Die Sorge um eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung hat die Landwirtschaft in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Im Interview erklärt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), was aus seiner Sicht getan werden muss, um den weiteren Anstieg der Lebensmittelpreise zu bremsen und vor welchen weiteren Herausforderungen die Landwirtschaft aktuell steht. Der DBV-Präsident war zu Gast beim Verband süddeutscher Zuckerrübenanbauer, der in Rottendorf (Lkr. Würzburg) sein 100-jähriges Bestehen feierte.
Frage: Die deutschen Bauern kämpfen seit langem für mehr Wertschätzung der Verbraucher. Jetzt wird den Landwirten diese Wertschätzung zuteil aus Sorge um die Nahrungsmittelversorgung. Wie erleben Sie diese Situation?
Joachim Rukwied: Wertschätzung für die Arbeit unserer Bauern ist wichtig, denn sie stellen unsere Lebensmittel her, unser täglich Brot. Letztendlich ist aber die Wertschöpfung entscheidend. Wichtig ist, dass sie mit ihrer Arbeit auch etwas verdienen können.
Müssen wir uns in Deutschland um die Nahrungsmittelversorgung Sorgen machen?
Rukwied: Bis ins erste Quartal des nächsten Jahres ist sie gesichert. Weiter hinaus wage ich keine Prognose, weil es ein Stück weit von den politischen Vorgaben abhängt. Wir brauchen beispielsweise eine Priorisierung beim Gas, damit Molkereien weiterhin produzieren können. Wir brauchen Düngemittel, insbesondere den Stickstoffdünger, bei dessen Herstellung zu 80 Prozent ebenfalls Gas der Energieträger ist. Wenn das sichergestellt ist, können wir erzeugen. Wenn es da Lücken gibt, wird es schwierig.

Gegenwärtig sind die Lebensmittelpreise nach den Energiekosten die stärksten Inflationstreiber. Was kostet ein Laib Brot oder ein halbes Pfund Butter in einem halben Jahr?
Rukwied: Das wird am Ende marktabhängig sein, aber wir gehen davon aus, dass die Lebensmittelpreise auf diesem Niveau bleiben, beziehungsweise sogar noch weiter ansteigen werden.
Die Landwirtschaft profitiert aber auch von den hohen Preisen. Der Erzeugerpreis für Weizen hat sich in den letzten Monaten mehr als verdoppelt.
Rukwied: Wir müssen da unterscheiden. Wir haben einen Bereich, der befindet sich in der größten Krise seit Jahrzehnten, das ist die Schweinehaltung. Die Schweinehalter sind doppelt gestraft, durch hohe Futter- und Energiekosten und nach wie vor durch schlechte Preise. In anderen Bereichen ist es so, dass wir diese hohen Preise brauchen, um überhaupt wirtschaften zu können. Die Energie- und Futtermittelkosten haben sich verdoppelt, der Preis für Stickstoffdünger sogar vervierfacht.
"Allein die Produktion kann dazu beitragen, den weiteren Preisanstieg zu bremsen."
Joachim Rukwied, Präsident Deutscher Bauernverband
Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, den Anstieg der Lebensmittelpreise zu bremsen?
Rukwied: Kurzfristig nicht. Weltweit gesehen haben wir eine heraufziehende Ernährungskrise, insbesondere in einigen afrikanischen und asiatischen Staaten. Deshalb müssen wir aus deutscher Sicht und mit unserer effizienten Landwirtschaft alles tun, um Lebensmittel zu erzeugen, zum Beispiel durch die Freigabe der Bewirtschaftung von rund 200.000 Hektar Ackerland. Allein die Produktion kann dazu beitragen, den weiteren Preisanstieg zu bremsen.
Um welche Flächen geht es dabei genau?
Rukwied: Nach der künftigen Agrarpolitik der EU sollen wir vier Prozent der Flächen - sogenannte nicht produktive Flächen - aus der Erzeugung nehmen. Wir gehen davon aus, dass rund 200.000 Hektar nicht produktive Flächen, das sind knapp zwei Prozent, sinnvoll genutzt werden können. Wir werden weiterhin Uferrandstreifen haben, Blühflächen, ökologische Inseln, aber dort wo es Sinn macht, sollten wir erzeugen können.

Auf Flächen die schon länger aus der Produktion genommen wurden, hat sich doch sicher ein ökologischer Mehrwert entwickelt, den man wieder aufs Spiel setzen würde.
Rukwied: Das sehe ich nicht so. Die ökologischen Vorrangflächen kann man bis jetzt über unterschiedliche Maßnahmen nachweisen, beispielsweise über Blühflächen, aufgelockerte Fruchtfolgen oder über Zwischenfruchtanbau nach der Haupternte. Wir können über Agrarumweltmaßnahmen, die wir in die Produktion integrieren, viel für die Biodiversität tun.
Viele Bauern sind in den letzten Jahren auf ökologischen Landbau umgestiegen. Ziel der Bundesregierung ist ein Bioanteil von 30 Prozent bis 2030. Ist der Trend zum Ökolandbau durch die momentane Situation gebremst?
Rukwied: Momentan ist der Umstellungstrend gebremst. Wir sind offen, was die weitere Entwicklung anbelangt, aber der Anbau folgt letztlich dem Markt. Wenn die Nachfrage steigen wird, dann werden auch Landwirte da sein, die diese steigende Nachfrage bedienen.

