Ein aus Höchberg stammender Mann hatte im 19. Jahrhundert große Bedeutung für Frankfurt am Main, aber auch für ganz Deutschland. Jetzt ist ihm aus Anlass seines 100. Todestags im Historischen Museum der Mainmetropole die Sonderausstellung „Frankfurts demokratische Moderne und Leopold Sonnemann. Jude – Verleger – Politiker – Mäzen“ gewidmet.
Noch bis zum 28. Februar 2010 können sich alle Interessierten einen Überblick über Sonnemanns außergewöhnlich breites Engagement als „Tausendsassa“ (so die Ausstellungsmacher) verschaffen.
Leopold Sonnemann kam am 29. Oktober 1831 als Sohn eines Webermeisters und Textilhändlers zur Welt. Am Geburtshaus in der Sonnemannstraße 62 erinnert noch heute eine Gedenktafel an den großen Sohn Höchbergs. In den Schulakten des Dorfes wurde der Junge als „äußerst lernbegierig und willig“ geführt.
Im Jahr 1833 zog die Familie in das Haus von Leopolds Großvater um. In seinen Jugenderinnerungen hat Sonnemann das damalige Leben beschrieben: „Großvater war ein liebenswürdiger, einfacher Mann, jedem im Haus ein stets bereiter Ratgeber und Helfer. Er machte fast täglich seinen Spaziergang nach der Stadt (Würzburg), kam nachmittags zurück und brachte, wo möglich, jedem etwas mit.“
Sonnemanns Vater Meyer hatte im vorderen Teil des Hauses zwei Webstühle aufgestellt und vergab weitere Webarbeit an Heimarbeiter in der Umgebung. In Leopold Sonnemanns Memoiren heißt es dazu: „Meine erste Beschäftigung als kleiner Knabe war das Spulen in der Webstube meines Vaters.“
Durch das bayerische Gewerbegesetz von 1825 war es Handwerkern erlaubt, Niederlassungen zum Verkauf eigener Erzeugnisse zu unterhalten. Auch Meyer Sonnemann ging diesen Weg, wie sich sein Sohn erinnert: „Zum Verkauf der gewebten Baumwollstoffe wurde in der nahem Stadt ein kleiner Laden gemietet. Das Geschäft war nicht übel im Gange, wozu der eben erfolgte Beitritt Bayerns zum Zollverein sein gutes Teil beitrug, und würde meinen Vater bald zu einem wohlhabenden Mann gemacht haben, wenn ihm nicht durch die damaligen bayerischen Gewerbegesetze schwere Hindernisse in den Weg gelegt worden wären.“
Sonnemann weiter: „Die Würzburger Kaufleute denunzierten ihn mehrfach bei den Behörden, er sei kein Fabrikant, sondern Webermeister, dürfe daher außer dem Hause keine Stühle beschäftigen. Er sei aber auch kein Kaufmann, dürfe daher auch keine nicht selbstgefertigte Ware verkaufen.“
Der Vater wartete die drohende Schließung seines Ladens nicht ab und verließ mit der Familie 1840 das Königreich Bayern. „Der Verkauf des großväterlichen Hauses und der nicht mehr zeitgemäßen Mobilien nahm längere Zeit in Anspruch, da auch der Großvater sich nicht von uns trennen wollte“, schrieb Leopold später. „Was mitgenommen werden sollte, wurde zu Wasser auf einem großen Mainschiffe verladen, auf dem auch das Hauspersonal untergebracht wurde. Wir selbst verließen die alte Heimat am 9. August 1840 in einer Chaise und langten am 10. August 1840 in Offenbach an.“
Kurz nach seinem 14. Geburtstag trat Sonnemann in die inzwischen gegründete Textilgroßhandlung des Vaters ein. Regelmäßig wurden die Messen in Würzburg besucht. Aus Würzburg stammt der erste erhaltene Brief, den der zwölfjährige Leopold am 9. Juli 1844 an seine Mutter schrieb.
Der Jugendliche brachte sich im Selbststudium English, Französisch und Hebräisch bei und las Bücher, die sich mit der Verbesserung der sozialen und politischen Zustände beschäftigten. Das Erlebnis der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 prägte ihn zutiefst. Ihren Idealen – demokratische Staatsform, freie Selbstbestimmung des Individuums und sozialer Ausgleich – blieb er bis zu seinem Tod treu.
1851 erwarb Sonnemann das Bürgerrecht in Frankfurt. Das väterliche Unternehmen wandelte er nach dessen frühem Tod in eine Bank um, die auch auswärtige Filialen unterhielt. Mit großem Erfolg betätigte er sich an der Börse; wohlhabend geworden, zog er sich 1869 aus dem Bankgeschäft zurück.
