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Würzburg: Missbrauchsprozess: Nun reden die Eltern der Opfer

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Missbrauchsprozess: Nun reden die Eltern der Opfer

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    Die Mutter eines missbrauchten Kindes verfolgt als Nebenklägerin mit ihrem Rechtsanwalt Bernhard Löwenberg im Kinderporno-Prozess in Würzburg, was der angeklagte Ex-Therapeut ihres Sohnes sagt.
    Die Mutter eines missbrauchten Kindes verfolgt als Nebenklägerin mit ihrem Rechtsanwalt Bernhard Löwenberg im Kinderporno-Prozess in Würzburg, was der angeklagte Ex-Therapeut ihres Sohnes sagt. Foto: Peter Johanssen/Sat.1/Bayern

    Wer die Anklage gelesen oder gehört hat, kriegt die furchtbaren Bilder nicht mehr aus dem Kopf: In 66 Fällen ist ein 38-jähriger Logopäde wegen schwerem sexuellen Missbrauch von behinderten Kindern angeklagt. Die Taten sind so abscheulich, dass sie viele Beteiligten an Grenzen führen: Die Eltern etwa, die Wutanfälle bekommen und Mordgedanken. Eine Staatsanwältin, die Fall für Fall in der Anklage vorlesen muss, allein 20 Seiten möglichst sachlicher Beschreibung jener grausamer Handlungsweisen an sieben Buben. Drei Berufsrichter und zwei Schöffen, die kühlen Kopf bewahren sollen. Einen Polizisten, bei dem die Ermittlungen zusammenliefen und den die Sichtung von vielen Tausenden Dateien von Kinderpornos so belasteten, dass er nicht in der Lage ist, in den Zeugenstand zu treten.

    Auch die Berichterstatter haben die schwierige Aufgabe, die sexuelle Enthemmung dieses angeblich so feinfühligen Therapeuten zu schildern, ohne die Grenzen des Zumutbaren zu überschreiten.

    Nebenkläger-Anwalt Hanjo Schrepfer, er vertritt die Eltern eines der missbrauchten Kinder, bringt es deutlich auf den Punkt: "In vielen Fällen war es mehr als Missbrauch: Wir haben neun Fälle der Vergewaltigung von Kindern vor uns."

    Die vielen Opfer des Logopäden

    Für eine Bilanz ist es zu früh. Aber man erschrickt davor, wer alles zu den Opfern dieses Falles gezählt werden muss: Der engste Familienkreis um die missbrauchten Kinder lebt seit Monaten in Angst, dass der Name ihres Kindes und Details der Taten öffentlich werden – und damit Gegenstand von Gerede werden könnte. Einige sind wütend darüber, dass der Angeklagte zwar vor Gericht sagt, alles verloren zu haben – aber kein Wort der Entschuldigung für seine Oper findet.

    In Angst leben auch viele andere Eltern, die ihr Kind in Obhut des Therapeuten hatten: Nicht jeden Missbrauch habe er gefilmt, sagt er. Das nährt Zweifel: Gibt es doch mehr als die sieben Opfer? Und welche Zweifel haben nun hunderte Eltern im Kopf, deren behinderte Kinder Zuwendung eines Logopäden brauchen, damit es ihnen besser geht? Das Vertrauen in einen Berufsstand ist erschüttert.

    Der Ex-Partner ist hart getroffen

    Und sind die Mitarbeiter jener Kita am Würzburger Heuchelhof, in der die meisten Taten geschahen, nicht auch Opfer? Manche glauben ihnen immer noch nicht, dass sie nicht wussten, was hinter ihrem Rücken während der Therapien geschah. Die Einrichtung hat ebenso Schaden erlitten wie die evangelische Kirche als Träger, mit der manche Eltern so über Kreuz sind, dass sie ausgetreten sind.  

