Der Rentner wollte an dem Freitagnachmittag selbst gebackene Plätzchen für den Basar der Oberzeller Franziskanerinnen im Kloster abgeben. Da sah er, wie ein Mann mit zwei Eisenhämmern im Klosterhof parkende Autos demolierte. Als er auch auf sein Auto zulief, nahm Raps eine Schaufel, um sich und den dazu gekommenen Hausmeister zu verteidigen. Was dann geschah, daran erinnert sich Richard Raps bis heute nicht.
Ein Polizist erschoss den Täter, einen offenbar geistig verwirrten, 36-jährigen Libanesen, in Notwehr. Der Mann hatte Richard Raps mit vier Schlägen Schädel und Kiefer zertrümmert. „Der fünfte Schlag wäre tödlich gewesen“, erfuhren die Angehörigen später im Krankenhaus.
Richard Raps wurde schwer verletzt in die Neurochirurgie der Uni-Klinik eingeliefert. Eine Woche bangte die Familie um sein Leben. Zunächst war ungewiss, ob er jemals wieder laufen oder sprechen könnte. Stundenlange Operationen des Schädel- und Kieferbruchs, wochenlanger Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt liegen hinter dem tapferen Mann.
Zwölf Wochen sind seitdem vergangen. Richard Raps sitzt mit Ehefrau Barbara, Tochter Irmhilde und den Enkelkindern Klara und Franz beim Nachmittagskaffee. Er erzählt aus seinem früheren Berufsleben. Er war Landwirt, dann Hubschrauberpilot im Pflanzenschutzeinsatz über ganz Deutschland und Luxemburg. Wälder, Reben, Äcker hat er gespritzt in den 70er und 80er Jahren. „Das ist richtige Rallye-Fliegerei“, meint der 71-Jährige. Einen Meter über dem Boden, zwischen Leitungen und Bäumen durch, oft ziemlich riskant. Globetrotter ist er auch, der vitale Eßfelder, der gerne lacht und erzählt. Südafrika hat er mit dem Sportflugzeug bereist, er war in allen Kontinenten der Erde, und in den 80ern wollte er nach Australien auswandern.
Derzeit ist er froh, wieder zu Hause in Eßfeld zu sein. Er muss noch jeden zweiten Tag zum Zahnarzt, wegen des Kiefers, und eine Ergotherapeutin schult seine Feinmotorik. „Zehn Prozent muss ich noch aufholen, dann bin ich wieder 100 Prozent fit“, freut sich Richard Raps. Am 11. April feiert er seinen „ersten Geburtstag“, der zweite Geburtstag wird jetzt jedes Jahr am 1. Dezember gefeiert. Und beim „Helferfest“ für alle, die ihm und seiner Familie während der schweren Zeit beigestanden haben, zur Eröffnung der Rapsschen Heckenwirtschaft vom 13. bis 15. April, will der umtriebige Eßfelder wieder die berühmten Rapscracker und Käsfüß backen, die seine Gäste so schätzen. Auch die Plätzchen, die er den Oberzellern an jenem schicksalsträchtigen Dezembernachmittag brachte, hatten er und Ehefrau Barbara gemeinsam gebacken. Die Oberzeller Schwester Rosula betreute 30 Jahre lang die Kleinen im Eßfelder Kindergarten, auch die Raps-Tochter Irmhilde. Deshalb wollte die Familie auch den Basar der Nonnen mit den Plätzchen unterstützen. Die Oberzeller Schwestern besuchten den Schwerkranken oft im Krankenhaus. „Die Schwestern hatten große Schuldgefühle, dabei konnten sie ja nun wirklich nichts dafür“, betont Raps. „Und dieses Jahr im Advent bringe ich den Schwestern wieder Plätzchen“, sagt Richard Raps. Das hat er ihnen schon im Dezember auf der Intensivstation versprochen.
Die Ärzte wundern sich über die schnelle Heilung. Leichte Gleichgewichtsstörungen, Wetterfühligkeit und manchmal Kopfschmerzen plagen den „Neugeborenen“ noch. Im Moment darf er nur weiche Sachen essen und wird schneller müde als sonst. Doch das sind erstaunlich wenige Beeinträchtigungen zehn Wochen nach der schrecklichen Tat.
Die Töchter Eva und Irmhilde haben ihrem Vater ein Tagebuch geschenkt, in dem die Wochen im Krankenhaus beschrieben sind, als er kaum bei Bewusstsein war. Auf dem Titelblatt steht ein Zitat von Christian Morgenstern: „Und ist es nicht so, dass höchste Glücksempfindung voraussetzt, auch Allertiefstes gelitten zu haben?“
Ein großes Glück war für Richard Raps die Anteilnahme so vieler Menschen, die ihn durch seine Zeit als Pilot, durch die Heckenwirtschaft oder anderswo her kennen. Briefe, Anrufe, Geschenke, darunter zahlreiche Engel, Gebete – halfen ihm und seiner Familie, über den Schock hinwegzukommen.
Letzte Woche war er zum ersten Mal nach dem Anschlag am Tatort. „Es hat mich nicht belastet, und ich habe auch keine Alpträume“, meint er. „Ich bin ein positiv denkender Mensch. Die Tat ist geschehen, ich hatte fünf Schutzengel, die mich beschützten. Und was vorbei ist, ist vorbei.“ Gegen den Täter hegt er keinen Zorn oder Hass. „Das war im Grunde ein armer Kerl.“ Seine Witwe und die beiden kleinen Kinder tun ihm leid. Er will sogar Kontakt zu ihr aufnehmen.