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Erlabrunn: Der Anfang vom Ende des Schweigens

Erlabrunn

Der Anfang vom Ende des Schweigens

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    Gedenken an Gisela K.: Kerzen stellten Unbekannte im Januar 2018, am zweiten Jahrestag ihres Todes, an die Unfallstelle in Erlabrunn. 
    Gedenken an Gisela K.: Kerzen stellten Unbekannte im Januar 2018, am zweiten Jahrestag ihres Todes, an die Unfallstelle in Erlabrunn.  Foto: Rudolf Wagner

    Der weißhaarige Mann in der Reihe hinter dem Angeklagten litt wochenlang still vor sich hin, im Gerichtssaal und in seiner Heimatgemeinde Erlabrunn (Lkr. Würzburg). Nur der hochrote Kopf zeugte davon, wie sehr den 78-jährigen Erich K. die Situation auch gesundheitlich mitnahm, so grausam zum Witwer gemacht worden zu sein.

    Wenn Erich K. vom Gericht nach Hause kam, mussten er und seine Söhne Gaston und Marco sich im heimischen Erlabrunn von manchen Mitbürgern anhören: Sie seien schuld, dass ein Riss durchs Dorf gehe. Ihre Familie habe dafür gesorgt, dass der angesehene Feuerwehr-Kommandant Günther K. nun auf der Anklagebank saß und verdächtigt wurde, "die Gis" (so der Spitzname der Toten) überfahren zu haben.

    Der Witwer hört von Lügen, Täuschung und Vertuschung

    Grausamer war: Vor Gericht muss Erich K. seit Wochen immer wieder anhören, wie seine tote Frau auf der Straße gefunden wurde und man vergeblich versuchte, sie wiederzubeleben. Der 78-Jährige hörte von glatter oder gestreuter Straße, von unschönen Untersuchungen in der Rechtsmedizin, die zeigten: Seine Frau Gisela war von grobstolligen Reifen eines Streutraktors brutal überrollt worden, die ihr Schädel und Knochen brachen.

    Er hört von Lügen, Täuschung und Vertuschung, von gelöschten Handy-Daten und dem Lackieren des Traktors mitten im Winter, um Spuren zu verwischen. Man wollte einen Freispruch, hörte er zuletzt vom Verteidiger. Nur vom Angeklagten hörte er lange nichts, nicht einmal ein Wort des Beileids.

    Doch am Donnerstag hielt Günther K. sein Schweigen nicht länger aus: Er schaute den Ehemann der Getöteten erstmals direkt an, den er seit Jahrzehnten kennt: "Erich, es tut mir leid", sagte er. Auch die Söhne der getöteten Gisela K., Gaston und Marco, sprach er direkt an: "Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen."

    Den Zuschauern stockte der Atem, einigen kamen die Tränen. Erich K. lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als wolle er den Worten ausweichen. Dann nickte er leise.

    "Durch den Vorfall ist ein Stück unserer Heimat verloren gegangen", bekannte Günther K., auch er sei Anfeindungen ausgesetzt gewesen. "Ich will daran mitwirken, dass die Gräben nicht noch tiefer werden", sagte er.

    Das Geständnis kam nun völlig überraschend

    Einmal versagte Günther K. fast die Sprache, als er sagte: „Die Feuerwehr war mein ein und alles.“ Dann fuhr er fort: Ja, er habe mit dem Streutraktor der Gemeinde die 71-Jährige am Morgen des 5. Januar 2016 an der Engstelle vor ihrem Haus versehentlich überrollt und getötet. Er habe gedacht, er sei über einen gelben Sack gefahren, nicht aber über einen Menschen. Erst im Verlauf des zweiten Prozesses sei bei ihm die Erkenntnis gedämmert, dass er die Frau mit dem Traktor überfahren hatte.

    Das Geständnis kam völlig überraschend. Aber die Härte, mit der das Gericht Zeugen mit Erinnerungslücken befragte, hatte wohl auch dem Angeklagten gezeigt, was die Stunde geschlagen hatte: Die Indizien sprechen nach fünf Verhandlungstagen noch eindeutiger für seine Schuld als im ersten Verfahren vor dem Amtsgericht 2017.

    Dort hatte Günther K. eine Haftstrafe von 22 Monaten (ohne Bewährung) kassiert. Überdies verlor er seine Anstellung im Bauhof, seinen Führerschein und das Amt des Feuerwehr-Chefs. All das – und viel Leid für die Familie der Getöteten und seine eignen Angehörigen - hätte er mit einem schnellen Geständnis vor drei Jahren vermeiden können.

    Anwalt Auffermann hat einen Aktenordner mit dem Titel: "Lüchebeudel"

    Zuletzt wurde der Druck immer größer – und der Kreis um den Angeklagten im Gericht immer kleiner. Unterstützer, die ihm mit Gedächtnislücken, windigen Erklärungen oder Schweigen helfen wollten, sahen sich immer stärker in die Mangel genommen. Anwalt Peter Auffermann sprach von "Räuberpistolen", da werde "vertuscht und gelogen, dass sich die Balken biegen". Er hatte vor Gericht einen ganzen Aktenordner dabei, der die bezeichnende Aufschrift "Lüchebeudel" trug.

