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Würzburg: Meinung: Wenn wir mehr miteinander erleben und weniger debattieren, kann 2025 ein gutes Jahr werden

Würzburg

Meinung: Wenn wir mehr miteinander erleben und weniger debattieren, kann 2025 ein gutes Jahr werden

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    Machen wir so! Der Handschlag als Symbol der Einigung. Die gelingt manchmal besser durchs gemeinsame Tun als durchs Debattieren, meint unser Autor und verweist auf Historiker Clemens Tangerding. 
    Machen wir so! Der Handschlag als Symbol der Einigung. Die gelingt manchmal besser durchs gemeinsame Tun als durchs Debattieren, meint unser Autor und verweist auf Historiker Clemens Tangerding.  Foto: Getty Images

    Im vergangenen Jahr ist das Buch "Rückkehr nach Rottendorf" erschienen. Geschrieben hat es der Historiker Clemens Tangerding. Es geht nur am Rande um Rottendorf, seinen Heimatort im Landkreis Würzburg. Ein wesentlicher Gedanke in dem Buch ist, dass das, worüber Politik spricht und Journalisten berichten, oft nicht zu dem passt, was Menschen in ihrem Alltag erleben.

    Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Debattenraum und dem Erfahrungsraum, so beschreibt es Clemens Tangerding. Im Interview mit dieser Redaktion sagt er, dass Worte und Sprache nicht immer die besten Werkzeuge sind, um beispielsweise Konflikte zu lösen: "Ich dachte immer, mein Instrumentarium, um zu kommunizieren, ist die Sprache. Ich habe lange darauf gewartet, dass ich mit meinen Eltern über Dinge, die in meiner Kindheit oder Jugend geschehen sind, worunter ich gelitten habe, nochmal reden kann, dass es das entscheidende Gespräch gibt."

    Und, sagt Tangerding weiter: "Die Leute auf dem Land, die ich kennengelernt habe, nutzen andere Instrumentarien als die Sprache, zum Beispiel die Handkreissäge. Die bauen bei den Eltern den Dachboden aus, reparieren die Dämmung oder erneuern die Fugen im Bad. (…) Ich selbst habe mir diese Erfahrung inzwischen zunutze gemacht. Wenn es mal spannungsvoll ist zwischen meinen Eltern und mir, merke ich jetzt: Holzmachen geht viel schneller wieder als reden."

    Der Psychiater Bessel van der Kolk sagt: Wir reden zu viel, wenn wir ein Problem haben

    Die "Süddeutsche Zeitung" veröffentlichte kürzlich ein Interview mit dem renommierten amerikanischen Psychiater Bessel van der Kolk und packte ein Zitat in die Überschrift: "Wir reden viel. Viel zu viel." Im Gespräch sagte der Psychiater: "Wenn wir ein Problem haben, wird endlos darüber gesprochen. (…) In anderen Ländern ist das anders. In China macht man Qi Gong, in Indien Yoga, andere Menschen joggen jeden Morgen. Es gibt andere Wege, mit emotionalen Zuständen umzugehen, als mit Worten."

    Landläufig gibt es den Spruch "Einfach machen", doch so einfach ist es nicht. Politikerinnen und Politiker haben nur Sprache und Worte, um Kompromisse auszuhandeln, um zu Entscheidungen zu kommen und diese zu erklären. Auch Journalistinnen und Journalisten haben nur Worte und Bilder, um zu berichten. Es ist weder eine realistische noch eine gute Lösung, die Welt auf eine Erfahrungswelt zu reduzieren. Zumal auch im Sportverein, in der Familie, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Freundeskreis diskutiert wird – über die nächste gemeinsame Aktion genauso wie über Politik.

    Debatten sind also oft auch eigene Erfahrungen. Miteinander zu reden, sich gegenseitig zuhören, sich auch zu widersprechen ist in der Regel wertvoll, wenn es ein freundlicher Dialog ist.

