Fünf unangenehme Begegnungen in zehn Tagen: Seit die Taiwanesin Lily nach einem längeren Aufenthalt in Taiwan Anfang März nach Deutschland zurückkehrte, muss sie sich im Alltag häufig mit Rassismus auseinandersetzen. Der Grund: Das Coronavirus, das zunächst in Asien auftrat und sich nun auch hier ausbreitet.
Lily ist Spitzname der 28-Jährigen. Sie lebt seit zwei Jahren mit ihrem Ehemann Hendrik Rabe in Würzburg und studiert Soziale Arbeit im Master. Sie hat der Redaktion erzählt, was sie zur Zeit erlebt, wie sie damit umgeht und was sie sich für die Zukunft wünscht.
Rassistische Vorfälle im Supermarkt, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße
"Neulich habe ich beim Einkaufen etwas aus dem Kühlregal genommen und dann bemerkt, dass eine Frau nach mir den Kühlschrank-Griff, den ich berührt hatte, mit ihrem Pulli abgewischt hat", erzählt sie. Zunächst habe sie gedacht, die Frau sei eben besonders vorsichtig und mache das mit allen Türgriffen so. "Aber als ich sie weiter beobachtet habe, ist mir aufgefallen – sie hat nur den Griff abgewischt, den ich angefasst habe.", so Lily.
Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln ist sie schon angefeindet worden: Als sie vor kurzem in einen Bus eingestieg, sagte ein anderer Fahrgast laut "Jetzt fährt auch das Coronavirus mit." Niemand verteidigte sie, auch nicht der Busfahrer: "An der nächsten Haltestelle stiegen weitere Asiaten zu, da hat der Busfahrer auch einen abfälligen Kommentar gemacht", erinnert sie sich.
In der Straßenbahn hat sie ein Mann erst direkt angeschaut und hat sich danach sofort umgedreht. Genauso wie eine Frau, die wegen ihr sogar aufgestanden ist und den Platz gewechselt hat. Als sie in der Fußgängerzone Flyer für ein Projekt aus dem Studium verteilt hat, sind die Menschen vor ihr zurückgewichen. Viele solcher Geschichten kann die 28-Jährige erzählen.
Angefeindet aufgrund ihres asiatischen Aussehens
"Ich verstehe zwar die Angst vor dem Virus", sagt die 28-Jährige. Sie verstehe aber nicht, warum Menschen ihre Angst so ausdrücken müssen. Vor allem, weil es in Deutschland viel mehr Corona-Erkrankte gibt, als in Taiwan: Dort gibt es lediglich gut 100 Fälle (Stand Mittwoch), in Deutschland zum gleichen Zeitpunkt über 10000. Die taiwanische Regierung hat einen Nachrichtenkanal in einer Kurznachrichten-App wie WhatsApp eingerichtet, über den sie die Benutzer per Push-Nachricht über die neuesten Coronaentwicklungen informiert.
Weil man ihr ansieht, dass sie Asiatin ist und sie zwar sehr gut deutsch versteht, aber nur sehr langsam spricht, ist sie schon häufig anders behandelt worden – unfreundlicher. "Früher, weil man dachte ich bin ein Flüchtling. Jetzt, weil die Menschen mehr Angst haben sich bei mir mit dem Virus anzustecken, als bei anderen", erklärt Lily.
Auffällig ist: Angefeindet wird sie nur, wenn sie alleine oder mit ihren asiatischen Freunden unterwegs ist. Wenn ihr deutscher Ehemann mit dabei sind, ist das nicht so.
Lily ist nicht die einzige Taiwanesin, die zur Zeit solche Erfahrungen macht. Das weiß sie aus einer Facebook-Gruppe, in der sich Taiwanesen, die in Deutschland leben, über ihre Erlebnisse mit Rassismus im Zusammenhang mit dem Coronavirus austauschen.
Zivilcourage fehlt
Von ihren Mitmenschen wünscht sich Lily mehr Rückhalt: "Ich glaube, vielen Menschen ist in diesen Situationen gar nicht klar, dass das gerade Rassismus ist." Niemand sei ihr bisher zur Hilfe gekommen, niemand habe sie verteidigt. "Das macht mich fast noch trauriger, als die tatsächlichen Beleidiungen."
Sie befürchtet, dass sie noch eine ganze Weile angefeindet werden wird, bis das Coronavirus besiegt ist. "Aber ich hoffe, dass die Menschen einen anderen Weg finden, ihre Angst zu äußern – ohne damit jemanden zu verletzen."