Prof. Eric Hilgendorf würde Kreuze in den bayerischen Gerichtssälen gerne gegen ein „staatliches Wappen“ oder ein „Bild des Bundespräsidenten“ austauschen. Warum die christlichen Symbole überhaupt dort hängen, wo Urteile „Im Namen des Volkes“ gesprochen werden, kann niemand so recht begründen.
Für Hilgendorf ist die Sache klar: Kreuze sind in den Gerichten fehl am Platz. Schließlich würden Urteile „nicht im Namen einer bestimmten Religion“ gesprochen, sagt der renommierte Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg. Die Chance, dass Nicht-Christen „ein Urteil akzeptieren und daraus lernen“, werde durch das christliche Symbol im Sitzungssaal „stark verringert“.
Keine traditionellen Kreuze im Verwaltungsgericht
Im Verwaltungsgericht am Fuße der Festung Marienberg, 1988 bezogen und noch immer sowohl von der Architektur als auch von der Einrichtung her durchaus „modern“, gibt es keine traditionellen Kreuze oder Kruzifixe. „Wir haben Kunstwerke, die man als Kreuze interpretieren kann“, sagt Präsident Rudolf Emmert, dessen Gericht die Klagen von abgelehnten Asylbewerbern verhandelt und deshalb besonders viel mit Muslimen zu tun hat.
Vielleicht weil die christlichen Symbole nicht gleich als solche zu erkennen sind, hat hier laut Emmert „noch nie jemand verlangt, dass sie abgehängt werden“. Und zwar weder Kläger, noch Schöffen. Würde es jemand fordern, liege es beim „jeweiligen Richter“, ob dem Verlangen nachgegeben werde oder nicht. „Ich denke, es kommt auf den Einzelfall an“, sagt Emmert.
Warum in Verhandlungssälen überhaupt Kreuze hängen, kann Emmert nicht wirklich begründen. „Das war schon immer so“, sagt er, „es ist einfach Tradition“. Und schließlich sei „Deutschland ja christlich geprägt“.
„Die waren schon immer da“
Ingrid Kellendorfer, Präsidentin des Sozialgerichts, muss nicht lange überlegen, wenn man sie fragt, ob sie auf Verlangen ein Kreuz aus dem Sitzungssaal entfernen ließe. „Wenn jemand das möchte, hängen wir es ab“, sagt sie, „damit haben wir kein Problem“. Allerdings sei dieser Wunsch während ihrer neunjährigen Amtszeit noch nie geäußert worden. Dass es überhaupt Kreuze in ihrem Gericht gibt, sei wohl „aus der Historie heraus“ zu erklären. „Die waren schon immer da und sie waren noch nie ein Thema.“ Dann erzählt sie, dass die meisten Zeugen, wenn sie vereidigt werden, „den Eid mit religiöser Beteuerungsformel ablegen“, obwohl sie dazu nicht verpflichtet sind.
Auch Schöffen würden ihre Vereidigung mehrheitlich mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ beenden. „Dadurch kommt ja eine gewisse Überzeugung zum Ausdruck“, sagte Kellendorfer, „und deshalb hängen bei uns die Kreuze gut“.
Eine Vorgabe der bayerischen Regierung?
In dem neuen, Ende 2004 bezogenen Straf- und dem aufwendig umgebauten und Ende 2010 eingeweihten Ziviljustizzentrum in der Würzburger Ottostraße hängen Kreuze in jedem Sitzungssaal. Dietrich Geuder, Präsident des Landgerichts Würzburg und somit Hausherr beider Gebäude, erklärt, dass das „einer Vorgabe der bayerischen Staatsregierung“ entspräche. Das ist allerdings nicht richtig.
Zwar ist in den „Empfehlungen für den Bau von Justizgebäuden“ der Obersten Baubehörde des Innenministeriums die Rede von „abnehmbaren Kreuzen“ in Sitzungssälen. Aber Empfehlungen sind etwas anderes als Vorgaben. Thomas Pfeiffer, Pressesprecher des bayerischen Justizministeriums, auf Anfrage der Redaktion: „Die Empfehlungen wenden sich an die Staatliche Bauverwaltung, an die von ihr beauftragten Architekten und Ingenieure sowie an die Justizverwaltung. Sie sind keine Verwaltungsvorschriften oder Richtlinien“. Es ist also keinesfalls so, dass in bayerischen Gerichtssälen Kreuze hängen müssen.
Auf Wunsch Kreuz entfernt
Allerdings stören sie dort offenbar auch kaum jemand. „Zwei Mal“ ist es in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass im Landgericht Würzburg Kreuze abgehängt wurden. Beide Male, so Pressesprecher Michael Schaller, hätten nicht Angeklagte, Kläger oder Beklagte darum gebeten, sondern Schöffen, also ehrenamtliche Richter. Ob Kreuze „gegebenenfalls abgehängt“ werden, entscheide der jeweilige Vorsitzende Richter. Laut einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1973 muss ein Kreuz entfernt werden, wenn ein Prozessbeteiligter „Gewissensnöte geltend macht“. Auch beim Amtsgericht Würzburg gab es nach Auskunft von Pressesprecher Rainer Beckmann nur zwei Fälle, wo das Kreuz auf Wunsch abgehängt wurde. „Beide Male handelte es sich um das Strafgericht.“
Es scheint, als gehöre das Kreuz zum Inventar eines Gerichtssaals im Freistaat. Anders ist es zum Beispiel im ebenfalls sehr christlich geprägten Saarland. Hier hat im März 2016 der Präsident des Saarbrücker Amtsgerichts, Stephan Geib, alle Kreuze aus den Sitzungssälen entfernen und durch das Landeswappen ersetzen lassen. Begründung: Das Kreuz sei nicht die Autorität, „in deren Namen Recht gesprochen werde“.
Wenn Menschen sich nicht mit dem Symbol identifizierten, könne es innerlich Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters erzeugen. Geib findet es überzeugender, „unsere von Freiheit und Toleranz geprägte Wertordnung in einem neutralen Sitzungssaal durchzusetzen“.