In der Rolle des Markgrafen Babenberg, der Symbolfigur von Frickenhausen, meinte Peter Güttler das historische Rathaus seiner Heimatgemeinde bestens zu kennen. Wie sehr er sich getäuscht hatte, wurde ihm bewusst, als er im Sommer 2016 zufällig die Tür zu einer Kammer voller altem Gerümpel öffnete. Als er dort unter all dem Unrat auf eine schwarze Eisenkiste stieß, war es um ihn geschehen. "Damit fing mein Elend an", erzählt er – das Elend, von einer Sache nicht mehr losgelassen zu werden. Seitdem hat er dem alten Gemäuer etliche Geheimnisse entlockt und manchen historischen Schatz dem Vergessen entrissen.
Die Eisentruhe war verstaubt und alt, uralt. Das sah man den geschmiedeten Nieten und Beschlägen an. Nur leider war sie verschlossen. Peter Güttler suchte Rat bei der Kunsthistorikerin Frauke van der Wall vom Museum für Franken in Würzburg. Die konnte zwar das Alter auf die Zeit um 1580 bestimmen. Wie man die Kiste öffnen könnte, wusste aber auch sie nicht. Der Schlüssel war verschwunden, und das womöglich schon seit Jahrhunderten.

Wieder war es Zufall, der Peter Güttler und den Dettelbacher Kunstschlosser Raimund Sauer zusammenbrachte. Sauer nahm sich der Kiste an und stellte fest, dass ein einfacher Schlüssel wohl nicht gereicht hätte, sie zu öffnen. Man musste den geheimen Mechanismus enträtseln. Das Schlüsselloch dient nur der Täuschung. Erst wenn man einen der Beschläge an der richtigen Stelle zur Seite dreht und zugleich eine der Nieten verschiebt, schnappt wie von Zauberhand das richtige Schlüsselloch auf. Dafür einen passenden Schlüssel anzufertigen, war für den erfahrenen Kunstschmied dann nur noch ein Kinderspiel.
"Solche Schätze sind bedeutungsvoll für die Geschichte Frickenhausens, die darf man einfach nicht verstecken."
Peter Güttler
"Es war natürlich außer Dreck nix mehr drin", erinnert sich Peter Güttler an den Moment, als sich der schwere Deckel endlich hob. Dafür kam der äußerst aufwendig gefertigte Mechanismus zum Vorschein, der sich darunter verbarg. Zwölf Riegel hielten den Deckel geschlossen und folgten nach mehr als vier Jahrhunderten der Bewegung des Schlüssels noch bereitwillig. Es lässt sich nur erahnen, welche Kostbarkeiten die Truhe einst barg. Vermutlich das Vermögen der Marktgemeinde, das man auf diese Weise in Kriegszeiten schnell in Sicherheit bringen konnte.

Die älteste Inschrift an der Fassade des Rathauses stammt aus dem Jahr 1480 und zeigt einen Vorläufer des heutigen Gemeindewappens mit zwei Trauben. Der Gebäudeteil mit dem holzvertäfelten Sitzungssaal entstand erst im späten 16. Jahrhundert und bewahrt noch viele Details aus der Bauzeit. So etwa der Türstock mit der Inschrift 1568, die umlaufende Sitzbank mit den Resten der farblichen Fassung und die Holzvertäfelung, die der Ruß ungezählter Kerzen über die Jahrhunderte nahezu schwarz gefärbt hat. Bis in die 1980er Jahre beriet dort noch der Gemeinderat.

Aus den abgelaufenen Bodendielen ragen zentimeterhoch die härteren Äste hervor. Der Boden hat sich unter der Last des Gebäudes von einer Ecke des Raumes zur anderen um fast einen halben Meter gesenkt. Die Leibungen der Türen folgten dem Druck. Nur der stattliche Renaissance-Schrank blieb standhaft. Das Ölgemälde mit der Darstellung König Salomons war lange unbeachtet geblieben. Ein Sachverständiger des Würzburger Dommuseums erkannte nun darin ein Meisterwerk aus der Zeit um 1710, das die Frickenhäuser Gerichtsherren wohl in Auftrag gegeben hatte, um sich selbst zu salomonischer Gerechtigkeit zu ermahnen.

