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Würzburg: Pater Leopold und der Sinn der Christmette

Würzburg

Pater Leopold und der Sinn der Christmette

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    Viele Christmetten hat der 81-jährige Pater Leopold in seinem Leben gehalten. Er hat Zuhörer mit seinem Hang zum szenischen Erzählen beglückt und auch in Schockstarre versetzt.
    Viele Christmetten hat der 81-jährige Pater Leopold in seinem Leben gehalten. Er hat Zuhörer mit seinem Hang zum szenischen Erzählen beglückt und auch in Schockstarre versetzt. Foto: Thomas Obermeier

    Wenn der Würzburger Franziskaner Leopold Mader, 81 Jahre alt und hellwach, sich an seine allererste Christmette als kleiner, vielleicht vierjähriger Bub erinnert, dann sieht er ein Meer von Lichtern vor sich – und ein Meer von Hüten. 1942 muss das gewesen sein; schlimmste Kriegszeit sicher auch in der ländlichen Oberpfalz, wo Leopold aufwuchs. Aber was Leopold sieht, wenn er zurückschaut, sind Massen von festlich gestimmten Menschen im Sonntagsstaat – und dazu gehörten damals bei den Damen breitkrempige, ausladende Stoffhüte. „Je breiter die Krempen, desto weniger Damen haben in die Bänke gepasst“, erzählt der Pater.

    Die Art, wie die Frohe Botschaft zu seiner Kinderzeit vermittelt wird, hat den Pater geprägt.

    Die Hüte, die feinen Kleider, die festliche Atmosphäre – das war das, was er gesehen hat. Was ihn aber berührt hat damals als kleinen Jungen und was ihn nachhaltig geprägt hat auch für die Zeit, die kommen sollte, das war die Art, wie die Frohe Botschaft vermittelt wurde: Sie wurde nicht vorgelesen, sondern gesungen. Nicht vom Pfarrer, sondern von Gemeindemitgliedern. Und nicht so sehr gesungen wie gespielt. „Wer klopfet an?“, singt der Pater; und er legt Misstrauen in seine Stimme, wie damals in der Kirche seiner Kinderzeit der böse Herbergswirt. „O zwei gar arme Leut“, antworten verschüchtert Maria und Josef. „Was wollt ihr denn?“, grummelt der Wirt. „O gebt uns Herberg heut!“

    "Wer klopfet an?", zitiert Pater Leopold aus einem alten Liederbuch.
    "Wer klopfet an?", zitiert Pater Leopold aus einem alten Liederbuch. Foto: Gisela Rauch

    Über einen weiten Zeitraum sei es im süddeutschen und österreichischen Sprachraum üblich gewesen, Bibelinhalte volkstümlich nachzuerzählen; sie in durchaus amüsante, leicht verständliche, manchmal sogar ansatzweise derbe Wechselgesänge zu packen – zur Freude der Gottesdienstbesucher, berichtet der Franziskanerpater. Die Überzeugung, dass das szenische Spiel, der szenische Gesang besser als manche Predigt sicherstellt, dass Inhalte auch ankommen bei den Leuten, hat Pater Leopold geprägt. Er hat diese Annahme oft bestätigt gefunden. Nach Internat, Abitur, Theologiestudium und Weihe in Würzburg und Anfängerjahren in der Würzburger Region arbeitete er siebzehn Jahre als Ordenspriester im Chiemgau; dort hat er gelernt: „Kündige ich eine Orgel-Meditation an, kommt keiner. Aber wenn ich Dreigesang, Viergesang oder Stubenmusi aufs Plakat geschrieben habe, dann ist die Kirche brechend voll gewesen.“

    Kein Wunder, dass der extrovertierte und schauspielfreudige Pater 1965  bei seinem ersten selbständigen Weihnachtsgottesdienst in der Ochsenfurter Kirche Sankt Andreas ein kleines szenisches Spiel einplante. Und auf dessen dramatischen Effekt setzte.  „Ich wollte in der Christmette etwas entstehen lassen“, sagt er. Wollte die Leute wirklich packen. Außerdem war er jung; und die „wilde liturgische Zeit“ nach Abschluss der Zweiten Vatikanischen Konzils hatte gerade begonnen. Also kaufte Pater Leopold die größte und prächtigste Christbaumkugel, die er finden konnte. Und begann seine Predigt damit, dass er die wunderschöne Kugel auf den Kirchenboden schleuderte, wo sie in tausend Scherben zerbrach. Schockstarre bei den Gottesdienstbesuchern. „Stellen wir uns die Christbaumkugel als Gottes Geheimnis vor“, rief der Pater. „Und an Weihnachten hat Gott sein Geheimnis zerbrochen, hat seine Ortlosigkeit, seine Zeitlosigkeit, seine Unnahbarkeit aufgegeben. Für uns.“

    Die Besucher der Christmette warten auf die alten Lieder, die die Seele berühren.

    Damals in den Sechziger Jahren, zu seiner Anfangszeit, seien die Leute besser angezogen in die Christmetten gekommen, erinnert sich der Pater. Im T-Shirt, der Jogginghose, in zerrissenen Jeans wäre da niemand aufgetaucht; der Anlass war einfach zu festlich. Damals hätten die Leute auf die „alten“ Weihnachtslieder gewartet, auf „O du Fröhliche“ und „Es ist ein Ros entsprungen“ und „Stille Nacht“. Hätten die alten Lieder mit Inbrunst gesungen und die neuen Lieder eher abgelehnt. Weil die alten Lieder die Seele anders berühren. Und das sei übrigens heute noch so. Das sei immer so.

