Die rund 20 Millionen Rentner in Deutschland können sich auch in diesem Jahr auf eine deutliche Erhöhung ihrer Bezüge im Juli freuen. In Westdeutschland werden die gesetzlichen Renten voraussichtlich um 3,18 Prozent steigen, in Ostdeutschland sogar um 3,91 Prozent. Doch die Stimmung wird nicht lange so freudig bleiben. In etwa vier Jahren gehen die ersten Babyboomer in Rente – und dann wird es eng. Die Bundesregierung hat eine Rentenkommission eingesetzt, die dafür Sorge tragen soll, dass die Rente sicher bleibt. Annelie Buntenbach ist Mitglied der Rentenkommission und erzählt, wie es um die Zukunft der gesetzlichen Rente bestellt ist.
Ist die Zukunft der gesetzlichen Rente sicher?
Annelie Buntenbach: Wir können die Zukunft der gesetzlichen Rente sichern, aber dafür muss die Politik die Weichen richtig stellen. Es geht darum, langfristig das Rentenniveau zu stärken und zu sichern.
Wie wird es sich auf das Rentensystemauswirken, wenn demnächst die Generation der Babyboomer in Rente geht?
Buntenbach: Wir leben in einer alternden Gesellschaft, das heißt wir müssen umso mehr darauf achten, dass die Jungen eine Chance haben, in gute Arbeit zu kommen. Wir müssen insgesamt dafür sorgen, dass sich viele an Erwerbsarbeit beteiligen können und so auch Sozialbeiträge bezahlen. Insgesamt werden wir mehr für Alterssicherung ausgeben müssen. Nun geht es darum, die Kosten dafür gerecht zu verteilen.
Jemand der 35 Jahre immer nur den Mindestlohn verdient hat, wird später einmal keine auskömmliche Rente bekommen. Müsste die Politik nicht da ansetzen?
Buntenbach: Damit am Ende die Rente stimmt, ist es wichtig, dass es gute Löhne gibt. Gerade dann, wenn das Einkommen nicht so hoch ist, man Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen hat, auch bei diesen Menschen muss die Rente stimmen. Wir unterstützen daher auch die Grundrente, die der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf den Weg bringen will.
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Zeigt die Einwanderung bereits Wirkung auf unser Rentensystem?
Buntenbach: Wir müssen es schaffen, auch Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dann werden auch sie in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, das wirkt sich dann positiv auf die Rentenversicherung aus. Das gleiche gilt, wenn es uns gelingt, die Erwerbsquote von Frauen zu erhöhen und auch Arbeitslose wieder ins Berufsleben zu integrieren. Das alles stabilisiert die Rentenversicherung.
Müssen wir das Renteneintrittsalter anheben, so wie es zum Beispiel die Wirtschaftsweisen fordern?
Buntenbach: Das halte ich für falsch, denn der Zugewinn an Lebenserwartung ist ganz unterschiedlich verteilt. Diejenigen, die ein hartes Arbeitsleben hinter sich haben und wenig verdient haben, haben – im Verhältnis – eine kürzere Lebenserwartung. Für sie bedeutet die Anhebung des Renteneintrittsalters eine Rentenkürzung. Diese Menschen – Erzieher, Busfahrer, Schichtarbeiter, Krankenschwestern und - pfleger – werden es einfach körperlich nicht schaffen, noch länger zu arbeiten.

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass in Zukunft auch Selbstständige in die Rentenversicherung einzahlen. Wird das kommen?
Buntenbach: Das ist längst überfällig. Wir müssen Selbstständige in die Rentenversicherung mit einbeziehen, damit sie im Alter auch gut abgesichert sind. Diese Forderung steht im Koalitionsvertrag und ich erwarte, dass sie noch in diesem Jahr umgesetzt wird.
Der heutigen Rentnergeneration geht es gut wie nie, trotzdem hält sich das Thema Altersarmut im politischen Diskurs. Wie passt das zusammen?
Buntenbach: Bislang beziehen nur etwa drei Prozent der Rentner Grundsicherung im Alter. Aber laut dem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands werden immer mehr Menschen in Zukunft auf diese Grundsicherung angewiesen sein, nämlich etwa 16 Prozent der Bevölkerung sind von dem Risiko Altersarmut betroffen. Das sind Zahlen, die man ernst nehmen muss. Es liegt zum großen Teil daran, dass Deutschland den größten Niedringlohnsektor in ganz Europa hat. Und wer keinen guten Lohn hat, kann auch keine gute Rente erwirtschaften.