    Der öffentliche Debattenraum gefällt vielen Menschen nicht mehr

    Aber gerade der öffentliche Debattenraum im Politikbetrieb, den Menschen aus Rottendorf und anderswo nur als Zuschauer erleben, gefällt vielen Menschen nicht mehr: "Die meisten Menschen auf dem Land, mit denen ich gesprochen habe, empfinden es vor allem als wichtig, in politischen Gesprächen ruhig zu bleiben, sich zuzuhören, aufeinander einzugehen, sich ausreden zu lassen, die Haltung des anderen nicht unnötig zu radikalisieren. Sie fühlen sich denjenigen zugehörig, die sich an dieselben Regeln halten wie sie", sagt Buchautor Clemens Tangerding.

    Der Historiker Clemens Tangerding hat 2024 das Buch "Rückkehr nach Rottendorf" geschrieben. Er ist in Rottendorf im Landkreis Würzburg groß geworden.
    Der Historiker Clemens Tangerding hat 2024 das Buch "Rückkehr nach Rottendorf" geschrieben. Er ist in Rottendorf im Landkreis Würzburg groß geworden. Foto: Thomas Obermeier

    Viele Politikerinnen und Politiker haben sich von diesen Erwartungen entfernt und damit auch von vielen Menschen. Debattiert werden das Spaltende, das Konfliktgeladene, die Schwächen der anderen – und das oft in aggressivem Ton. Auch Journalistinnen und Journalisten tun sich oft leicht, aus der Entfernung zu kritisieren, schwarz-weiß zu malen und es theoretisch besser zu wissen. Journalismus – auch dem unserer Redaktion – täte es gut, öfter Grautöne zuzulassen, weniger zuzuspitzen, mehr zu beschreiben und weniger zu bewerten.

    In WhatsApp-Gruppen herrscht oft schärfere Sprache als dort, wo Menschen zusammenkommen.  

    In sogenannten Sozialen Medien verwandelt sich auch ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in unfreundliche, ätzende Schreihälse, und selbst in privaten oder halböffentlichen WhatsApp-Gruppen von Schulklassen und Vereinen herrscht oft schärfere Sprache und schärferer Ton als dort, wo die Beteiligten persönlich zusammenkommen.

    Das persönliche Zusammenkommen, das gemeinsame Erleben, kann Lösung für vieles sein. Es schafft Toleranz und Gelassenheit. Clemens Tangerding beschreibt das so: "Karlheinz kann ein wunderbares Gespräch mit Sigbert führen, obwohl Karlheinz die Migrationspolitik nicht ändern möchte, Sigbert aber schon. Weil sie sich beide lange kennen und sich auch weiterhin vertragen wollen. Weil sie sich nächste Woche beim Seniorensport wiedersehen und in der Woche drauf bei der Organisation des Adventsbasars im Bürgerhaus."

    Da ist er wieder, der Erfahrungsraum, der von den meisten Menschen sehr viel positiver wahrgenommen wird, als es der Debattenraum vermuten ließe. Vereinfacht kann man sagen, dass unser Leben in Politik, Medien und Gesprächen schlechter dargestellt wird, als wir es tatsächlich erleben. Noch einfacher: Das Leben ist gut, wir reden es schlecht.

    9 von 10 jungen Menschen sagen, dass sie ein positives Lebensgefühl haben  

    Ergebnisse einer Anfang Dezember 2024 veröffentlichten Studie des Deutschen Jugendinstituts sind in diesem Zusammenhang vielsagend, weil es in weiten Teilen um Kinder und Jugendliche geht, die naturgemäß "einfach machen" und weniger debattieren.

    In der Studie wurden Befragungen und Daten von knapp 10.000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 32 ausgewertet. Knapp 90 Prozent der Fünf- bis Elfjährigen sagen demnach, in den letzten Wochen viel gelacht und Spaß gehabt zu haben. Und auch 92 Prozent der 12- bis 32-Jährigen gaben ganz grundsätzlich, an ein positives Lebensgefühl zu haben.

    Wagen wir, mehr Kind zu sein!

    Das neue Jahr kann ein gutes Jahr werden, wenn wir es wagen, etwas mehr Kind zu sein: mehr miteinander erleben, weniger debattieren.

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