Am Montag soll die Entscheidung fallen, was die Beweise im Prozess um die Entführung des Milliardärs-Sohnes Markus Würth in einen Wald bei Würzburg wert sind: Die Verteidigung hat die Freilassung des Angeklagten beantragt, der seit März in Untersuchungshaft sitzt.
Nicht eindeutig zuzuordnen
Zwei Sprachgutachter betonten jetzt vor dem Landgericht Gießen in dem seit Anfang September laufenden Prozess: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handle es sich bei der Stimme des Erpressers und den Vergleichsstimmproben um den identischen Sprecher. Sie filterten die Stimme von Nedzad A. aus 360 Sprachproben mit Personen mit vergleichbarem biografischem und sprachlichem Hintergrund heraus.
Die Gutachter mussten Ende Oktober im Zeugenstand aber einräumen: Die mitgeschnittenen Erpresseranrufe bei Würths Familie im Jahr 2015 beweisen nicht eindeutig, dass der Angeklagte Nedzad A. der Entführer war. Auch das Gericht hat Zweifel am Beweiswert des Stimmgutachtens erkennen lassen, das nach zweieinhalbjähriger Fahndung überhaupt erst die Festnahme eines Verdächtigen ermöglicht hatte.
Gefesselt im Wald bei Würzburg
Der 48 Jahre alte Angeklagte soll den behinderten, erwachsenen Sohn des baden-württembergischen Unternehmers Reinhold Würth im Juni 2015 im hessischen Schlitz entführt und am Telefon drei Millionen Euro Lösegeld gefordert haben. Als die Lösegeld-Übergabe scheiterte, ließ er das Opfer gefesselt im Wald bei Würzburg zurück und teilte per Anruf den Fundort mit. Dort fanden Polizisten das Opfer, an einen Baum gefesselt, vor.
Der Angeklagte soll am Tag zuvor in der Nähe dieser Stelle in Eisingen (Lkr. Würzburg) in einem Einkaufsmarkt auch eine Prepaid-Karte für das Telefon gekauft haben, mit dem die Erpresser-Anrufe stattfanden.
Charakteristische Sprache
Die Stimme des Entführers ist das wichtigste Beweismittel der Ermittler. Als charakteristisch bezeichneten die Gutachter beispielsweise die für Ausländer schwierige Aussprache des „ü“ in manchen Worten sowie markante Redewendungen wie die Formulierung „ich trenne mich“ zum Ende eines Gesprächs. Diese Redewendung, die wohl im Kroatischen benutzt wird, hatte der Erpresser dreimal verwendet. Die Zeugin, die den entscheidenden Tipp auf einen Handwerker gab, der bei ihr renoviert hatte, erinnerte sich: Auch bei ihr soll er diese markante Redewendung benutzt haben.
Nicht so eindeutig wie eine DNA
Ob es möglich sei, „jede Person eindeutig anhand seiner Stimme zu identifizieren?“, fragte der Richter eine Sprachwissenschaftlerin. „Nein, eine Stimme ist ja kein Fingerabdruck und keine DNA-Spur“, sagte die Gutachterin.
Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der Angeklagte nicht allein handelte. „Wir können momentan nicht sicher sagen, ob es Mittäter gibt“, sagt Staatsanwalt Thomas Hauburger. Ein Urteil sollte nach ursprünglicher Planung im Dezember fallen. Nun muss das Gericht zuerst einmal über den Antrag der Verteidigung auf Freilassung des Angeklagten befinden.