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WÜRZBURG: Main-Post-Redakteur Roland Flade und seine Stasi-Akte

WÜRZBURG

Main-Post-Redakteur Roland Flade und seine Stasi-Akte

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    Unter Beobachtung: Redakteur Roland Flade – hier mit seiner 71 Seiten umfassenden Stasi-Akte vor einem Teilstück der Berliner Mauer am Berliner Platz in Würzburg – wurde intensiv überwacht.
    Unter Beobachtung: Redakteur Roland Flade – hier mit seiner 71 Seiten umfassenden Stasi-Akte vor einem Teilstück der Berliner Mauer am Berliner Platz in Würzburg – wurde intensiv überwacht. Foto: Foto: Theresa Müller

    Viel hatte ich nicht erwartet, als ich im Januar 2006 meine Stasi-Akte anforderte. Was sollte das Ministerium für Staatssicherheit schon von einem Lokalredakteur wollen, der gelegentlich über die zähe, 1988 vereinbarte Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und der thüringischen Bezirkshauptstadt Suhl berichtete und der ein paar Mal die DDR besuchte? Nichts – weshalb es auch so lange dauerte, bis ich den Antrag überhaupt abschickte.

    21 Monate dauerte es, um die über mich in Berlin und Suhl gesammelten Informationen aus Dutzenden von Ordnern und Karteikästen zusammenzusuchen. Im Oktober 2007 kam die Antwort der Stasi-Unterlagenbehörde: 71 Kopien und ein erklärendes achtseitiges Begleitschreiben.

    Ich schluckte erst mal; die Stasi schien mich doch ernster genommen zu haben als vermutet.

    Schon die diversen Karteikarten, die Schnüffler der Stasi-Bezirksverwaltung Suhl über mich angelegt hatten, ließen mich als großes Licht in der deutschen, wenn nicht gar der internationalen Spionage-Szene erscheinen: ein Blatt in der Vorgangskartei, eines in der Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei, dazu die Erfassung in der „Wurzelgruppe“ (hallo?) der Zentralen Personendatenbank. Klar, dass sich auch die Auswertungs- und Informationsgruppe mit mir beschäftigte.

    In die „Kerblochkartei“ geriet ich zudem als Mensch, bei dem „Anhaltspunkte für eine feindliche Tätigkeit“ vorlagen und im „Sonderspeicher ZAIG/5“ war ich verzeichnet, damit auch die Staatssicherheitsorgane anderer sozialistischer Staaten Informationen über mich abrufen konnten. Man weiß ja nie, woher dem Ostblock Gefahr droht!

    Abwechselnd galt ich („streng geheim!“) als „Sonderoperativvorgang“, also als Person, die hohe sicherheitspolitische Relevanz besaß, oder („streng vertraulich!“) als „Sicherungsvorgang“, wobei mir der Unterschied bis heute nicht klar ist. Meine Nachfahren werden einmal stolz auf mich sein.

    Trotz des enormen Aufwandes biss sich die Stasi gelegentlich die Zähne an mir aus. Am 12. Mai 1988 fuhr ich beispielsweise mit dem Würzburger VdK erstmals nach Suhl und nahm jede Menge Fotos der künftigen Partnerstadt für die Main-Post auf, was die DDR-Reiseleiterin sofort höheren Ortes meldete. Aber, oh Wunder, bei der Ausreise war kein Fotoapparat zu finden, so Stasi-Hauptmann Schmidt in seinem nachträglich angefertigten Bericht. Hatte ich ihn verschluckt? Ich weiß es nicht mehr. Die Bilder besitze ich jedenfalls immer noch.

    Anhand meiner Stasi-Akte kann ich scheinbar Nebensächliches rekonstruieren. Beim Grenzübertritt in Eußenhausen am 21. September 1988 auf dem Weg zur Ratifizierung des Partnerschaftsvertrages in Suhl dauerte die Abfertigung zehn Minuten. Reserviert habe ich dabei gewirkt, notierte Oberleutnant Müller. Hatte er erwartet, dass ich in diesem düsteren Niemandsland zwischen Ost und West in Begeisterungsstürme ausbreche?