Die Renten steigen ab Juli um 3 Prozent. Wie lässt sich das der arbeitenden Bevölkerung vermitteln, die von solchen Lohnsteigerungen nur träumen kann?
Buntenbach: Die Rentenerhöhung richtet sich nach der Rentenformel. Wir als Gewerkschaft wollen, dass die Renten der Lohnentwicklung folgen - in guten wie in schlechten Zeiten.
Sie sind Mitglied der neu eingesetzten Rentenkommission. Um was kümmert sich das Gremium genau?
Buntenbach: Wir haben vereinbart, dass wir aus der Arbeit der Rentenkommission erst mal nichts erzählen. Die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente muss gestärkt werden, darin sind wir uns einig. Wir als Gewerkschaft setzten uns dafür ein, dass das Rentenniveau nicht weiter gesenkt wird und auch das Renteneintrittsalter nicht weiter angehoben wird. Es ist ein intensives Arbeiten mit Experten.
Es wurde mehrfach kritisiert, dass die Mitglieder der Rentenkommission ab 2015 selbst fast schon im Rentenalter sind und es keine jüngeren Mitglieder gibt. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Buntenbach: Die Rentenkommission wurde so von der Bundesregierung einberufen. Wir hätten uns gewünscht, dass auch Sozial- und Wohlfahrtsverbände mit in die Arbeit einbezogen werden, das hätte sicher die Alterszusammensetzung noch verändert. Es werden aber auch bewusst junge Leute zum Gespräch und zum Austausch eingeladen.
Von welchem Land kann Deutschland in Sachen Rente am meisten lernen?
Buntenbach: Österreich ist für uns sehr spannend. Dort gibt es eine gesetzliche Rente, in die alle einzahlen, auch Selbstständige. Dort stimmt auch das Rentenniveau und es gibt eine spezielle Absicherung für Niedrigeinkommen. Es gibt sogar eine Rente für Schwerarbeiter, also für alle diejenigen, die im Arbeitsleben großen körperlichen Herausforderungen ausgesetzt waren. Aber natürlich kann man das nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen.
Die Grundrente wird ja auch in diesem Jahr noch verabschiedet werden. Was denken Sie: mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung?
Buntenbach: Ich halte es für dringend notwendig, dass die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung kommt - und zwar auch möglichst bald. Davon würden rund drei Millionen Menschen profitieren. Die Idee ist, dass diejenigen, die lange gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben auch eine Rente bekommen, von der sie leben können. Dafür sollten sie sich nicht rechtfertigen müssen. Gäbe es eine Bedürftigkeitsprüfung, würden viele aus Scham wieder nicht zum Amt gehen, um ihren Anspruch wahrzunehmen. Das sehen wir jetzt schon sehr häufig bei der Grundsicherung.
Was ist die Rentenkommission? Eigentlich wollte die CDU/CSU bis 2030 nichts am Rentensystem ändern. Das hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2017 erklärt. Doch inzwischen steht das Thema Rente wieder auf der politischen Agenda. Seit Juni 2018 beschäftigt sich eine Kommission "mit den Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen", also der privaten und der betrieblichen Altersversorgung. Am 3. Mai 2018 hat Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, die Mitglieder der Rentenkommission benannt. Neben den zwei Vorsitzenden gehören der Kommission acht weitere Mitglieder an. Vorsitzende der Rentenkommission sind Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und Karl Schiewerling (CDU). Weitere Mitglieder sind: Annelie Buntenbach, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Alexander Gunkel, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Katja Mast, MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Hermann Gröhe, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Stephan Stracke, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der CSU im Bundestag Dr. Axel Börsch-Supan, Direktor Munich Center for Economis of Aging, Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik Dr. Simone Scherger, Professorin für Soziologie mit Schwerpunkt Lebenslauforientierte Sozialpolitik, Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik Dr. Gert G. Wagner, Vorsitzender des Sozialbeirates, Senior Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin Ihre erste, konstituierende Sitzung hatte die Rentenkommission am 6. Juni 2018. Die Rentenkommission soll ihre Empfehlung im März 2020 vorlegen.