Im Oberdürrbacher Osten, wo die Stadt endet und die Pampa beginnt, steht auf einer Brachfläche, halb umrahmt von Hecken und Bäumen, ein Bauwagen. Davor wachsen in alten Weinkisten Zucchini, Tomaten und andere Gemüse. Neben einer Feuerstelle stehen altersschwache Sitzmöbel – ein Hippie-Idyll im Grünen. Hier lebt seit Mitte Mai ein 28 Jahre alter Mann, der sich Wolle Wagabond nennt. Wenn er bis zum 16. August nicht verschwunden ist, will die Stadt ihn und seine Habseligkeiten zwangsräumen.
Wolle Wagabond gehört einer Bewegung von Leuten an, die das Leben in steinernen Immobilien gegen das mobilen Leben auf Rädern getauscht haben. Er schätzt, sagt er, dieses autarke und „minimalistische Leben“. Strom produziert er mit einer kleinen Solaranlage selbst, seinen Wasserverbrauch kennt er genau, er heizt mit Holz und spricht von der „Wertschätzung der Ressourcen“. Sein Wagen ist sein kleines Eigenheim in der Natur. Dass er hier partout nicht seinen richtigen Namen lesen will, ist Teil dieser Geschichte. Sein Arbeitgeber fürchtet Kunden zu verlieren, wenn bekannt wird, wie er lebt und was er denkt.
Katz-und-Maus-Spiel
In Heidingsfeld, auf einer Wiese am Main, siedelt seit Mai 2010 ein – so nennen es die Bewohner – Wagenkollektiv. Nach einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Wagenleuten und Ordnungskräften stellte ihnen die Stadt die Fläche zur Verfügung, mit Platz für bis zu acht Wägen. Rathaus-Sprecher Georg Wagenbrenner meint, das sei „keine Dauerlösung, aber eine stabile Duldung“.
Wagabond war einer von ihnen, bis es Knatsch gab wie im Mietshaus; er rollte von dannen und suchte sich ein anderes Zuhause. Irgendwo auf den 87,6 Quadratkilometern Würzburg, meinte er, werde schon Platz sein für sein sieben Quadratmeter großes Heim.
Im Mai gab Wagenbrenners Kollege Christian Weiß die Auskunft, Wagabonds Siedlungsversuche seien „eine Frage der Sicherheit innerhalb der Stadt“ und „ein wildes Leben“ außerhalb der städtischen Sicherheitsbestimmungen. Besonders die Entsorgung von Abfall und Abwasser bereite Sorgen. Damals hatten Wagabond und andere Wagenleute dasselbe Problem wie heute. Sie hatten sich auf städtischen, offiziell nichtöffentlichen Parkplätzen nahe am Sportplatz des TSV Grombühl niedergelassen und durften nicht bleiben.
Weiß versicherte, die Stadtverwaltung sei „offen für diese Wohn- und Lebensform“. Es könne aber auch nicht sein, dass die Wagenburg wachse und Leute von außerhalb kommen, weil Würzburg eine der wenigen Städte sei, die sie aufnähmen. Wagenbrenner sagt, die Stadt würdige die alternative Lebensform und wolle, dass sie auch in hier einen Platz finde. Würzburg schildert als „kooperativer als viele andere Gemeinden“.
In Oberdürrbach sitzt Wolle Wagabond, der letzte von vier Wagenmenschen, auf einem maladen Stühlchen und stöhnt: „Dauernd haben sie irgendwas.“ Er, der sich unter anderem als Webdesigner Geld verdient, brütet über Rathaus-Schreiben mit komplizierten Sätzen. Jetzt weiß er, dass die Bauwägen auch Anlagen im Sinne des Baugesetzbuches sind, „da auch fahrbare, lediglich durch die Schwerkraft mit dem Boden verbundene Wagen eine unter den (planungsrechtlichen) Begriff der baulichen Anlage fallende genügende Ortsfestigkeit aufweisen, wenn die ihnen vom Verfügungsberechtigten zugewiesene Funktion deutlich macht, dass sie an Stelle eines anderen üblicherweise mit dem Boden ortsfest verbundenen Vorhabens treten sollen“.
Die Stadt wirft ihm also sinngemäß vor, einen Schwarzbau zu bewohnen und einen Campingplatz ohne erforderliche Erlaubnis zu beantragen. Verschwindet er nicht, wird ein Zwangsgeld von 1000 Euro. Zieht er auf einen anderen städtischen Platz weiter, erhebt sie ebenfalls eines, in gleicher Höhe.
Wagabond sagt, er würde liebend gerne ein Grundstück pachten, ob städtisch oder privat, sei ihm egal. Private Flächen seien ihm angeboten worden, aber mit den Auflagen aus dem Rathaus – Einholen einer Baugenehmigung für seinen Bauwagen, Genehmigungsverfahren für einen Campingplatz – könne er sich beinah nirgendwo niederlassen.
Sorge im Heidingsfelder Kollektiv
Im Wagenkollektiv am Rande Heidingsfelds wollen die Leute nicht maßlos sein. Einer sagt, sie wollten keine „Mordsforderungen an die Stadt stellen“, sie wollten „nur nicht diskriminiert und kriminalisiert werden“, weil sie im Wagen leben. Mit ihrem Platz seien sie zufrieden, abgesehen von den Problemen im Winter, wenn das Hochwasser kommt. Aber sie sorgen sich, dass die Heimatsuche des Wagabond Folgen für sie haben könnte.
Tatsächlich fragte sich Rathaus-Sprecher Wagenbrenner im Gespräch mit dieser Zeitung „ob es sinnvoll ist, auf die Stadt einzuprügeln, für die Zukunft des Platzes in Heidingsfeld“. Die Wagenleute überlegen, bei Stadträten für ihre Idee vom einfachen Leben zu werben. Zurück in die steinernen Immobilien wollen sie nicht.