Bereits 1856 hatte er ein kleines Börsenblatt gegründet, aus dem zehn Jahre später die „Frankfurter Zeitung“ wurde, das bedeutendste Sprachrohr des Liberalismus in Deutschland. Als Vertreter der linksliberalen Deutschen Volkspartei wurde der für mehrere Legislaturperioden von den Frankfurtern in den Reichstag entsandte Sonnemann zum entschiedenen Gegner des konservativen Reichskanzlers Otto von Bismarck.
Leopold Sonnemann bekämpfte als Parlamentarier und mit seiner Zeitung die von Bismarck betriebene gewaltsame Angliederung Elsass-Lothringens, den antikatholischen „Kulturkampf“ und das „Sozialistengesetz“, mit dem 1878 für zwölf Jahre jegliche sozialdemokratische Aktivität untersagt wurde. Im Reichstag lieferten sich Bismarck und Sonnemann am 9. Oktober 1878 eine erbittertes Wortduell wegen des umstrittenen Gesetzes.
Die Frankfurter Ausstellung dokumentiert auch, welche Rolle Leopold Sonnemann als Politiker im Frankfurter Stadtparlament und als Mitglied zahlreicher Vereine spielte. Er engagierte sich für Projekte wie den Palmengarten und die Alte Oper und förderte den sozialen Wohnungsbau. Als Gründer des Städelschen Museums-Vereins sorgte er für den Ankauf des ersten Werks der klassischen Moderne in Frankfurt, eines Gemäldes von Max Liebermann.
Die Schau bietet auch den Nachfahren Sonnemanns die Chance, mehr über die eigene Familiengeschichte zu erfahren. Zum Beispiel ist da Josefa Simon. Sie ist eine Urenkelin von Leopold Sonnemann, wurde 1933 in Frankfurt geboren und spricht heute noch Deutsch. Während des Nationalsozialismus musste sie mit ihrer Familie in die USA emigrieren.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Vorfahr kommt ihr vor allem eines sehr bekannt vor: das Ideal der Demokratie. „Da ist mir erst klar geworden, dass mein ganzes Engagement mit dem meines Urgroßvaters zusammenhängt“, sagt Josefa Simon. Sie unterstützt den sozialen Wohnungsbau in ihrer Nachbarschaft und engagiert sich ehrenamtlich für die provokative Fernsehsendung „Access“, in der sich Senioren über Missstände in der Gesellschaft unzensiert äußern können. Josefa Simon hat für die Ausstellung einen großen Seekoffer beigesteuert. Er symbolisiert die Geschichte der Auswanderung der Familie. Sie hat ihn mit persönlichen Erinnerungen wie Büchern, Schriften und Briefen ihres Vaters gefüllt.
Josefa Simons Jugend ist vom Schicksal einer Emigrantenfamilie geprägt. Ihr Vater Heinrich Simon musste 1934 aus Rücksicht auf den Fortbestand der Frankfurter Zeitung als Vorsitzender des Redaktionsbeirats ausscheiden und im selben Jahr emigrieren. Zuvor hatte er von 1910 bis 1934 das Unternehmen geleitet.
Heinrich Simon ging zunächst über Paris nach Tel Aviv, wo er 1936 Geschäftsführer des von ihm mitbegründeten „Palestine Philharmonic Orchestra“ wurde. Über London kam er schließlich 1939 in die amerikanische Hauptstadt Washington. Die Mutter Irma Simon wanderte mit ihrer Tochter Josefa über Wien, die Schweiz, Belgien und England nach Amerika aus. 1940 kam die Familie wieder zusammen.
Ein Jahr später wurde ihr Vater bei einem Raubüberfall getötet. Er wäre derjenige gewesen, der seiner Tochter über Leopold Sonnemann hätte erzählen können. Der fehlte aber, so dass sie nicht viel von ihm wusste. Die Ausstellung hat das geändert.
Daten & Fakten
Ausstellungen über Leopold Sonnemann
Die Frankfurter Ausstellung ist bis zum 28. Februar im Historischen Museum, Saalgasse 19 (Römerberg), zu sehen. Tel. (0 69) 21 23 55 99, Internet: www.historisches-museum.frankfurt.de. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr, Montag geschlossen. Ein Begleitbuch (336 Seiten, 300 Abbildungen) ist im Museum für 24, 80 Euro erhältlich. An Sonnemann erinnert auch eine Dauerausstellung in der ehemaligen Israelitischen Präparandenschule in Höchberg, Sonnemannstraße 15, die sonntags von 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet ist. Kontakt: Tel. (09 31) 4 97 07 24.