Die einen wollen sich körperlich fit halten. Andere suchen den Wettkampf. Wieder andere wollen abschalten, den Alltagsstress hinter sich lassen. Fürs Laufen gibt es viele gute Gründe. Und für Manfred Geßner aus Untereisenheim (Lkr. Würzburg) noch einen mehr: Wenn der Elektromeister und langjährige Diakon seine Schuhe schnürt, dann läuft er auch zu seinem Herrgott. An diesem Samstag wird er 80 – hält ihn das Alter nicht auf?

Altersklassen-Sieger über 10 Kilometer beim Marathon in München
Im Oktober erst startete Geßner für das Ordinariat Würzburg beim Marathon in München im Zehn-Kilometer-Lauf. Eine Stunde und sieben Minuten, Platz eins in der Altersklasse M 80. Doch Platzierungen spielen für ihn eigentlich keine Rolle. Es ist eine andere Erfüllung, die er beim Laufen findet: spirituelle Erfahrungen in der Natur. "Gehbeten", wie er es nennt. "Da bin ich Gott ganz nah". Bisweilen näher als im Kirchenhaus.
Deshalb trabt Manfred Geßner normalerweise allein durch die Fluren, entlang des Mains, durch Weinberge und Wälder. Dabei mit jemandem zu quasseln ist nicht seine Sache.
Für das Gespräch mit dem Reporter macht er eine Ausnahme. An einem kühlen Herbstmorgen verabredet man sich zum gemeinsamen Lauf. Eine gute Stunde wird man sich unterhalten, die Gedanken treiben lassen, hineinjoggen in den taufrischen Tag. Vorbei an kahlen Äckern, einem Pferdegestüt, Zuckerrübenhaufen und durch einen goldgelb leuchtenden Wald, über den sich langsam die Sonne hebt.
Manfred Geßner ist ein hagerer, drahtiger Mann mit dünnen Beinen, leicht verfroren. Er liebt die Wärme, und doch scheut er keine Temperatur und kein schlechtes Wetter, um seine Runden zu drehen. Jeden Tag geht er laufen, meist sieben oder acht Kilometer, andernfalls "fehlt mir etwas", sagt er schnaufend. Der Atem steht in der kalten Luft. Jede einzelne Einheit dokumentiert er mit Laufuhr und Handy-App. Der 80-Jährige sagt: "Nach einem Lauf fühle ich mich immer besser als vorher."

Ansteckend ist sein Lachen, das unter dem dunklen Schnurrbart hervorblitzt. Hier strahlt einer Ruhe und Zufriedenheit aus. Geßner findet sie in der Bewegung, draußen in der Natur. Dazu zählt er auch die Arbeit im Garten oder im Weinberg zusammen mit seiner Frau Melitta. Sport, sagt der dreifache Vater und sechsfache Opa, wirke wie ein Medikament, wenn es gesundheitlich einmal zwickt. Dem Alter läuft er einfach davon.
Erst im Alter von 50 Jahren das Laufen begonnen
Dabei ist Geßner in doppelter Hinsicht ein Spätberufener, sportlich und religiös. Erst mit 50 fängt er an zu joggen, bei einer Kur kommt er auf den Geschmack. Etwa zur gleichen Zeit lässt er sich zum Diakon im Nebenberuf weihen. Die Seelsorge für Kranke und Alte – ein Kontrastprogramm zum Job auf Baustellen und in Umspannwerken. Bis zur Rente ist Geßner als Elektromeister für das Bayernwerk, später Eon, im Einsatz.

Als ehrenamtlicher Diakon wird der Untereisenheimer aus Altersgründen mit 70 entpflichtet. Bis dahin kümmert er sich besonders um die Ökumene und die Ministranten, ist aber auch in der Liturgie, bei Taufen, Trauungen und Trauerfeiern gefragt, in Eisenheim wie in Prosselsheim und Püssenheim. Seit 2011 hilft er noch aus, wenn Bedarf ist. Und eine Herzensangelegenheit ist es ihm, Seniorinnen und Senioren die Hauskommunion zu bringen.
Rein physiologisch weiß man um den positiven Effekt des Laufens für das Gehirn: Es ist besser durchblutet, die Sauerstoffzufuhr wirkt. Gedanken kommen in Fluss. Nicht wenige haben während des Joggens ihre kreativsten Phasen. Auch der Diakon kennt das: Manchmal hat er schon halbe Predigten dabei entworfen. Beim Laufen sammelt er Ideen und Gedanken, zurück daheim hält er sie dann sofort auf einem Zettel fest.
Gleich ein Steilstück im Wald. Das Gespräch unterbrechen? Gerade ist es so spannend . . . Manfred Geßners Blicke richten sich gen Himmel. Betet er beim Laufen? Ja, sagt er. Bekannte Gebete.
Bestimmte Heilige sprechen den Diakon besonders an – voran Franziskus, der wie kein anderer für die Verbindung von Mensch, Gott und Natur steht. Geßner liebt die Luft, die Farben, die Schöpfung. Für ihn ist Laufen auch gelebter Glaube.
Dann, mitten im Wald, rezitiert er den berühmten Sonnengesang von Franziskus. "Bruder Sonne... Schwester Mond.... Bruder Wind... Schwester Wasser." Der Zufall will es, dass Diakon und Reporter just in diesem Moment am Brunnen im sogenannten Heiligenholz vorbeikommen.
Manfred Geßner tankt Kraft und Entspannung im Gebet und beim Laufen. Dass er mit 80 Jahren noch so aktiv sein kann – dafür empfindet er Demut. Und eine große "Dankbarkeit, meinem Herrn gegenüber". Er weiß, selbstverständlich ist das nicht. Dafür hat er ehrenamtlich genug mit alten Menschen zu tun, die durch Krankheit oder Schwäche gefesselt sind. Er hofft dann, ihnen trotz schwieriger Situation etwas Zuversicht geben zu können.

Andere Läufer trifft der Untereisenheimer gerne mal bei kleineren regionalen Veranstaltungen wie dem Fischfestlauf in Prosselsheim oder beim Silvesterlauf in Schwanfeld. Auch beim Würzburg-Marathon war Geßner mehrfach über die Halbdistanz (21,1 km) am Start. Und in München ist er Stammgast, weil hier seine Schwester und sein Patenkind leben. Der Altersklassensieg mit dem erhebenden Zieleinlauf im Olympiastadion – für ihn überraschend und ein schönes Geburtstagsgeschenk im Voraus.
Zum 80. Geburtstag ins "Sehnsuchtsland" Italien
Seinen 80. Geburtstag an diesem Samstag feiert der Diakon i.R. mit seiner Frau in seinem "Sehnsuchtsland" Italien, in Ostia bei Rom. Auch dem Papst will er einen Besuch abstatten. In den Urlauben zu laufen, hat ihm schon viele intensive Erlebnisse beschert. Am Tiber ist er entlang gejoggt, 2008 hat er beim Pauluslauf in Rom teilgenommen. Momente, von denen Manfred Geßner noch heute zehrt. Natürlich hat er auch diesmal in der ewigen Stadt seine Joggingschuhe im Gepäck. Fürs ewige Laufen.