers, jeweils getrennt in eine Jungen- und in eine Mädchengruppe in die parat liegenden mittelalterlichen Männer- und Frauenkleider zu schlüpfen und sich dann den fünf Ständen nach auf einer Treppe anzuordnen, verfehlte seine Wirkung nicht: Manch ein Junge wurde da zum Burgfräulein, manches Mädchen zum Patrizier. Das Ergebnis erinnerte an die besten Tage der britischen Klamauktruppe Monty Python und ihrer Mittelalter-Persiflage „Die Ritter der Kokousnuß“.

    „Wir haben versucht, unsere Methoden zu entstauben“, erklärte Veronika Genslein, die Leiterin der Museumspädagogik am Mainfränkischen Museum. Deshalb hatte sie auch nichts dagegen, wenn es mal etwas lauter und lustiger herging in den altehrwürdigen Hallen und Räumen der Festung. Freilich musste sie auch das ein oder andere Mal die jungen Museumsbesucher in ihrem Eifer etwas bremsen. „Das Museum ist ein ehrwürdiger Ort, benehmt euch bitte auch entsprechend.“

    In einer Kooperation gemeinsam mit Geschichtslehrerin Alexandra Neuberger hat sie fünf Module erarbeitet, die die Kinder an die Geschichte des Mittelalters heranführen sollen. Das Ergebnis ist das neue Programm „Leben im Mittelalter“, das ab sofort Lehrer für ihre Klassen buchen können. An den fünf Stationen Burg und Befestigung, Werdegang eines Ritters, Ständeordnung, Memento Mori („Gedenke des Todes“) und religiöser Zeitgeist sowie Ernährung warten nun auf die Schüler vielfältige Aufgabe, die allesamt zum Mitmachen und Handeln anregen.

    Mit den 125 quirligen Siebtklässlern hatten sich die Organisatoren bewusst nicht die einfachste Zielgruppe als Testlauf ausgesucht. Tatsächlich ging es zeitweise hoch her auf der zur Ständeleiter umfunktionierten Museumstreppe. Über allem thronte der Junge, der als Würzburger Fürstbischof – nur dass ihm die zu groß geratene Mithra beständig über den Kopf rutschte, während er Bischofsstab und Herzogsschwert, die Insignien seiner Macht, fest umklammerte. Ein anderer trat als Burgfräulein Adelheid auf, mit weißem Spitzhut und Brautschleier.

    Als eine Klassenkameradin vorlas, was sie alles lernen musste, um ihrem Bräutigam zu gefallen, fiel es auch dem trockensten Gemüt schwer, nicht laut loszuprusten. Ruhig war eigentlich nur einer: der mit dem schweren Ritterhelm über dem Kopf, der ihm nur einen schmalen Sehschlitz ließ. „Puuh, darunter wird‘s ganz schön warm“, lautete später sein Kommentar. So wie es wohl auch den Zeitgenossen nicht immer so einfach gelang, sich in ihr vorherbestimmtes Schicksal zu ergeben, dauerte es, bis sich die Schüler in die starre Hierarchie der mittelalterlichen Ständeordnung eingefügt hatten und jeder vom Bischof, Ritter, Patrizier, Handwerker bis schließlich zum fronpflichtigen Bauern seinen Platz gefunden hatte. Ein kräftiges „Herrschaftszeiten nochmal, Ruhe jetzt!“ des Lehrers wirkte freilich Wunder.

    Für Alexandra Neuberger, die ihre Klasse von Station zu Station begleitete, war es dennoch ein ungewohnt erholsamer Vormittag. Die Arbeit übernahmen diesmal die Museumspädagogen des Museums – und die Schüler. Die Station „Religiöser Zeitgeist“ etwa widmete sich einem übermannsgroßen Gnadenstuhl, einem der bedeutendsten Steinbildhauerarbeiten des Mittelalters in Deutschland. In einem Bilddiktat, bei dem die Schüler Rücken an Rücken saßen, so dass immer nur einer von ihnen das Kunstwerke sehen konnte, und es der andere nach seinen Vorgaben auf ein Papier malte. „Am einfachsten geht's, wenn man von außen nach innen vorarbeitet“, lautete der einzige Tipp von Veronika Genslein. Der klar gegliederte Aufbau mit Gottvater, dem Gekreuzigten und einer Dreifaltigkeitstaube, den der Künstler aus dem Umfeld des sogenannten „Wolfskeel-Meisters“ gewählt hat, erleichterte dennoch die Aufgabe. Wenig später sah man die Schüler, wie sie beim angestrengten Versuch, das Kunstwerk in Wort zu fassen, unbewusst mit den Händen gestikulierten, ganz so als wollten sie die Konturen des Bildes umfahren.

    Die Ergebnisse nutzte die Museumspädagogin, um den Kindern den christlichen Glauben des Mittealters zu erklären. Darunter auch viele Glaubensinhalte, die früher selbstverständlich waren, heute jedoch immer weniger vorausgesetzt werden können. „Die Säkularisierung der Gesellschaft hinterlässt ihre Spuren“, stellte sie fest. „Das Mittelalter wird uns immer fremder, wir müssen heute viel mehr erklären als früher.“

    „Wir haben versucht, unsere Methoden zu entstauben.“

    Veronika Genslein, Leiterin der Museumspädagogik

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden