"Freud und Leid liegen in diesem Jahr eng beieinander", sagt Ernst Merz von der Rübenabteilung der Ochsenfurter Zuckerfabrik. Während die Rübenverarbeitung im Ochsenfurter Südzucker-Werk dem Finale entgegengeht, werden die Folgen des Trockenjahres offenkundig. Niedrige und zudem extrem schwankende Erträgeauf der einen Seite und ein massiver Preisverfall auf den Märkten andererseits machen den Erzeugern das Leben schwer. Hinzu kommen die aus Sicht der Anbauerverbände unfairen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Union. Der Rübenanbau war in diesem Jahr in Franken kein Zuckerschlecken.
"So saubere Rüben hab ich noch nicht erlebt."
Karl Döppert, Oberschätzer
Die Folgen des Trockensommers werden schon auf dem Rübenhof der Fabrik offensichtlich. Stattliche Rüben häufen sich dort neben kaum halb so großen Exemplaren. Mit einem voraussichtlichen Durchschnittsertrag von 59 Tonnen je Hektar liegt die fränkische Rübenernte 19 Tonnen unter dem fünfjährigen Schnitt und mehr als 30 Tonnen unter dem Rekordjahr 2017. Lediglich der um gut zehn Prozent höhere Zuckergehalt versüßt die Bilanz ein wenig.
Noch extremer sind die Ertragsschwankungen zwischen einzelnen Standorten. Während nördlich von Würzburg nach einigen Sommergewittern bis zu 90 Tonnen je Hektar heranreiften, waren es auf leichten Böden in vom Regen beungünstigten gerade einmal 30, so Ernst Merz. Selbst auf den fruchtbaren und gut wasserhaltigen Lößböden des Ochsenfurter Gaus, wo in Spitzenjahren leicht über 100 Tonnen geerntet werden, fehlen bis zu 40 Prozent.

In der gläsernen Schätzerkabine über der Entladestation hat Oberschätzer Karl Döppert heuer leichtes Spiel. "So saubere Rüben hab ich noch nicht erlebt", sagt der Landwirt aus Welbhausen, der seit mehr als einem Jahrzehnt über die Abzüge wacht, die Landwirte für den Schmutzanteil ihrer Rüben angerechnet bekommen. Bei unter drei Prozent liegt dieser Malus in diesem Jahr, in normalen Jahren sind es rund fünf.
Lediglich die sogenannte Kluten, große, fest verbackene Erdklumpen, machen der Fabrik zu schaffen. In feuchteren Jahren zerfallen sie spätestens bei der Rübenverladung und bleiben auf dem Acker. Weniger Schmutz, der sich an Rüben und Lkw-Ladeflächen ansetzt. Das bedeutet auch eine um fünf Prozent höhere Netto-Rübenmenge pro Lkw, sagt Döppert. Bei täglich rund 650 Lieferungen also zumindest eine kleine Verkehrsentlastung für die Straßen rund um die Ochsenfurter Fabrik.

Der Weg, den die Rüben auf dem Fabrikhof nehmen, ist auch zwei Kampagnen nach dem Großbrand vom Juni 2017 noch immer der gleiche. Und das wird auch im kommenden Jahr so bleiben. Ursprünglich sollte mit Ende der Kampagne der Umbau des Rübenhofs beginnen, erläutert Werkleiter Stefan Mondel. Die Rüben werden dann nicht mehr auf Förderbändern, sondern schwimmend in einem Wasserkanal zum Waschhaus befördert. Doch die Planung und Genehmigung für den umfangreichen Umbau hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als ursprünglich erhofft, so Mondel. Die provisorisch instand gesetzten Förderanlagen müssen also noch eine weitere Saison durchhalten.
"Die Rüben sind dieses Jahr Rosinen."
Stefan Mondel, Werkleiter
In der Fabrik wirkt sich der Trockensommer eher positiv aus. 20,5 Prozent Zucker, das sei Rekord. "Die Rüben sind dieses Jahr Rosinen", sagt Werkleiter Stefan Mondel. Die Rüben werden gewaschen und geraspelt, um den Zucker anschließend mit Wasser herauszulösen. Unter Vakuum wird dieser Dünnsaft über mehrere Stufen eingekocht, bis eine gesättigte Zuckerlösung übrig bleibt, aus der sich durch weiteres Eindampfen die Kristalle bilden.

