Als Burkard Fuchs im Januar der erste Ehrenamtskoordinator der Stadt Würzburg wurde, ahnte kaum einer, welche Mammutaufgabe vor dem 54-Jährigen liegt. Mit jedem neuen Flüchtling und jeder neuen Unterkunft stieg auch die Zahl der ehrenamtlichen Helfer rasant an. Im Interview erzählt der Diplomverwaltungswirt, wie er die Flut an Anfragen bewältigt hat, wann er einschreiten musste und welche Pläne er für dieses Jahr hat.
Frage: Herr Fuchs, Sie sind anfangs ins kalte Wasser geworfen worden. Welche Erwartungen hatten Sie an Ihre Stelle?
Burkard Fuchs: Keine. Es konnte mir auch niemand sagen, was mich erwarten wird, weil es schlicht niemand gewusst hat. In den ersten Monaten habe ich noch mit jedem Menschen, der ehrenamtlich mitarbeiten wollte, einen Tasse Kaffee getrunken, um herauszufinden, was ihn motiviert, welche Kompetenzen er hat und wo er arbeiten wollen. Später ging es nur noch per Mail und im Sommer war selbst das nicht mehr zu bewältigen. Ich bin jetzt noch immer am Abarbeiten einiger Nachrichten vom September.
Was hat Ihrer Meinung nach den Ausschlag gegeben, dass sich plötzlich so viele ehrenamtlich engagieren wollten?
Fuchs: Dass die Hilfesuchenden plötzlich so nah waren. Die Bürger hatten seit langer Zeit wieder die Möglichkeit, von Angesicht zu Angesicht zu helfen. Bei Flutkatastrophen, Erdbeben oder Tsunamis konnte man spenden oder Care-Pakete verschicken, aber hatte nie den persönlichen Kontakt. Jetzt stehen die Leute vor einem und man hört aus erster Hand, was sie durchgemacht haben. Man sieht direkt, wem man etwas Gutes tut.
Darf die Frage erlaubt sein, wer hier wem hilft?
Fuchs: Ja, das ist teilweise eine berechtigte Frage. Vor Weihnachten haben bei mir tatsächlich auch Leute angerufen, die sagten: „Ich würde gern über die Feiertage ein paar Flüchtlinge zu mir nach Hause einladen“.
Wann ist Ihnen das erste Mal bewusst geworden, dass nicht alle Helfer aus reinem Gutmenschentum mit anpacken?
Fuchs: Das war schon zu den Zeiten, als das Zelt in der Zellerau stand. Da habe ich erstmalig gemerkt, dass unterschiedliche Motivationen und Vorstellungen bei den Helfern mitschwingen.
Welche denn beispielsweise?
Fuchs: In der Zellerau gab es einige junge Helfer aus dem linken Spektrum, die Sprachunterricht gegeben haben. Dabei haben sie dann Priester als Pfaffen bezeichnet und Vertreter der Ordnungsmacht als Bullen. Da musste ich natürlich eingreifen und sagen, dass das so nicht geht. Wenn wir den Flüchtlingen Deutsch vermitteln, dann korrektes Deutsch.
Gab es noch andere solcher Vorfälle?
Fuchs: Ich fand es auch merkwürdig, dass einige Damen im Sommer sehr, sehr leicht bekleidet in den Unterkünften unterwegs waren. Sie begegnen dort Männern aus dem arabischen Kulturkreis, die Frauen teilweise ganz verschleiert kennen. Da wäre etwas mehr Sensibilität angebracht gewesen.
Hat Ihnen da Ihr Pädagogik-Master geholfen, um die richtigen Worte zu finden, ohne dass sich die Helfer angegriffen fühlen?
Fuchs: (Lacht) Ich hatte nie den Eindruck, dass sich jemand angegriffen fühlt. Es wurde gehört, verstanden und dann aber leider nur teilweise umgesetzt. Ich fand es auch sehr interessant, die Unterschiede zwischen dem Zelt in der Weißenburgstraße und der Kürnachtalhalle zu sehen.
Welche waren das?
Fuchs: In der Zellerau hatten wir wahnsinnig viele junge Helfer, das war eher so eine chaotisch-kreative Truppe. Mit einer ähnlichen Euphorie, aber einer ganz anderen Struktur, war das Ganze dann in Lengfeld. Weil es dort eine gefestigte Dorfgemeinde – Durchschnittsalter gefühlt 40 Jahre höher als in der Zellerau – gab. Ich finde es sehr schön zu hören, dass Lengfelder sagen, die Asylbewerberunterkunft in der Kürnachtalhalle sei ein großer Gewinn für den Ortsteil gewesen.
Warum war das so?
Fuchs: Weil dadurch in der Bevölkerung etwas entstanden ist, was noch Gültigkeit besitzt – auch jetzt, wo die Leute wieder weg sind. Während man sich vorher beim Bäcker kaum gegrüßt hat, hat man heute ein gemeinsames Thema, über das man redet. So erzählen es mir einige Helfer. Weil wir es vorhin davon hatten: Helfen muss keine Einbahnstraße sein. Es ist oft ja auch gut, wenn es zurückwirkt.
Im Sommer haben sich die Ereignisse in Würzburg überschlagen, wöchentlich sind neue Flüchtlinge hier angekommen, täglich haben sich neue Helfer registrieren lassen wollen. Ist Ihnen das alles nicht irgendwann zu viel geworden?