    In Suhl waren wir West-Journalisten damals im Hotel „Thüringen Tourist“ untergebracht. Um unsere Artikel durchgeben zu können, wurden extra Telefonleitungen für uns freigeschaltet. Dass die Telefonate abgehört wurden, war uns klar. Später erfuhren wir, dass auch unsere Räume verwanzt waren, so wie die der offiziellen Würzburger Delegation mit Oberbürgermeister Klaus Zeitler an der Spitze.

    Nach einiger Zeit kam dann noch eine Dienstanweisung für das Hotelpersonal ans Licht. Wenn wichtige Gäste aus dem Westen an der Rezeption eincheckten, musste sofort die Staatssicherheit informiert werden, allerdings so umsichtig, dass das Telefonat „nicht öffentlichkeitswirksam wird“.

    Während es für einen DDR-Bürger unmöglich war, auf legalem Weg West-Zeitungen zu beziehen, war die Stasi bestens darüber informiert, was ich in der Main-Post über die Partnerschaft und meine Besuche im Osten schrieb. Mehrere Artikel fanden als Kopie den Weg in meine Akte. Die Staatssicherheit hielt sie offenbar für besonders brisant, weil Briefe von Suhler Bürgern erwähnt waren, in denen diese sich darüber beklagten, dass Reisen in die Partnerstadt – außer für handverlesene linientreue Kader – verboten blieben.

    Großkampftage brachen für die Stasi Anfang September 1989 an, als ich kurz vor der Wende die Idee hatte, mit meiner Familie ein paar Tage Urlaub in Oberhof zu machen und Bekannte im benachbarten Suhl zu treffen. Drei inoffizielle Stasi-Mitarbeiter mit den Decknamen Lindner, Brock und Rudi Rund beschatteten mich, angeleitet von Major Kliem, Generalmajor Juch, Hauptmann Schmutzer und Oberleutnant Hänßler. Bei „operativ besonders bedeutsamen Verhaltensweisen“ sei sofort Alarm zu schlagen, steht im Maßnahmeplan, den Juch erstellte und Oberstleutnant Liborius am 25. August 1989 bestätigte.

    Ich blieb allerdings operativ unauffällig. Ich wollte einfach nur einen Bummel durch Suhl machen, mir von einem Stadtrat geplante Baumaßnahmen erläutern lassen und mit dem Pressereferenten des Rates des Bezirkes Suhl reden. Das tat ich dann auch, und dem mehrseitigen Gesprächsprotokoll entnehme ich, dass ich mich kritisch über die Versorgungslage in der DDR, Privilegien von SED-Funktionären und mangelnde Reisemöglichkeiten geäußert habe. Dies schien so bedeutsam, dass der Suhler Stasi-Chef Generalmajor Gerhard Lange diese Gemeinplätze gleich in mehrfacher Ausfertigung nach Berlin meldete.

    Dass der allmächtige Erich Mielke in der Normannenstraße sie persönlich studierte, scheint mir allerdings dann doch unwahrscheinlich.

    Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Am 4. Dezember sorgten Suhler Bürgerrechtler dafür, dass die Vernichtung von Akten – also auch meinen – im Stasi-Hauptquartier beendet wurde. Am nächsten Tag blockierten Busfahrer die Zufahrt, weil sie den Abtransport von belastendem Material befürchteten. Aus der spontanen Aktion außerhalb der Arbeitszeit entwickelte sich ein regelrechter kleiner Streik, als einige Männer nach Beginn der Dienstzeit mit ihren Fahrzeugen vor dem Stasi-Gelände blieben.

    Am Abend des 5. Dezember 1989 musste Stasi-Chef Lange kritische Fragen von Suhlern beantworten, die sich Zugang zu den Stasi-Räumlichkeiten verschafft hatten. Auf die Vorhaltungen von Brigitta Wurschi, einer der Sprecherinnen des Neuen Forum, antwortete der wenig später entlassene Lange: „Wir sind auch Söhne und Töchter dieses Volkes.“

    Am 8. Januar 1990 war ich der erste West-Journalist, der die Suhler Stasi-Zentrale betreten durfte. Dass dort auch Akten über mich liegen könnten, kam mir damals und noch lange danach nicht in den Sinn.

    Der Sicherungsvorgang Roland Flade, „Reg.-Nr. XI/376/77“ wurde übrigens erst vier Tage später, am 12. Januar 1990, beendet, von wem auch immer. Gerhard Lange, die Suhler Symbolfigur des Unterdrückungsapparates Stasi, beging wenige Wochen später 1990 Selbstmord.

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