Dass aus dem bräunlichen Saft weißer Zucker wird, hat er dem gebrannten Kalk zu verdanken, der in der Fabrik aus Kalkstein und Kohle hergestellt wird. Der Kalk wird dem Saft zu gesetzt, und anschließend Kohlendioxid, das ebenfalls im Kalkofen entsteht. Beide Stoffe verbinden sich dabei wieder zu Kalkstein, der auch Fremdstoffe an sich bindet und als feiner Schlamm zurückbleibt. Für die besonders reine Raffinade wird dieser Vorgang ein zweites Mal wiederholt.
Über 300 Tonnen Kalkstein verbraucht die Fabrik pro Tag, der anschließend als Dünger und Bodenverbesserer auf die Felder wandert. Aus den ausgelaugten Rübenschnitzeln, die noch geringe Zuckeranteile enthalten, wird ein begehrtes Viehfutter. Die beim Zentrifugieren des Kristallzuckers anfallende Melasse, die hauptsächlich aus nicht kristallisierbaren Zuckerstoffen besteht, ist ein begehrter Rohstoff in der biochemischen Industrie, etwa für die Herstellung von Hefen.
Wir fordern, dass die Politik erkennt, dass es eine Schieflage gibt, die es zu heilen gilt."
Stefan Streng, VFZ-Vorsitzender
Ohne nennenswerte Störungen sei die Kampagne bislang verlaufen, sagt Werkleiter Stefan Mondel. Voraussichtlich am 2. Januar endet die Verarbeitung. Der reibungslose Betrieb kann aber nicht über die Krise hinwegtäuschen, in der sich die fränkische Zuckerwirtschaft derzeit befindet. Bei rund 300 Euro pro Tonne liegt der Weltmarktpreis, mindestens 450 Euro wären nötig, um wirtschaftlich arbeiten zu können, sagt der Geschäftsführer des Verbands Fränkischer Zuckerrübenbauer (VFZ), Klaus Ziegler.

Seit dem Ende der EU-Zuckermarktordnung im September 2017 sind die europäischen Erzeuger dem volatilen Spiel des Weltmarkts nahezu schutzlos ausgeliefert. Lediglich die niedrigeren Frachtkosten bescheren noch einen kleinen Vorteil auf dem Inlandsmarkt, sagt VFZ-Vorsitzender Stefan Streng. Für die deutschen Rübenbauern komme aber erschwerend hinzu, dass einige europäische Länder ihren Rübenbauern direkte Subventionen von bis zu 600 Euro je Hektar zahlen. Umgerechnet auf den Zuckerertrag sei das ein Erlösvorteil von rund 50 Euro je Tonne.
Zuckerwirtschaft braucht Hilfe
Stefan Streng sieht darin einen Verstoß gegen den fairen innereuropäischen Wettbewerb. Ebenso wie mehrere andere deutsche Anbauverbände hat sich der VFZ deshalb mit einer Resolution an die Abgeordneten des Bundestags und des Europäischen Parlaments gewandt. "Wir fordern, dass die Politik erkennt, dass es eine Schieflage gibt, die es zu heilen gilt." Bislang habe sich die Zuckerwirtschaft aus eigener Kraft an die härteren Wettbewerbsbedingungen angepasst. "Im Moment sind wir an einem Punkt, wo wir Hilfe brauchen", so Streng weiter.
Schwierige Diskussion erwartet VFZ-Geschäftsführer Ziegler deshalb von den anstehenden Winterversammlungen der Rübenanbauer. Die gilt es trotz der schwierigen Marktsituation davon zu überzeugen, auch für das Jahr 2020 ausreichend Anbauverträge abzuschließen, um die Rohstoffversorgung des Südzucker-Werks zu sichern. VFZ-Vorsitzender Streng sieht die weltweit guten Ernten als eine der Hauptursachen für den Preisverfall und geht von einer Preiserholung in den nächsten Jahren aus.