Fuchs: Nein, und es wird mir auch nicht zu viel. Ich finde es klasse, mit den Ehrenamtlichen zu arbeiten, und bin Oberbürgermeister Christian Schuchardt und meiner Sozialreferentin Hülya Düber aufrichtig dankbar, dass ich dafür alle Möglichkeiten und ihr Vertrauen habe. Ich habe von Anfang an gesagt: Das Blöde an dem Job ist, dass es keine Erfahrungswerte, keine Vorschriften, keine Regeln, keine Strukturen gibt. Und das Gute an dem Job ist, dass es keine Erfahrungswerte, keine Vorschriften, keine Regeln, keine Strukturen gibt. (Lacht)
Die erste Euphorie der Helfer ist vielerorts erloschen. Wie erleben Sie die aktuelle Situation?
Fuchs: Es sind nach wie vor genügend Leute in praktisch allen Bereichen da, die mithelfen. Unabhängig davon erlebe ich, dass eine Konsolidierungsphase eintritt. Wir bekommen nicht mehr 150 neue Anfragen am Tag, sondern nur noch zehn. Ich habe ungefähr 1300 Helfer mittlerweile erfasst, von denen sind aber nur noch zwei Drittel aktiv.
Woran liegt das?
Fuchs: Praktisch gesehen an dem Ortswechseln. In der Zellerau und in Lengfeld haben wahnsinnig viele aus der Nachbarschaft spontan mitgeholfen, die jetzt etwa nicht extra ans Hubland fahren wollen. Das ist einfach eine größere Hürde.
Sie sagen, es sind trotzdem noch genug?
Fuchs: Ja, es gibt mittlerweile in jeder Unterkunft einen festen Helferkreis mit Untergruppen, die alle Bereiche vom Essen, über Kinderbetreuung, Sprachunterricht oder Freizeitgestaltung abdecken. Das funktioniert sehr stabil. Es ist eine gute Basis, die man je nach aktueller Lage immer weiter ausbauen könnte.
Gibt es da Unterschiede zwischen den einzelnen Unterkünften?
Fuchs: Die gibt es vor allem zwischen Notunterkünften und dezentralen Unterkünften. Wir haben in der Stadt etliche dezentrale Unterkünfte, in denen 20 bis 40 Personen untergebracht sind. Die Asylbewerber dort fallen kaum auf, sie sind dank der Helfer gut in die Stadtteile integriert. Die Notunterkünfte dagegen sind viel größer und durch die Fluktuation ist es für alle eine völlig andere und schwierigere Situation.
Wenn die Ehrenamtlichen etwa enge Kontakte aufbauen und die Flüchtlinge dann weiterziehen müssen?
Fuchs: Ja, beispielsweise dann. Es ist oft so, dass die Ehrenamtlichen – auch zurecht – Forderungen aufstellen, die von Verwaltungsseite einfach schwer zu erfüllen sind. Wenn die Regierung einen Transfer ansetzt, dann können wir nichts dagegen machen. Da erlebe ich oft ein Stück Hilflosigkeit. Momentan ist das Problem, dass in den Notunterkünften kaum Fluktuation mehr erfolgt. Es gibt die Regel, dass Kinder in Notunterkünften nicht in die Schule gehen dürfen. Das war anfangs verständlich, aber jetzt, wo sie monatelang dort leben und nicht in die Schule dürfen, wird es schwierig. Da würde ich natürlich gerne etwas ändern, aber das liegt nicht bei mir, sondern beim Kultusministerium. Ich verstehe die Wut der Ehrenamtlichen, aber kann da nichts tun.
Sind Sie dann auch eine Art Seelsorger für die Ehrenamtlichen?
Fuchs: Eher weniger. Es gibt jetzt seitens der Wohlfahrtsverbände erste Beratungsangebote für Ehrenamtliche. Das ist auch deutlich von ihnen gewünscht worden. Ansonsten glaube ich, dass die einzelnen Gruppen wahnsinnig viel untereinander auffangen.
Was ist derzeit die größte Herausforderung?
Fuchs: Die kommt jetzt auf uns zu. Denn wenn die Menschen anerkannt werden, brauchen sie eine Wohnung, Kindergarten-, Schul-, Ausbildungs-, und Arbeitsplätze.
Und dabei sind auch wieder die Ehrenamtlichen gefordert?
Fuchs: Ja, wir arbeiten gerade an einer neuen Dimension ehrenamtlicher Arbeit, quasi einem Patenschaftsmodell. Momentan betreut ein Ehrenamtlicher meist eine Gruppe. Wenn es aber bald um Arbeits- oder Wohnungssuche, einen Platz in der Schule und in der Gesellschaft geht, braucht man eine speziellere und dauerhafte Hilfe, eins zu eins oder von Familie zu Familie. Das ist natürlich noch einmal anspruchsvoller, weil die Patenfamilien und Paten zusammenpassen müssen. Da überlegen wir grad, wie wir das machen können.
Wir sind gerade in das neue Jahr gerutscht: Haben Sie einen Wunsch für 2016?
Fuchs: Einen, den mir vermutlich niemand erfüllen kann. Ich wünsche mir, dass das Ganze etwas planbarer wird. Es kann derzeit immer passieren, dass wir von einem Tag auf den anderen 200 Leute unterbringen müssen und das ist für alle Beteiligten unheimlich schwierig. Trotzdem will ich noch einmal betonen, dass ich es grandios finde, was Würzburg auf die Beine gestellt hat und immer wieder stellt.
Dann sind Sie noch froh, den Job angenommen zu haben?
Fuchs: Unbedingt!