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WÜRZBURG: Erster Weltkrieg: Als die Schaufenster dunkel blieben

WÜRZBURG

Erster Weltkrieg: Als die Schaufenster dunkel blieben

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    In Würzburger Gaststätten und Cafés wie dem Alhambra am Franziskanerplatz sollte im letzten Kriegsjahr an Tischdecken und an der Beleuchtung über nicht besetzten Tischen gespart werden. Die Illustration stammt aus der Vorkriegszeit, als noch kein Mangel herrschte.
    In Würzburger Gaststätten und Cafés wie dem Alhambra am Franziskanerplatz sollte im letzten Kriegsjahr an Tischdecken und an der Beleuchtung über nicht besetzten Tischen gespart werden. Die Illustration stammt aus der Vorkriegszeit, als noch kein Mangel herrschte. Foto: Foto: Sammlung Willi Dürrnagel

    "Alles wird in Deutschland rar", schrieb Leo Gundelfinger, Seminarist an der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg, in seinen Lebenserinnerungen über den Beginn des Jahres 1918. Der 17-Jährige zählte auf: „Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Seife, Pferde, Kanonen, Munition und hauptsächlich Frontsoldaten.“

    Kriegsmüde geworden

    „Die Menschen sind des Krieges unsäglich müde“, notierte Hans Löffler damals in seinem Tagebuch. Als Würzburger Polizeireferent war er unter anderem für die Versorgung der Bürger mit Lebensmitteln zuständig.

    Schon das wenige Tage zurückliegende Weihnachtsfest hatte unter dem Eindruck des allgegenwärtigen Mangels gestanden. Aus gespartem Mehl konnte im Hause Löffler immerhin ein wenig Weihnachtsgebäck hergestellt werden. Es waren nur „einfache Sachen, die möglichst wenig Fett und Eier beanspruchen“, schrieb der spätere Oberbürgermeister.

    Manche Geschäfte hatten geschlossen, in den noch offen stehenden lag fast nichts mehr in den spärlich beleuchteten Auslagen. Inzwischen galt es nur noch, den Mangel an fast allem zu verwalten. Die Blockade der Gegner zeitigte immer gravierendere Auswirkungen.

    Keine Tischtücher mehr, keine Stopfwolle

    Der Mangel machte sich bei so unspektakulären Dingen wie Tischtüchern in Gaststätten bemerkbar. Bereits seit dem 1. Oktober 1917 war die Verwendung von Decken aus Stoff in den meisten Fällen verboten und ihre Ablieferung vorgeschrieben, weil die Tücher zu Wäsche für Kleinkinder werden sollten. Doch es fehlte auch an Wolle und Stopfwolle sowie an Nähgarn. „Die Schneider haben die größte Schwierigkeit, sich das notwendige Garn zu verschaffen“, schrieb das Würzburger SPD-Blatt „Fränkischer Volksfreund“. Den Hausfrauen gehe es nicht besser: „Neue Kleider kann man sich nicht anschaffen; man sucht die alten zurechtzuflicken und zu ändern. Der Versuch scheitert vielfach am Mangel an Nähgarn.“

    Die Bürger wurden aufgefordert, jeden noch so unscheinbaren Fetzen Stoff zu sammeln und abzugeben: herumliegende Lumpen, Stoffabfälle, altes Packleinen, Flicklappen, Stricke, Bildfäden, Hüte, Kragen und Manschetten. Denn, schrieb der bürgerliche „General-Anzeiger“, „die Kriegswirtschaft braucht jedes Stückchen Lumpenmaterial, auch wenn es noch so wertlos erscheint“.

    Schutzumschläge der Bücher für die Kriegswirtschaft

    Um Stoff zu sparen, wurde festgelegt, dass Männerbekleidung nur eingeschränkt mit Futter versehen werden durfte und dass Vorhänge in öffentlichen Gebäuden zu beschlagnahmen waren. Zuletzt forderte das Kultusministerium sogar die Universität auf, Schutzumschläge aus Leinwand oder anderen Futterstoffen von alten Büchern zu entfernen, „soweit es ohne Schaden geschehen kann“ und diese der Kriegswirtschaft zur Verfügung zu stellen. Es war ein Akt der Verzweiflung, der keine Wende mehr bringen konnte. Waren und Rohstoffe gingen fast nur noch an das Militär.

