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WÜRZBURG: Rafik Schami und die Faszination des Erzählens

WÜRZBURG

Rafik Schami und die Faszination des Erzählens

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    Rafik Schami in der Würzburger Stadtbücherei.THOMAS OBERMEIER
    Rafik Schami in der Würzburger Stadtbücherei.THOMAS OBERMEIER Foto: Foto:

    Rafik Schami „wollte einmal von einem 80-jährigen Liebespaar erzählen, das 15 Geheimdienste austrickst, ohne dass es kitschig wird“. Das gelang dem syrisch-deutschen Schriftsteller am Dienstagabend in der Stadtbücherei glänzend, funkelnd, höchst erstaunlich – auch wenn er den Trick der gealterten Liebenden Sophia und Karim gar nicht verriet. Die finale Konfliktlösung seines 480-Seiten-Romans „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ ließ der 69-Jährige weg.

    Solche Enthaltsamkeit unterscheidet ihn nicht von anderen Autoren, wenn sie aus Neuerscheinungen vorlesen. Nur: Rafik Schami liest überhaupt nicht vor. Er erzählt. Das macht er bekanntermaßen meisterhaft. Sein Würzburger Auftritt war vier Monate im Voraus ausverkauft.

    Nun passen ins Falkenhaus-Lesecafé nur 200 Stühle. Rafik Schami ist das gerade recht. 1400 Hörer hatte er bei seinem bisher größten Auftritt in Karlsruhe. Das sei ihm denn doch zu viel gewesen, erinnert er sich entspannt vor seinem Würzburger Auftritt. In großen Hallen wird sein Bild auf eine Videoleinwand projiziert. Aber: „Wenn ich erzähle, ist es eine Art Dialog.“ Auch das sollte man unmittelbar vor Augen haben: Die Gestensprache seiner Hände verfügt über einen gewaltigen Wortschatz.

    Das Mainfranken Theater indes könne er sich als Auftrittsort vorstellen. Der gebürtige Damaszener kennt sich in der Domstadt aus, er hat eine Veitshöchheimerin geheiratet. Auch Kirchen kämen in Frage. Weniger, weil er sich als aramäischer Christ darin so zu Hause fühlt. Aber: „Die Erbauer von Kirchen verstanden etwas von Akustik.“ Die Rafik-Schami-Tournee umfasst insgesamt 100 Auftrittsabend. Würzburg lag in der letzten Woche seiner „Sophia“-Lesereise.

    Voraus eilte ihm sein Ruf, in „der Erzählertradition von Damaskus“ zu stehen. Im Gespräch nähert sich Schami dem Besonderen dieser Literatur aus abstrakter Höhe. Es gehe darum, „Erfahrungen in unterhaltsamer Form zu übertragen“. An Plätzen unter freiem Himmel und vor allem in Cafés und Restaurants. Seine beruflichen Vorfahren hießen denn auch „Kaffeehauserzähler“, mussten sich gegen den Lärmpegel durchsetzen. Lange Geschichten tischten sie auf, bis sie an einer spannenden Stelle abbrachen und versprachen, am nächsten Abend gehe es weiter. Schami liefert die Pointe zu seiner Erzählung über die Erzähler: „Die waren am Umsatz des Lokals beteiligt.“

    Spezifisch damaszenisch werde ein Erzähler in Damaskus automatisch, sinniert er weiter: „Die Umgebung diktiert die Erzählart.“ Deswegen unterschieden sich auch innerhalb einer orientalischen Stadt die Erzähler noch nach ihren Wohnvierteln, in denen je nach Ethnien, Religionszugehörigkeit oder Sippen verschiedene Geschichten kursierten.

    Bis in die 1930er Jahre greift sein Thriller zurück, der im Arabischen Frühling von 2011 kulminiert und alles andere als linear verläuft. Schon auf dem Papier nicht. Wie viel weniger erst live?! Wie kann der Autor 100 Abende hintereinander so frisch, ja manchmal leidenschaftlich von seinen Figuren berichten?

    Schami macht „immer den großen Bogen klar, ohne alles zu verraten“. An den gerafften Handlungsbogen hängt er dann „Laternen, die ihr Licht auf Details werfen“. Der Schami'sche Trick: Er legt sich fünf bis sechs Varianten mit verschiedenen „Laternen“ zurecht, für jeden Abend der Woche eine andere: „Dann bleibt es auch für mich spannend.“ Nach einer Woche kommt er zurück zur ersten Variation. Bis dahin ist in der Welt viel passiert, der Raum, das Publikum sind andere, Schami reagiert anders darauf. Das verschafft ihm die verblüffende Frische seiner Performance.

    Wobei, zumindest vor dem meist über-50-jährigen Publikum, der Erzähler nicht auf Tagesaktualitäten seiner 1970 verlassenen Heimat einging. Was er thematisierte und in Exkursen erläuterte, das vermittelte ein lebendiges Bild von den ungemein verzahnten gesellschaftspolitischen Verhältnissen in einem zerfallenden multikulturellen Staat. Den Besucher einer Rafik-Schami-Show fasziniert dabei besonders, dass der Erzähler einen großen Teil dieses Komplexes leibhaftig darstellt.

    Oder, um ein anderes gutes Schlaglicht auf seine Vortragskunst zu werfen: Während er von seiner Vorbemerkung über eine Wohlfahrtsorganisation abschweifte und auf Computertücken zu sprechen kam, hantierte er engelsgeduldig an seinem Mikroport mit Wackelkontakt und beruhigte den Haustechniker, der solle sich keine Sorgen machen.

    Ob Übergänge, Zusammenfassungen, Charakterisierungen, Einzelszenen oder wörtliche Reden: Auf allen Eben fallen ebenso oft poetische wie lakonische Sätze. Manchmal geht beides ineinander über: „Er hatte so eine Wut, dass die Wut sämtliche Bakterien tötete.“ Oder positiv und genauso typisch Schami: „Liebe kommt wie ein Oktopus. Nix mit Romantik. Zack.“

    Schade, dass so wenig junge Leute (unter 50 Jahre) im Publikum saßen. Sie haben was verpasst.

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