Es ist beileibe nicht der einzige Kunstschatz, dem Peter Güttler auf die Spur kam. Auch das Taufbecken ist bemerkenswert, das in einer Ecke achtlos verstaubte. Das Wappen Rudolf II. von Scherenberg, Würzburger Fürstbischof von 1466 bis 1495, lässt erahnen, dass es noch aus der ersten Bauphase des Rathauses stammt. Dieses diente damals wohl zunächst als Markthalle, Speicher und Versammlungsstätte, wie die riesige, von drei Seiten durch Fenster erhellte Diele vermuten lässt. Wie ihm Denkmalexperten versicherten, zähle sie zu den schönsten Rathausdielen in Franken, sagt Güttler

Weil der große, lichtdurchflutete Raum Mitte des 19. Jahrhunderts in eine Gemeindekanzlei und Schulsäle unterteilt wurde, hat sogar die farbliche Fassung der Deckenbalken die Zeit unter der Holzverkleidung nahezu unbeschadet überdauert. Nur viele der Wandmalereien schauen mitgenommen aus. Auf einem Fragment ist ein geharnischter Ritter mit Morgenstern zu erkennen. Der Wappenfries unter der Decke blieb gut erhalten. Viele der Wappen lassen sich heute nicht mehr zuordnen. Sie gehörten vermutlich den Domherren und adeligen Grundbesitzern, die schon im Mittelalter Güter und Weinberge in Frickenhausen besaßen.

Auch manch Kurioses brachte Peter Güttler zum Vorschein. Den Abtritt neben dem Sitzungssaal etwa, ein Brett mit Loch, das einst ins Freie führte, und auf dem sich die Ratsherren während anstrengender Beratungen erleichtern konnten. Oder einen der den ledernen Löscheimer, die früher für den Fall einer Feuersbrunst im Rathaus verwahrt waren. Und dann noch die Schublade voller kaputter Glühbirnen, die wohl ein übertrieben sparsamer Gemeindediener dort gesammelt hatte. "Warum jemand kaputte Glühbirnen aufhebt, hat sich mir bis heute nicht erschlossen", sagt Güttler.
Wie für die Eisentruhe gab es auch für aufwendig gearbeiteten Kastenschlösser der meisten Schränke und Türen keine Schlüssel mehr. Auch für diesen Fall konnte Kunstschmiedemeister Raimund Sauer aushelfen und fertigte die Schlüssel nach. Einer davon gehört nun zur schmalen Pforte, die den Durchgang zur benachbarten Kirche versperrt. Die Jahreszahl 1609 ist über dem Bogen zu lesen. Ob er als Fluchtweg diente, kann Peter Güttler nur vermuten. Jedenfalls mag seit Jahrzehnten niemand mehr die Schwelle übertreten haben.

Peter Güttler hat hartnäckig recherchiert. "Das Mainfränkische Museum, das Dommuseum, das Landesamt für Denkmalpflege und den Kreisheimatpfleger hab ich mir dazu an Land gezogen", erzählt er. Auch manchen Widerstand musste er dabei überwinden. "Was sollen wir mit dem alten Zeug", habe man ihn gefragt. Um eine Antwort ist er nicht verlegen. "Schaut her, das ist Frickenhausen, das ist unsere Geschichte." Und er ist überzeugt: "Das muss man zeigen und sichtbar machen." Nicht nur den Frickenhäusern, sondern auch Fremden und Touristen. "Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann", so Güttler

Den reichen Fundus an historischen Schätzen zu heben und herzeigbar zu machen, sei deshalb von Anfang an sein Antrieb gewesen. In den kleinen Seitenkammern schrubbte er stundenlang Schmutz und Patina von den Bodendielen. Tatkräftig wurde er dabei von seiner Frau Elke unterstützt. Alles in allem seien es locker über 500 Stunden, die er in den vergangenen eineinhalb Jahren in und mit dem alten Rathaus zugebracht hat. Alte Barockschränke, die achtlos in einen Winkel gezwängt wurden, kommen jetzt in der Diele wieder zur Geltung.
"Warum jemand kaputte Glühbirnen aufhebt, hat sich mir bis heute nicht erschlossen."
Peter Güttler
Ebenso wie die tanzende Madonna, die ursprünglich die barocke Mariensäule vor dem Rathaus krönte und wegen starker Verwitterung schon vor Jahrzehnten gegen einen Kopie ausgetauscht wurde. Die alten Tische standen einst gegenüber im Wirtshaus Schreck, das vor 40 Jahren abgerissen wurde. Darüber haben endlich auch die drei alten Vereinsfahnen aus der Zeit von 1870 bis 1900 einen würdigen Platz gefunden. Eine davon hing früher an der Wand des Sitzungssaals, zwei waren bei Privatleuten verwahrt.

Am Samstag, 13. April, um 14 Uhr sollen die Frickenhäuser erstmals Gelegenheit haben, zu sehen, was sich in ihrem alten Rathaus verändert hat. Geht es nach Peter Güttler, soll das historische Rathaus künftig regelmäßig für Ausstellungen, Konzerte und andere festliche Anlässe zur Verfügung stehen und dabei einen Eindruck von der reichhaltigen Vergangenheit des alten Weinorts vermitteln. "Solche Schätze sind bedeutungsvoll für die Geschichte Frickenhausens, die darf man einfach nicht verstecken", sagt er.