    Alles irgendwie taugliche Leder wurde beispielsweise von der Heeresverwaltung beansprucht. Schuhe für den Normalbürger entstanden aus Ersatzstoffen, etwa aus Papier, und sie erhielten höchstens noch eine schmale Ledereinfassung um die Holzsohlen. Alle sollten sich an diese Ersatzschuhe gewöhnen, stand in der Zeitung, ebenso wie an das Barfußgehen im Sommer, um Schuhe und Strümpfe zu schonen.

    Votivbilder ohne Kerzen

    Mangel herrschte in allen Lebensbereichen: In Wallfahrtskirchen wie dem Käppele durften die Menschen vor Votivbildern keine Kerzen mehr anzünden und wenn in Gaststuben Licht brannte, dann nur über Tischen, an denen auch Gäste saßen. Anzeigen in den Tageszeitungen mussten wegen der Papierknappheit verkleinert werden und die Lehrer waren aufgefordert, „beim Papierverbrauch äußerste Einschränkung zu üben“, also Schulbücher seltener zu wechseln und Hefte immer bis zum letzten Blatt vollschreiben zu lassen.

    Das führte teilweise zu grotesken Situationen, wie die 1906 geborene Greta Brehm notierte. Als die Schülerin in der Anstalt der Ursulinen im Unterricht schwätzte, gab ihr die Lehrerin mit dem Rohrstock zunächst sechs Schläge auf die Finger. Zusätzlich sollte die Elfjährige zu Hause 100-mal „Ich darf in der Schule nicht schwätzen“ in ihr Heft schreiben. Greta Brehms gewitzter Vater wandte die Mangellage in einen Vorteil für seine Tochter um. „Das Vaterland ruft! Spart Papier!“, schrieb er auf einen kleinen Fetzen Papier und legte ihn in das Heft. Greta Brehm: „Die Nonne hat kein Wort gesagt und warf ihn in den Papierkorb.“

    Fahrradfahren nicht zum Spaß

    Wegen des Gummimangels waren Vergnügungstouren mit Fahrrädern verboten, um die Abnutzung der Gummischläuche zu verhindern. Bezugsscheine für neue Fahrradschläuche erhielt nur, wer auf sein Rad angewiesen war, beispielsweise für den Weg zur Arbeit oder zur Ausübung eines „im allgemeinen Interesse besonders notwendigen Berufes oder Gewerbes“.

    Spätestens als Anfang des Jahres 1918 die Sammlung von Frauenhaaren intensiviert wurde, hätte auch dem Letzten klar werden müssen, dass die von der Blockade der Gegner schwer getroffene Wirtschaft des Kaiserreichs vor dem Kollaps stand. Am 22. März 1918 forderte der Würzburger Frauenzweigverein vom Roten Kreuz „alle vaterländisch gesinnten Frauen und Jungfrauen“ auf, Haare im Südflügel der Residenz abzugeben. „Das ausgekämmte Frauenhaar wird dringend gebraucht zu kriegswirtschaftlichen Zwecken, insbesondere zur Herstellung von Treibriemen und Filz sowie von Dichtungsriemen“, hieß es in dem Aufruf.

    Türklinken und Fenstergriffe begehrt

    Besonders wichtig für die Fortsetzung des Krieges war jede Form von Metall. Als die Enteignung von Türklinken und Fenstergriffen sowie von anderen Metallbeschlägen auch in Privathaushalten drohte, schaltete die Würzburger Firma J. B. Deppisch eine Anzeige: Bei ihr seien als Ersatz „schöne Muster in Eisen, sowie auch in Büffelhorn vorrätig“.