    Davon erlebte das Gericht einige – darunter einen Feuerwehr-Kommandanten aus dem Nachbarort, dem K. wenige Tage nach dem Unfall gestanden hatte, er sei "über was Weiches" hinweg gefahren. Aber er habe nicht gehalten, sondern seine Frau angerufen und gebeten, nachzusehen. Die Frau war tatsächlich als eine der ersten am Unfallort, schwieg aber vor Gericht wie einige andere. Der Feuerwehr-Kamerad schwieg nicht, sondern erzählte es während einer gemeinsamen Autofahrt dem Leinacher Bürgermeister – am Ende erfuhren die Ermittler davon.

    Aber vor Gericht wollte der Feuerwehrmann von der eigenen Erzählung plötzlich nichts mehr wissen, saß ruck-zuck in einer Zelle und hatte ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage an der Backe. Die wurde inzwischen eingestellt und die stundenlange "Beugehaft" wurde hinterher für rechtswidrig erklärt. Aber danach ruderten dieser und andere Zeugen gehörig zurück und hüteten sich, für Günther K. weiter den Kopf hinzuhalten.

    Das wird ihm nicht entgangen sein. Das Geständnis war laut seinem Verteidiger "ein großer Schritt nach vorne - ein Signal an die Familie, das wir geben wollten nach dem gestrigen Tag, damit es nicht noch zu mehr Kollateralschäden kommt. Wir wollten die Reißleine ziehen".

    Erlabrunns Bürgermeister richtet Wort an die Opfer-Familie  

    Am Ende eines Tages, der also den Beginn der wirklichen Aufarbeitung und Wahrheitsfindung darstellen könnte, traf sich der Gemeinderat Erlabrunn zu seiner Jahresabschlussitzung. Eigentlich blickt der Bürgermeister bei diesem Anlass gerne zurück auf die Entscheidungen der Gemeinde in den vergangenen zwölf Monaten, diesmal richtete Bürgermeister Thomas Benkert den Fokus auf die jüngste Entwicklung und das Geständnis des Angeklagten, der Bauhofleiter und Feuerwehrkommandant war und noch immer formales Mitglied im Gemeinderat ist. Benkert widmete seine Worte zuerst der Familie der Getöteten: "Ich wünsche der gesamten Familie, besonders dem Ehemann Erich, den Kindern Marco, Gaston und Mira, dass Sie nun nach dieser langen Zeit mit Ihrer Trauerbewältigung beginnen können, ihren inneren Frieden finden und die Anfeindungen und negativen Begegnungen endlich ein Ende haben."

    Zudem entschuldigte sich der Bürgermeister als damals verantwortlicher Arbeitgeber des ehemaligen Bauhofleiters für dessen gravierendes Fehlverhalten "insbesondere im Anschluss an das tragische Unglück". Die Konsequenz, die die Gemeinde im Anschluss an das erste Urteil vor Jahresfrist mit der fristlosen Kündigung sowie der Entlassung als Feuerwehr-Kommandant gezeigt habe, habe sich durch das Geständnis bestätigt.

    Die Ereignisse haben für einen Riss im Dorf gesorgt

    Benkert war in beiden Gerichtsprozessen ein wichtiger Zeuge gewesen. Er dankte am Donnerstagabend allen Bürgern, die ihm in "dieser schweren Zeit den Rücken gestärkt haben“. Er bat alle Beteiligten darum, aufeinander zu zugehen, auch wenn es noch so schwer falle, „damit in Erlabrunn der Dorffrieden wieder einkehrt".

    Das Verhalten des Angeklagten und die Ereignisse rund um den Tod von Gisela K. hatten einen Riss verursacht, der durch den Gemeinderat, Vereine und Cliquen geht und das Leben in der Dorfgemeinschaft des 1800-Seelen-Orts auf eine große Belastungsprobe stellt.

    In den vergangenen drei Jahren sah sich die Familie des Opfers, die unter anderem in der Gastronomie tätig ist, immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Dies hatten vor allem am Mittwoch zahlreiche Zeugen eindrucksvoll beschrieben. Ein Zeuge berichtete davon, wie etwa Teile der Feuerwehr den traditionellen Rosenmontagsfrühschoppen im Gasthof der Familie des Opfers meiden wollten. Für ihn nicht nachvollziehbar.

    Richterin betont: "Wir haben ganz viele Fragen"

    Wie aber geht es nun weiter im Prozess? Dem Gericht reicht die erste Aussage des Angeklagten nicht: Nur das Nötigste werde eingeräumt, die Unfallflucht nicht thematisiert und die Beteiligung anderer bei der Vertuschung des Unfalls völlig verschwiegen. Die Staatsanwältin betonte: "Der Angeklagte ist über seinen Schatten gesprungen. Das ist ihm nicht leicht gefallen. Aber es reicht nicht. Ich will wissen, was damals wirklich passiert ist."

    Das will auch die Vorsitzende Richterin, die betonte: Über einen Gelben Sack gefahren zu sein, klinge nicht wie ein Geständnis, sondern wie ein Abstreiten. "Sie haben die Möglichkeit Weichen zu stellen, wie es weiter geht", warnte sie den Angeklagten davor, das Leid von Erich K. und seiner Familie nicht noch länger hinzuziehen. Denn an den nächsten Verhandlungstagen stünden die Aussagen der Sachverständigen an, mit Schilderungen über die Obduktion, Bildern, die für die Angehörigen sehr belastend sein werden. Das Urteil hänge davon ab, "was wir noch zu hören bekommen. Wir haben ganz viele Fragen dazu, wie alles abgelaufen ist."

    Das möchte auch Erich K. wissen – nun fast drei Jahre nach dem Tod seiner Frau.

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