Der Platz ist hergerichtet, die Metereologen haben Sonnenschein angekündigt. Die 80 Einwohner von Gadheim hätten am Wochenende gern gefeiert, nämlich die Eröffnung des neuen geografischen Mittelpunkts der Europäischen Union. Aber es soll nicht sein. Vorerst zumindest. Oder vielleicht auch gar nicht. Alles hängt an Theresa May und den Briten. Und die wissen es wahrscheinlich selbst nicht. Der 29. März als Brexit-Termin ist jedenfalls abgesagt.
- Lesen Sie auch: Was Gadheim mit Theresa May verbindet
- Lesen Sie auch: Europawahl 2019: Das müssen Sie jetzt wissen
Sobald das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt, verschiebt sich der geografische Mittelpunkt der Gemeinschaft, von Westerngrund (Lkr. Aschaffenburg) in den Ortsteil von Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Dort oben über dem Maintal, wo der Raps wächst, hat die Gemeinde von Landwirtin Karin Keßler tausend Quadratmeter Acker gepachtet, Wege gebaut, eine Fläche gepflastert, Büsche gepflanzt, Fahnenmasten und Schilder aufgestellt. In einen Muschelkalk-Brocken hat man den Messpunkt eingehauen: 9 Grad, 54 Minuten und 7 Sekunden östlicher Länge; 49 Grad, 50 Minuten und 35 Sekunden nördlicher Breite. Ihn hat das Institut national de l'information géographique (ING) in Paris vor zwei Jahren errechnet.
Ortssprecher: "Ein Trauerspiel, was die in London inszenieren"
Seitdem beschäftigt der Brexit das Dorf. Mit durchaus zwiespältigen Gefühlen. "Der EU-Mittelpunkt wäre eine Attraktion, die Auswärtige anlockt", glaubt Landwirt Walter Dieck. Allerdings ist der Ortssprecher wie viele andere auch ein überzeugter Europäer und als solcher genervt vom Hickhack auf der britischen Insel: "Ein Trauerspiel, was die in London inszenieren." Wenn es also nichts wird mit dem EU-Mittelpunkt vor der Haustür, sei in Gadheim auch niemand wirklich traurig.

Eine Stimmungslage, die ganz Veitshöchheim teilt, versichert Jürgen Götz. Was Gadheim betrifft, sehe er die Brexit-Debatte "sehr gelassen", betont der Bürgermeister von Veitshöchheim. Als Europäer sei er über die Entwicklung aber bestürzt. Der Brexit sei ein schwerer politischer Fehler, das aktuelle Hin und Her stärke nur die Zweifler, die nicht anerkennen wollten, "dass die Europäische Union 70 Jahre Frieden, Freiheit und Wohlstand" gebracht hat. Götz: "Die beste Lösung wäre vielleicht doch ein zweites Referendum."
"Mahnmal, wie es in Europa nicht laufen sollte"
Entschieden sich die Briten dabei für den Verbleib in Europa, verschwände Gadheim vermutlich schnell wieder aus den Schlagzeilen. Jürgen Götz indes würde auch einen gescheiterten EU-Mittelpunkt nicht gleich wieder einebnen. "Ein Mahnmal zur Einigkeit Europas", könnte zeitweise entstehen, "als Anschauungsobjekt für Schüler", so sagt er. "Ein Mahnmal", ergänzt Walter Dieck, "wie es in Europa nicht laufen sollte".