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Würzburg: Jurist Dreier: "Wichtig, bald Kitas und Schulen wieder zu öffnen"

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Jurist Dreier: "Wichtig, bald Kitas und Schulen wieder zu öffnen"

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    Blick auf den Platz vor dem Würzburger Hauptbahnhof am vergangenen Samstag. Die Bänke sind mit Absperrbändern blockiert, denn Sitzen und Verweilen sind in Zeiten der Corona-Krise nicht erwünscht.
    Blick auf den Platz vor dem Würzburger Hauptbahnhof am vergangenen Samstag. Die Bänke sind mit Absperrbändern blockiert, denn Sitzen und Verweilen sind in Zeiten der Corona-Krise nicht erwünscht. Foto: Daniel Peter

    Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus schränken nicht nur das öffentliche Leben massiv ein, sondern betreffen auch die elementaren Grundrechte. "In Umfang, Breite und Tiefe sind das die massivsten Grundrechtseinschränkungen, die man je in der Bundesrepublik erlebt hat", sagt Horst Dreier, Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Viele Menschen fragen sich, wie lange das noch so bleiben wird. Wann und wie werden die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im ganzen Land wieder gelockert? Auf Anregung des Münchner Ifo Instituts hat der 65-jährige Staatsrechtler an einer möglichen Exit-Strategie mitgearbeitet. Wie könnte diese aussehen? Was darf der Staat in Krisenzeiten überhaupt? Der Würzburger Jurist hat die Antworten.

    Professor Horst Dreier, Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph an der Universität Würzburg.
    Professor Horst Dreier, Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph an der Universität Würzburg. Foto: Annabelle Meier

    Sie haben mit einer Forschergruppe eine Exit-Strategie vorgelegt. Was sind die zentralen Punkte?

    Horst Dreier: Die zentralen Punkte waren vor allem, über denkbare Lockerungsmöglichkeiten der einschneidenden Maßnahmen in einer Art von Stufenplan nachzudenken und dabei nach Sektoren, Personengruppen und Regionen zu unterscheiden. Im Augenblick sind die Einschränkungen ja außerordentlich pauschal, wir plädieren für sachangemessene und dem jeweiligen Risiko entsprechende Differenzierungen. Differenzierung ist das Gebot der Stunde.

    Könnten Sie diese Differenzierung genauer beschreiben?

    Dreier: Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Es ist wichtig, alsbald Kitas und Schulen wieder zu öffnen: für die Kinder, aber auch für deren Eltern, damit diese wieder normal zur Arbeit gehen können. Differenzierung bedeutet auch, dass bestimmte Personengruppen, wie eben Kinder und Schüler, die weniger betroffen und weniger gefährdet sind, möglichst bald zur Normalität zurückkehren können.

    Was müsste die Bundesregierung noch tun?

    Dreier: Wichtig wäre natürlich, dass wir endlich ausreichend Atemschutzmasken hätten. Auch über den Einsatz digitaler Mittel ist nachzudenken, also bestimmte Apps für das Handy.

    Die Coronakrise hat die Bewegungsfreiheit der Bürger massiv eingeschränkt. Wie ordnen Sie das rechtlich ein?

    Dreier: Die staatlichen Maßnahmen haben nicht nur die Bewegungsfreiheit aller Bürger eingeschränkt, sondern etwa auch die Berufs- und Eigentumsfreiheit vieler Menschen sowie deren Versammlungs- und Religionsfreiheit, wenn Sie etwa an das Verbot der Gottesdienste denken. Zum ersten Mal seit Menschengedenken wird es keine Ostergottesdienste geben. Das wäre noch vor kurzem unvorstellbar gewesen. In Umfang, Breite und Tiefe sind das die massivsten Grundrechtseinschränkungen, die man je in der Bundesrepublik erlebt hat.

    Ausnahmezustand in Deutschland: An sonst belebten Orten wie hier an der Würzburger Residenz ist es momentan gespenstisch leer. 
    Ausnahmezustand in Deutschland: An sonst belebten Orten wie hier an der Würzburger Residenz ist es momentan gespenstisch leer.  Foto: Silvia Gralla

    In Berlin klagt jetzt ein Priester. Er ist der Ansicht, das Gottesdienstverbot sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Wie beurteilen Sie die Situation der Kirchen? 

    Dreier: In den Kirchen könnte man das doch so machen wie im Bundestag oder bei Pressekonferenzen. Dann lässt man einfach jede zweite und dritte Reihe frei und öffnet die Gotteshäuser nur für eine begrenzte Anzahl an Personen. Außerdem könnte man die Priester ermuntern, mehrere Gottesdienste pro Tag zu feiern.

    Vielen Menschen wurde durch die Schließung von Geschäften die Ausübung ihres Berufs untersagt, ein Eingriff in die Berufsfreiheit und die Eigentumsfreiheit. Darf eine Demokratie so etwas tun und wenn ja auf welcher rechtlichen Basis?

    Dreier: Prinzipiell sind alle Grundrechte einschränkbar – übrigens auch die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht auf Datenschutz. Das gilt natürlich auch für Beruf und Eigentum. Aber diese Eingriffe müssen verhältnismäßig sein, was vor allem heißt, dass sie erforderlich und angemessen sein müssen. Es darf also keine milderen Mittel zur Erreichung des erstrebten Ziels geben, und es muss eine vernünftige Relation zwischen den Einschränkungen und dem dadurch verfolgten Zweck geben. Der Staat hat beständig zu prüfen, ob das gegeben ist oder ob nicht Lockerungen vorgenommen werden können. Vieles erschließt sich mir auch nicht: Warum sind zum Beispiel Buchhandlungen geschlossen, Metzgereien aber geöffnet? 

    Für wie belastbar halten Sie die Zahlen, die die Grundlage zu einem solchen Handeln der Regierung bilden?

    Dreier: An den Zahlen habe ich gar keinen Zweifel, man muss sich nur klar machen, was sie besagen und was nicht. Wir schauen immer auf die täglich steigende Zahl von Infizierten, doch das sind nur diejenigen, die getestet wurden. Es gibt also eine vermutlich recht große Dunkelziffer von Personen, die infiziert sind, ohne getestet worden zu sein, also in der Statistik nicht auftauchen. Und wir wissen natürlich auch nicht, wie viele von denen längst genesen und immun gegen das Virus sind, was ja Grund zur Hoffnung gäbe.

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    Warum werden alle diese Maßnahmen so widerstandslos hingenommen?

    Dreier: Vielleicht, weil die meisten Menschen vernünftig sind und jedenfalls den grundsätzlichen Sinn und Zweck dieser Maßnahmen gut verstehen und nachvollziehen können. Die schrecklichen Bilder aus anderen Ländern mit verzweifelten Ärzten und Krankenschwestern tun sicher ein übriges.

    Hätte ich mit einer Klage gegen die Einschränkungen eine Chance?

    Dreier: Gegen die einschlägige bayerische Rechtsverordung ist schon vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt worden – erfolglos. So dürfte es Ihnen wohl auch ergehen. Mich würde nicht wundern, wenn die ersten Lockerungen am 20. April einsetzen würden.

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