    "Ich glaube, der Mensch sucht in der Christmette den flauschigen Mantel, um die fröstelnde Nacktheit gelegt."

    Pater Leopold Mader

    Ob jung oder alt, ob Frau oder Mann, ob in der Mitte der Gesellschaft oder außen vor; die Leute sehnten sich gerade an Weihnachten nach dem, was das Herz erwärme. „Es gibt eine leidenschaftliche, trotzige Gebärde im Menschen; das ist die Sehnsucht“, sagt der Pater; das stocknüchterne Empfangszimmer des Würzburger Franziskanerklosters ist seiner Leidenschaft nicht abträglich. Am Abend zuvor hat er, wie an jedem Montag, mit Seminarteilnehmern über Lebensbewältigung gesprochen. Hat am frühen Vormittag die Messe im Kloster gehalten, wie jeden Werktag. Später wird er mit Angehörigen reden, deren Familienmitglied Selbstmord begangen hat; er wird, alten Kirchentraditionen zum Trotz, der Familie des Toten mitteilen, dass sehr wohl eine Messe gefeiert werden kann für den Menschen, dem das Leben zu viel war.

    Lebt gemeinsam mit neun anderen Patres und drei Ordensbrüdern im Würzburger Franziskanerkloster: Pater Leopold Mader. 
    Lebt gemeinsam mit neun anderen Patres und drei Ordensbrüdern im Würzburger Franziskanerkloster: Pater Leopold Mader.  Foto: Gisela Rauch

    Welche Sehnsucht ist es, von der Pater Leopold spricht? Welche Sehnsucht treibt in der Weihnachtsnacht sogar Ungläubige in die Kirche; welche Sehnsucht lässt sie bei „O du Fröhliche“ hoffen und bei „Stille Nacht“ eine Träne aus dem Augenwinkel wischen? „Das ist etwas, das im Mensch eintätowiert ist, sozusagen in der Herzinnenwand des Menschen. Es ist die Tätowierung von einer anderen Welt“, sagt Pater Leopold. Der Pater, der gar nicht so gern als „Pater“ bezeichnet werden will, sondern sich lieber als „Bruder“ sieht, als Bruder in einer Gemeinschaft, ist nicht dogmatisch; er gibt dem Zuhörer nicht vor, wie diese andere Welt zu sein hat. Aber er glaubt zu wissen, nach welchem Gefühl sich der einsame, der alte, der ängstliche, der gestresste Mensch gerade an Weihnachten sehnt: „Ich glaube, er braucht den flauschigen Mantel, um die fröstelnde Nacktheit gelegt.“

    Der Satz könnte jetzt so stehen bleiben; man merkt ihn sich, weil es ein schöner, bildhafter Satz ist, wie ihn der Pater oft verwendet. Indes nutzt Pater Leopold das Bild von Geborgenheit, um ein wenig Kritik an der Art anzubringen, wie sich die Christmetten, wie sich Gottesdienste überhaupt in letzter Zeit entwickelt haben. „Ich glaube, die Menschen hätten in der Christmette gerne das Gefühl des flauschigen Mantels; nur dieses Gefühl einfach nur für ein paar Stunden – und nicht gleich wieder einen Auftrag.“ Derzeit nutzen Prediger oft die Ansprachen, um „Aufträge“ zu erteilen, den des Sich-Engagieren-Sollens, den des Sich-Kümmern-Müssens, den des Teilen-Sollens. Dabei, meint Pater Leopold, wollten vielleicht auch die Engagierten, die Kümmerer und die Spender in der Christmette einfach nur das Gefühl des Gehaltenwerdens erfahren.

    Auch die Engagierten, die Kümmerer und die Spender möchten, glaubt Pater Leopold, in der Christmette einfach nur das Gefühl des Gehaltenwerdens erfahren.
    Auch die Engagierten, die Kümmerer und die Spender möchten, glaubt Pater Leopold, in der Christmette einfach nur das Gefühl des Gehaltenwerdens erfahren. Foto: Gisela Rauch

    Pater Leopold hat in seinem langen Leben viele Weihnachtsgottesdienste und Christmetten gehalten. In diesem Jahr wird er auch wieder die Christmette halten; aber nicht öffentlich, sondern in einem Nonnenkloster mit wenigen, überwiegend alten Zuhörerinnen. Auch ihnen möchte der Pater den „flauschigen Mantel“ schaffen. „Ich habe drei Sterne gekauft mit LED-Licht; die will ich nacheinander leuchten lassen und singen: Heute erstrahlet ein Licht“, erzählt er.

    Denkt der Franziskaner-Pater mit seinen 81 Jahren nicht ans Aufhören?

    Denkt der Franziskanerpater mit seinen 81 Jahren nicht ans Aufhören? „Solange ich will und kann, sicher nicht“, sagt er. Er verweist auf seinen Terminplan, der dem eines Managers gleiche. Pater Leopold sagt, er habe früher auch junge Brüder ausgebildet; etliche von ihnen hätten Orden aber wieder verlassen, vielleicht auch den Glauben verloren. „Mich hat mal einer von den Jungen gefragt: Und, wie oft wolltest du gehen und hast dein Zeug gepackt? Da hab ich ihm gesagt: Noch nie.“

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