Aber kann man vor dem Hintergrund einer drohenden Ernährungskrise überhaupt noch verantworten, beispielsweise Mais für Biogas und Raps für Biodiesel anzubauen?
Rukwied: Wenn wir Pflanzen für die Erzeugung von Bioenergie anbauen, also Mais für Biogas, Raps für Biodiesel oder Getreide für Bioethanol, dann erzeugen wir dadurch auch hochwertige Nebenprodukte. Von einem Hektar Weizen, den wir für Bioethanol brauchen, haben wir als Restprodukt hochwertiges Eiweißfutter, das wir über den Tiermagen verwerten können und das 1,2 Hektar Sojafläche ersetzt. Es geht also nicht um die Frage "Teller oder Tank". Über diese Kaskadenwirtschaft erzeugen wir am Ende sowohl Energie als auch Lebensmittel.
Habe ich das richtig verstanden? Ein Hektar Weizen für die Ethanolherstellung liefert mehr Eiweißfutter als ein Hektar Soja?
Rukwied: Ja, bei Raps ist es ähnlich. Da haben wir nach der Pressung einen hochwertigen Rapskuchen, den wir bei der Tierhaltung zufüttern können. Wir haben in Deutschland 4,7 Millionen Hektar Grünland, das wir am besten über die Tierhaltung nutzen können. Zusätzlich brauchen wir etwas Getreide und eben solche Nebenprodukte.
"Es geht nicht um die Frage Teller oder Tank, über die Kaskadenwirtschaft erzeugen wir Energie und Lebensmittel."
Joachim Rukwied, Präsident Deutscher Bauernverband
Unterfranken gilt als eine der Regionen in Deutschland, in denen sich der Klimawandel nach Einschätzung der Wissenschaft am stärksten bemerkbar machen wird. Was bedeutet das für die Landwirtschaft, und was müssen die Bauern unternehmen, um mit diesen Auswirkungen umgehen zu können?
Rukwied: Der Klimawandel ist eine große Herausforderung für uns, weil er dazu führt, dass wir in der Tendenz immer stabilere Wetterlagen bekommen, im Sommer meistens heiß und trocken. Das heißt, wir brauchen widerstandsfähigere Pflanzen. Da würde uns CRISPR/Cas helfen (Anm. d Red: eine molekularbiologische Methode, mit der das Erbgut von Pflanzen gezielt verändert werden kann), um schneller solche neuen Sorten zu bekommen. Wir müssen unsere Anstrengungen um wasserschonenden Ackerbau weiter forcieren, bis hin zur regenerativen Landwirtschaft. Da gibt es vieles, was im Moment im Entstehen ist. Aber damit können wir dem Klimawandel nur ein Stück weit begegnen. Die Risiken und die Ertragsschwankungen werden zunehmen.
Welche Feldfrüchte werden dann künftig die Äcker in Unterfranken dominieren?
Rukwied: Die Fruchtfolgen sind bereits breiter geworden. Neben der Rübe und dem Weizen steht heute beispielsweise Raps und Mais bis hin zur Sojabohne auf den Feldern. In Abhängigkeit vom Markt werden sich da weitere Änderungen ergeben. Aber egal, welche Kultur ich anbaue, entscheidend ist, dass sie resistenter gegen Hitze und Trockenheit sein muss.

Spielt dann die künstliche Bewässerung in der Landwirtschaft künftig eine stärkere Rolle?
Rukwied: Großflächig wird das nicht möglich sein. Wir haben im Moment etwa zwei Prozent der Fläche, die wir bewässern können, das betrifft intensive Kulturen wie Obst, Gemüse oder Wein. Da wird die Bewässerung zunehmen, aber auch da müssen wir effizienter werden und uns anschauen, wie es beispielsweise in Israel gemacht wird.
Wie wird sich denn die Betriebsstruktur der Höfe verändern? Wird der Trend zu immer größeren Betrieben anhalten?
Rukwied: Ja, allein schon durch den Generationswechsel. Es gibt Bauernfamilien, die keine Kinder haben, oder deren Kinder in andere Berufe gegangen sind. Allein schon wegen der demografischen Veränderung innerhalb der Landwirtschaft werden Betriebe aufgegeben, sprich: es wird weiterhin Strukturwandel geben.
Wenn Sie auf die Zukunft der Landwirtschaft insgesamt blicken, sind Sie da zuversichtlich?
Rukwied: Landwirtschaft hat nach meiner Überzeugung weiterhin eine Zukunft. Wir haben einen hoch motivierten und bestens ausgebildeten Nachwuchs. Der ist engagiert und innovativ und wirtschaftet, international gesehen, trotz aller Widrigkeiten in einer Gunstregion. Wir haben eine hervorragende Infrastruktur im vor- und nachgelagerten Bereich und wir haben einen sehr kaufkräftigen Markt. Ein Stück weit geht der Trend zu regionalen und saisonalen Produkten. Und solche Trends werden unsere Bauern, insbesondere die junge Generation, als Chance für sich nutzen.
Der Präsident des Deutschen BauernverbandesJoachim Rukwied (60) stammt aus Eberstadt bei Heilbronn, wo er nach dem Studium zum Agraringenieur 1994 den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb übernahm, der heute 340 Hektar Ackerland und 22 Hektar Weinberge umfasst. Seit 2006 ist Rukwied Präsident des Landesbauernverbands Baden-Württemberg, seit 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbands. 2017 wurde er zum Präsidenten des europäischen Bauernverbands COPA gewählt.Der Deutsche Bauernverband (DBV) vereint unter seinem Dach 18 Landesbauernverbände. Nach eigenen Angaben sind über 90 Prozent der rund 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe Mitglied im DBV. Er ist die damit die größte Interessensvertretung der deutschen Landwirtschaft.Quelle: DBV