    Sogar der konservative und den Krieg energisch bejahende „General-Anzeiger“ sah sich jetzt veranlasst, vorsichtige Kritik zu üben: „Es wird vielfach geklagt, dass die früher enteigneten oder freiwillig abgelieferten Metallgegenstände, Kupferkessel usw. noch Monate hindurch unberührt auf den Sammelplätzen lagerten, ehe sie verwendet wurden“, schrieb das Blatt. Bevor man Türklinken enteigne, solle erst dieses Material verwendet werden.

    Löwenbrücken-Löwen im Visier

    Als der Sieg in immer weitere Ferne rückte, wurde das Einschmelzen von Denkmälern beschlossen, die nach 1850 errichtet worden waren. So sollten die vier Löwen auf der Löwenbrücke entfernt und nach dem Krieg nicht ersetzt werden, da ihre Wiederherstellung nicht im öffentlichen Interesse liege. Die Figuren des Frankoniabrunnens vor der Residenz und des Kiliansbrunnens vor dem Hauptbahnhof sollten zwar ebenfalls eingeschmolzen, nach dem Krieg aber immerhin erneuert werden. Die Maßnahmen unterblieben dann aber, weil der Krieg vor dem Beginn der Maßnahme im November 1918 endete.

    Alles Material, das für den Bau neuer Wohnungen benötigt worden wäre, ging an die Fronten, wo Unterstände und Bunker entstanden. In Würzburg herrschte im letzten Kriegsjahr eine solche Wohnungsnot, dass zeitweise der Zuzug verboten war. Hunderte Menschen mussten in Baracken leben.

    In Zeitungen oder unter der Hand wurden hohe Beträge für die Vermittlung von Wohnungen angeboten. Das in Würzburg beheimatete stellvertretende Generalkommando verbot alle derartigen Vereinbarungen und Anzeigen, doch der Erfolg solcher und anderer Verbote war äußerst zweifelhaft, wie „General-Anzeiger“ und „Volksfreund“ übereinstimmend meldeten.

    Ziegenmilch fürs kranke Kind

    Es gebe nur noch sehr wenige Deutsche, die sich nicht „in irgendeiner mehr oder weniger bedenklichen Form gegen die bestehenden Regierungsverordnungen und Gesetze vergangen und strafbar gemacht haben“, schrieb der „Volksfreund“ und nannte ein bezeichnendes Beispiel: „Der Vater eines kranken Kindes verfällt auf die Idee, in der Zeitung ein Kaufgesuch für Ziegenmilch zu veröffentlichen.

    Er hat sich überlegt, dass Ziegenmilch ja nicht zu den rationierten Lebensmitteln gehöre, dass es also auch nicht verboten sein könne, Ziegenmilch zu kaufen, um damit sein krankes und schwächliches Kind möglichst schnell wieder gesund zu machen.“

    Diese Überlegung, so der „Volksfreund“ weiter, „war auch durchaus einwandfrei, nur hatte er nicht gedacht, dass die Kaufgesuche der Genehmigung der Preisprüfungsstelle unterliegen und ohne diese Genehmigung nicht veröffentlicht werden dürfen. Das alles erfuhr er erst zugleich mit einem Strafmandat über zehn Mark.“

    Auch der „General-Anzeiger“ kam zu dem Ergebnis, dass die unzähligen Vorschriften überhaupt nicht mehr einzuhalten waren: „8000 Kriegsgesetze und 33 000 Verordnungen 'regeln' die Kriegsexistenz der Deutschen. Oder regeln sie nicht“, schrieb das Blatt. Denn: „All die Verfügungen und Strafandrohungen sind der Mehrzahl von uns gleichgültig geworden.“

    Neuerscheinung und Buchvorstellung:

    „Vergessenes Leid. Wie Würzburger den Ersten Weltkrieg erlebten“ – so lautet der Titel des Main-Post-Buchs von Roland Flade, das im Frühjahr erscheint. Vorgestellt wird der Band am Sonntag, 11. März, um 11 Uhr im Programmkino Central in Würzburg, Bürgerbräu in der Frankfurter Straße 87.

    „Die Kriegswirtschaft braucht jedes Stückchen Lumpenmaterial, auch wenn es noch so wertlos erscheint.“

    Der Würzburger „General-Anzeiger“ im Jahr 1918

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