Den Blick nach innen gewendet, bekommt Tim Deissler beim Rednerwettstreit der Würzburger Toastmasters ein unbekanntes Thema. Er zuckt leicht mit der Schulter, braucht kaum mehr als ein paar Sekunden und schon setzt er an. Die Aufgabe: Er soll über das Unglücklichsein als Rakete zum Glück sprechen. Noch dazu in englischer Sprache.
Er beginnt mit einer Geschichte über sich und seine Schwierigkeiten, eine Frau, für die er sich interessiert, anzusprechen, umkreist das Thema, um am Ende zu dem Ergebnis zu kommen, dass es die Selbstüberwindung ist, die zum Glück führt. Ohne Stocken, ganz ohne Ähs oder Ähms, reiht er zwei Minuten lang Satz an Satz und blickt dabei aufmerksam ins Publikum. Mit kräftigem Applaus bedanken sich die Zuhörer, einmal für das Sich-trauen, einmal für die perfekte Rede.
Was ist das Geheimnis der Würzburger Toastmasters?
Bei der Stegreifrede geht es darum, die Regeln der Redekunst anzuwenden und die Zuhörer zu fesseln. Dabei wirkt er vor seinem Auftritt eher zurückhaltend, ist klein von Statur und scheint in seinem korrekt sitzenden Anzug keineswegs wie einer, dem es mühelos gelingt, einen Saal in seinen Bann zu ziehen. Am Ende des Abends nimmt Tim einen Pokal mit nach Hause. Er hat damit die Möglichkeit, sich für die internationalen Wettbewerbe, der Europameisterschaft in Aarhus oder gar dem Weltfinale auf den Bahamas zu qualifizieren. Den Rednerwettstreit haben die Würzburger Toastmasters ausgerichtet. Im Zentrum für Digitale Innovationen (ZDI) auf dem Hubland folgen etwa 20 Interessierte. Weitere sind per Internet zugeschaltet.
Was ist das Geheimnis der Toastmasters? "Wir lieben Wettkämpfe", verrät später Yvonne Hefner. Menschen, die sich entwickeln wollten, bekämen die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum zu erproben. Für die Unternehmensberaterin sind dies wichtige Fertigkeiten, die auch bei einem Spontan-Interview, in einem Arbeitstreffen oder als Führungskraft benötigt werden. Den gesamten Abend über herrscht eine konzentrierte, wertschätzende Atmosphäre. Gemeinsam mit Oliver Grytzmann hat Yvonne Hefner den Würzburger Club vor fünf Jahren gegründet. Die Wurzeln der Toastmasters liegen in den Vereinigten Staaten, wo sie 1924 entstanden. Der Sitz befindet sich noch heute in Kalifornien.
Wie es den Rednerinnen und Rednern gelingt, ihre Zunge zu lösen
Gutes Reden kann jeder lernen. Davon sind die Toastmasters überzeugt. Den Mitgliedern steht ein Online-Lernprogramm zur Verfügung. Dort erfahren sie, wie sie eine Rede aufbauen, ihre Körpersprache kontrollieren oder wie sie sich eine deutliche Aussprache aneignen können. Auch werden die Aufgaben bei einem Wettstreit regelmäßig gewechselt. Die Mitglieder unterstützen sich so gegenseitig, jeder lernt von jedem. Es gibt verschiedene Schiedsrichter vom Füllwort-Zähler bis zum Sprachstilbewerter. Andere haben den Raum organisiert, sorgen für die Werbung oder haben Kuchen gebacken.
Eine Hauptrolle an diesem Abend kommt Oliver Grytzmann, dem Toastmasters-Vize-Europameister, zu. Als "Contest Chair" hat er die Themen vorbereitet und führt durch den Abend. Auch dies geschieht auf Englisch, bis zu dem Moment, als er mit einem herzhaften "Puuh, geschafft" ins Deutsche wechselt und mit weit ausladenden Bewegungen so wirkt, als ob er etwas von sich abschütteln wollte.
Später räumt der Unternehmensberater ein, dass er eine schauspielerische Ausbildung hat. Bei den Toastmasters stehe das Begeistern, die klare Botschaft im Vordergrund. Auch diese Sätze fasst er in eine Rede. Den Beweis, dass überzeugte Toastmaster auch ungezwungen plaudern können, liefern sie, erst als der Pizzaservice eintrifft und ein Glas Sekt hilft, die Zunge zu lösen.