„Wir haben gestern noch gedacht, dass wir in einem sicheren Gebiet leben – und dann passiert so etwas“. Werner Kräutner tupft sich den Schweiß von der Stirn. Es ist ein heißer Dienstagvormittag, die Sonne knallt auf „das Städtle“ herab. Einige Heidingsfelder sind auf dem Weg ins Dallenbergbad, andere suchen Schutz unter den sattgrünen Bäumen. Ein Sommertag, der einen schweren Schatten mit sich trägt.
„Man ist nachdenklich und geschockt“, sagt Kräutner. Sein Arbeitsplatz, die Firma Hofmann Bautechnik, liegt in der Winterhäuser Straße. Nur wenige Meter entfernt ist am Abend zuvor ein 17-jähriger Afghane erschossen worden, nachdem er in einem Regionalzug Passanten mit einer Axt und einem Messer angegriffen hatte. Ein Attentat, das nicht nur die rund 10 000 Menschen in Heidingsfeld bewegt.
„Ich habe Angst, dass die Stimmung gegen junge Asylanten umschwenkt.“
Werner Kräutner Verkäufer in Heidingsfeld
„Ich bringe meine 15-jährige Tochter jeden Tag zum Bahnhof“, beginnt Kräutner. Dann bricht er ab. Über des Asphalt fahren immer wieder Übertragungswagen in Richtung der Gleise, Journalisten klingeln an den Türen der Anwohner, vereinzelt sieht man noch Polizeiwagen. „Ich habe keine Angst an sich“, erklärt der Verkäufer dann, „aber ich habe Angst, dass die Stimmung gegen junge Asylanten umschwenkt.“
An dem Ort, an dem der Zug zum Stehen gekommen ist, versucht währenddessen Richard Weis in seinem Vorgarten die vergangenen Stunden zu verarbeiten. „Ich habe nicht geschlafen“, sagt der Anwohner. Bis um zwei Uhr seien die Einsatzkräfte und Reporter vor Ort gewesen, um sechs Uhr seien dann wieder die ersten gekommen. „Wir haben abends gehört, dass der Zug schlagartig abgebremst hat und sind dann hingelaufen“, erzählt der Rentner, „das war grausam.“ Die Bilder werde er so schnell nicht vergessen.
Im Ortszentrum macht man sich derweil Gedanken über die Vergangenheit des jungen Täters. In den Cafés, beim Frisör und an der Metzgerstheke sprechen die Heidingsfelder in Grüppchen immer wieder über die möglichen Hintergründe. „Was muss einem 17-Jährigen passiert sein, dass er so etwas tut?“, gibt Mechthilde Breitschwerdt die meistgestellte Frage in ihrem kleinen „Lädle“ wieder. „Die meisten meiner Kunden haben Kinder und Enkel, da beschäftigt einen das warum.“ Angst habe aber auch sie keine, denn Zufallsopfer könne jeder werden – egal, ob in Brüssel, Paris oder eben hier in Heidingsfeld.
Die Reaktion der Polizisten steht für die Ladeninhaberin derweil außer Frage; „Die nehme ich auf jeden Fall in Schutz“, sagt sie. Die Kritik seitens der Grünen-Politikerin Renate Künast, dass die Beamten den Täter nicht hätten erschießen müssen, könne sie nicht verstehen. Man müsse den Polizisten dankbar dafür sein, dass sie ihr Leben für uns riskierten.
„Es passiert ja ständig. Dass es bei uns passiert, war doch nur eine Frage der Zeit.“
Michael Roth Gartenarbeiter in Heidingsfeld
Ähnlich sieht das ein Stück weiter auch Gert Ratsmann. Der Würzburger Mitarbeiter des Gartenamts ist seit früh am Morgen in Heidingsfeld im Einsatz, mäht gemeinsam mit zwei Kollegen die Wiesen – und diskutiert über den Vorabend. „Ich finde es super, dass die Polizei so schnell gehandelt hat, Respekt.“ Für seinen jüngeren Kollege Michael Roth kam das Attentat nicht wirklich überraschend. „Es passiert ja ständig. Dass es bei uns passiert, war doch nur eine Frage der Zeit“, meint der 25-Jährige.
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Nicht ganz so gelassen blickt Otto Bayrhof in seiner Mittagspause auf die vergangene Nacht zurück. Der 24-Jährige war gerade mit dem Fahrrad auf dem Heimweg, als ihn seine Mitbewohnerin anrief. „Plötzlich war hier überall Polizei und es hieß, die suchen einen.“ Für ihn sei es noch immer ein komisches Gefühl, zumal er selbst gestern die gleichen Strecke mit dem Zug gefahren sei. „Jetzt wird einem bewusst, dass es wirklich überall passieren kann, auch direkt vor der Haustüre.“
Dass ein solches Ausmaß an Brutalität jetzt auch in dem Würzburger Stadtteil angekommen ist, darüber macht man sich auch im Schuhhaus Melcher Gedanken. „Das war schon unheimlich gestern“, erzählt Inhaberin Marliese Sperber. Die Hubschrauber über dem Wohnhaus, das Blaulicht überall und immer wieder neue unbestätigte Informationen. „Es ist Wahnsinn, wie ein einziger Mensch die ganze Ortschaft in Unruhe bringen kann.“
Während die einen das Geschehene Revue passieren lassen, versuchen die anderen das Leben zu genießen. „Wir gehen jetzt ins Freibad, den Kopf freibekommen“, sagt der fünffache Vater Andreas Heck. Er habe das Attentat kurz mit seinen Kindern besprochen, wolle es aber nicht zu genau beleuchten. „Sonst setzt sich das bei ihnen fest“, erklärt er.
Da in Heidingsfeld häufig was passiere, sei seine Familie sowieso schon vorsichtig. Angst sei allerdings der falsche Begriff. „Irgendwie“, meint der Heidingsfelder abschließend, „tut mir der junge Mann ja auch leid.“ Wer so eine Verzweiflungstat begehe, müsse viel durchgemacht haben. Dann verabschiedet sich die Familie Richtung Freibad. Ein Stück Alltag nach dem Attentat. Die Heidingsfelder wollen es versuchen.