    Gerichtssprecher Rainer Volkert gibt während der Verhandlung der Presse einen Zwischenbericht.
    Gerichtssprecher Rainer Volkert gibt während der Verhandlung der Presse einen Zwischenbericht. Foto: Thomas Obermeier

    Neben den Kindern und ihren Eltern hat es den Partner des Angeklagten vielleicht am härtesten getroffen. Ein bundesweiter Sender berichtet über den Prozess - und stellt sein Bild dazu statt dem des Angeklagten, wie sein Anwalt Norman Jacob bestätigt. Die  Staatsanwaltschaft hat mit seltener Deutlichkeit klar gestellt: Er ist weder Komplize noch Mitwisser. Was nutzt ihm das, wenn im Gerichtssaal getuschelt wird, dass er seinem Partner "schon das Nest polstert für den Tag, an dem er freikommt". So sagen es Angehörige von Opfern.

    Verraten und an den Pranger gestellt

    Dass er sich von seinem Partner verraten fühlt, macht jedes Wort, jede Geste deutlich. Als er in den Gerichtssaal tritt, schaut ihn der Angeklagte fast flehend an. Aber der Zeuge würdigt ihn keines Blickes. Die Scheidung läuft. Er hat seinen Partner verloren, seine Arbeit, sein Ansehen, sein Zuhause.  Er baut sich gerade – weit weg von Würzburg – mühsam eine neue Existenz auf. Einmal hat er seinen Ex-Partner im Gefängnis besucht, um rechtliche Angelegenheiten zu regeln. Vor Gericht macht er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

    Identität des Angeklagten wird verraten

    Der Fall ist ein bundesweites Medienereignis. Am ersten Tag wurden Name und Gesicht des Angeklagten – trotz aller Bemühungen des Gerichts – öffentlich bekannt: Eine überregionale Zeitung druckt ein Bild ab.

    Der 38-Jährige sei zum Schutz vor Übergriffen anderer Gefangener isoliert in Untersuchungshaft gewesen, bestätigt sein Verteidiger Jan Paulsen. Aber drei Zeugen bestätigen, was der Angeklagte dem Vorsitzenden Michael Schaller berichtete: Als er ins Gericht gebracht werden sollte, habe ihn ein JVA-Beamter laut mit vollem Namen aufgerufen und an anderen Gefangenen vorbei geführt, sodass seine Identität bekannt sei.

    "Diese Darstellung ist von vorne bis hinten falsch", sagt der Würzburger JVA-Leiter Robert Hutter. Er nennt die Berichterstattung "klischeehaft und unrichtig". Das Gericht scheint die Erzählung für möglich zu halten und erkundigt sich am zweiten Verhandlungstag: Ob es in der Haft in der Nacht auf Freitag unschöne Vorkommnisse gegeben habe? Das verneint der Angeklagte.

    Was Eltern der Opfer erzählen

    Am zweiten Prozesstag berichtet der Vater eines der Buben etwa 20 Minuten lang. Die Öffentlichkeit ist da wieder ausgeschlossen. Gerichtssprecher Rainer Volkert fasst die Aussage hinterher zurückhaltend zusammen: Insgesamt wolle die Familie den Blick nach vorne wenden, "auch wenn man das Geschehene nicht vergessen könne".

    Ein zweiter Vater "machte seine Aussage sichtlich bewegt", so der Pressesprecher. Er sei "deutlich gezeichnet von den Taten und besorgt über die Auswirkungen auf die künftige Entwicklung seines Kindes", berichtet Volkert aus der Verhandlung, "er schilderte an seinem Kind festgestellte Auffälligkeiten".

    Als sich die Türen des Gerichtssaales wieder öffnen, hat ein Schöffe Tränen in den Augen. Selbst Anwälte wirken angefasst. Auch die Mutter eines der am schlimmsten missbrauchten Opfers weint. Sie sitzt dem Angeklagten den ganzen Prozess hindurch als Nebenklägerin im Nacken – und soll am nächsten Verhandlungstag in den Zeugenstand.

    Der Prozess wird am 11. März fortgesetzt.

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